Aufstehen, anziehen, frühstücken, ab zur Arbeit, acht Stunden Büro, danach vielleicht noch schnell ins Fitnessstudio, einkaufen fürs Abendessen, zum Entspannen auf die Couch und dann ist es auch schon wieder Zeit fürs Bett. So oder so ähnlich sieht unser Alltag aus. Eng getaktet, von vorn bis hinten durchstrukturiert, und vor allem: ohne Überraschungen. Unser Leben verfliegt und ehe wir uns versehen, ist es vorbei. Stefan Walter hat relativ früh in seinem Leben erkannt, dass Routine nicht alles sein kann. Deshalb stürzt er sich auf seinen zahlreichen Reisen in alle Erdteile ganz bewusst ins Ungewisse – und ist dafür reich belohnt worden.
Das hübsche, gepflegte Neubau-Häuschen in einem Krefelder Wohnviertel sieht nicht unbedingt aus wie die Heimat eines Menschen, der mit einem günstig erstandenen Gebrauchtwagen durchs australische Outback düst, in der jordanischen Wüste im Zelt eines Beduinen übernachtet oder in Nepal die Kotspuren eines Panzernashorns verfolgt. Aber das ist zu kurz gedacht: Wenn sich der hauptberufliche Lehrer mit so wenig Gepäck und Planung wie möglich ins Flugzeug setzt, geht es schließlich genau darum, den zivilisatorischen Ballast zumindest auf Zeit abzuwerfen. Alles begann nach seinem Zivildienst, als er sich mit einem Freund nach Australien aufmachte, um den Kontinent ein Jahr lang via „Work & Travel“ zu erforschen. „Wir hatten vor, mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Hostel zu Hostel zu reisen, wie man das halt so macht“, beginnt er seine Geschichte. „Aber dann lernten wir im Flugzeug einen anderen Deutschen in unserem Alter kennen. Er wollte in Australien einen Gebrauchtwagen kaufen und damit auf eigene Faust durchs Land reisen. Er bot uns an, uns ihm anzuschließen. Also halfen wir ihm den Wagen zu kaufen, weil er nicht so gut Englisch konnte, warfen all unsere Pläne über Bord und nahmen sein Angebot an. Es war die beste Entscheidung unseres Lebens.“ Während dieses Jahres in Australien erlebt Stefan die „absolute Freiheit“, wie er selbst sagt. „Wir fuhren herum, schlugen unsere Zelte dort auf, wo es uns gefiel und lebten in den Tag hinein. Als wir einmal morgens den Reißverschluss öffneten, waren wir von einer Gruppe Kängurus umgeben. Diese Zeit ist einfach unvergesslich geblieben.“
Das Jahr in Australien markiert eine Art Erweckungserlebnis für den 39-Jährigen: „Ich wusste, dass ich dieses Gefühl der Freiheit so oft wie möglich wiedererleben wollte. Also arbeitete ich eine Weile als Reiseführer, um meinem neuen Hobby nachzugehen und weitere Reisen zu finanzieren.“ Die nächste Tour führt ihn nach Panama, wo er das indigene Volk der Kuna-Indianer kennenlernt, das unabhängig vom politischen Einfluss seines Landes auf kleinen Karibikinseln ein bescheidenes, urwüchsiges Leben führt. „Man kann die Kuna dort besuchen und lebt dann in winzigen Strandhütten. Einmal am Tag kommt ein Fischerboot vorbei, nimmt einen mit zum Angeln oder auf eine andere Insel“, erzählt er begeistert. Dem Redakteur stellt sich sofort die Frage, ob ein Tag ganz ohne Zerstreuung nicht sehr lang werden kann, aber der Globetrotter lacht nur: „Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit kommt man in einen ganz anderen Rhythmus. Man merkt plötzlich, dass man nicht die ganze Zeit aufs Smartphone glotzen oder irgendeiner Tätigkeit nachgehen muss, um sich abzulenken. Man kann tatsächlich sehr gut den ganzen Tag am Strand liegen, in den Himmel schauen oder schnorcheln. Vieles von dem, was unseren Alltag so ausfüllt, brauchen wir nicht. Auch materielle Werte sind nicht so wichtig, wie wir das glauben.“
Stefan ist nicht nur ein guter Erzähler mit einem unerschöpflichen Fundus an Geschichten, sondern auch ein guter Zuhörer. Messianisches Bekehrungsbedürfnis oder gar Herablassung gegenüber dem „gemeinen Pauschalurlauber“ sind ihm gänzlich fremd, schließlich kennt er auch diese Seite des Lebens: „Manchmal überredet mich meine Ehefrau auch zu einer Pauschalreise, nicht zuletzt wegen der Kinder“, schmunzelt er. „Meistens schaffe ich es dann aber, ihr wenigstens einen Ausflug im Mietwagen abzuringen, bei dem wir dem Touristenleben entkommen.“ Offenheit und Flexibilität – für andere Menschen und ihre Bräuche, aber auch was die eigene Tagesgestaltung angeht – sind für ihn die absolute Grundvoraussetzung für eine gelungene Reise: „Wir sind es gewohnt, alles abzusichern und vorauszuplanen. Aber die besten Geschichten erleben wir nicht, wenn alles so läuft, wie wir es uns vorgestellt haben, sondern wenn wir improvisieren müssen oder uns auf etwas Neues einlassen.“ Als er in Jordanien die Wahl hat, in einem Hotel zu wohnen oder die Einladung eines Beduinen in sein Zelt anzunehmen, entscheidet er sich natürlich für das Zelt. Als er sich in Nepal für einen Nationalpark entscheiden muss, nimmt er den, der fernab der Touristenziele liegt: und begegnet zur Belohnung einem Königstiger. Eine schlechte Erfahrung hat er hingegen noch nie gemacht, auch mit dem spektakulären Gefahrenmoment, nach dem ich mit meinem Sensationsbedürfnis lechze, kann er nicht dienen: „Ich bereite mich natürlich ein bisschen vor, bevor ich mich in den Flieger setze, und ich begebe mich auch nicht leichtsinnig in riskante Situationen. In Krisengebiete oder Diktaturen würde ich nie reisen, schließlich bin ich nicht lebensmüde. Ansonsten verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl und meine Menschenkenntnis und bin damit immer gut gefahren.“ Hinter seinem Optimismus steht auch die Überzeugung, dass wir uns in unserem Leben viel zu sehr von unseren Ängsten leiten lassen, anstatt von dem, was wir wollen. „Ich habe mal den Satz gelesen, Sorgen seien die Zinsen auf einen Kredit, den wir vielleicht in Zukunft mal aufnehmen“, zitiert der dreifache Vater. „Wie oft machen wir uns Gedanken über Probleme, die sich dann in Luft auflösen? Wie viele Gelegenheiten verpassen wir, weil wir befürchten, dass etwas schiefgehen könnte? Ich habe gelernt, dass es nie so schlimm kommt, wie wir es uns ausmalen – und dass es fast immer einen Ausweg gibt.“ Wer etwa als Westeuropäerin Indien nur drei Minuten ratlos am Bahnhof stehe, weil er kein Hotelzimmer findet, könne gewiss sein, dass ein Dutzend potenzieller einheimischer Helfer herbei eile: „Die werden von den lokalen Hotels nämlich dafür bezahlt, ihnen Reisende zu bringen. Aber natürlich erzählen sie immer, sie hätten einen Cousin, der eine Unterkunft besitzt“, grinst Stefan.
Über seine zahlreichen Reiseabenteuer – insgesamt hat er mittlerweile über 50 Länder besucht – hat Stefan Anfang des Jahres ein Buch geschrieben. „Freiheit leben: Was ich von der Welt gelernt habe“ reiht aber nicht nur exotische Länder, Geschichten über spektakuläre Tierbegegnungen, Berichte über fremde Kulturen und tolle Fotos aneinander, wie das so viele Reisebücher tun: „Mir ging es darum, dem Leser etwas Praktisches mitzugeben“, erklärt er die Idee hinter seinem Werk. „Jedes Kapitel endet daher mit ein paar griffigen Erkenntnissen, die ich auf der jeweiligen Reise über das Leben und über mich gewonnen habe.“ Die nächste viermonatige Tour wird ihn in Kürze mit der ganzen Familie ins kanadische British Columbia führen, einer der wenigen noch weißen Flecken auf seiner Weltkarte. Aber man muss gar nicht um den halben Erdball reisen, um etwas zu erleben, auch diese Erfahrung hat Stefan gemacht. Auf Helgoland schwamm er einst mit zutraulichen Kegelrobben in der Nordsee und eines seiner Lieblingsländer ist Griechenland, dessen Schönheit man am besten abseits des Massentourismus kennenlernt – auch mit Kindern. Nach Stefans Philosophie kommt es gar nicht so sehr auf das Reiseziel an, sondern vor allem auf die innere Haltung, mit der man es besucht. Während wir uns so unterhalten, gerate auch ich ins Träumen. „Ich wollte immer mal nach Mexiko“, sage ich halb zu mir selbst. Stefan lächelt mich an: „Und weißt du was: Morgen buchst du den Flug – und dann machst du das einfach!“ Die Möglichkeiten, die das Leben bietet, sind tatsächlich unendlich. Man muss sie nur erkennen und dann zugreifen. Unverzagt, mutig – und ganz ohne Routine.
Stefan Walters „Freiheit leben: Was ich von der Welt gelernt habe“ ist allen Krefelder Buchhandlungen erhältlich, zum Beispiel bei Mennenöh. Aber natürlich auch beim Online-Handel.