Heroes in Krefeld

Heinz Webers: Der fleißige Mundart-Manager

Heinz Webers, 89, setzt sich für den Erhalt der vielfältigen Krefelder Mundart ein.

Palaver, Schmackes und Jedöns – es gibt nur noch wenige Menschen, die mundartliche Wörter wie diese kennen oder verwenden. Als Kinder noch auf der Straße spielten und Wochenmärkte noch viele Besucher hatten, war Platt die dominierende Sprache des Alltags. Ob jemand aus Fischeln, Oppum, Hüls oder Uerdingen stammte, verriet der Dialekt. Doch für Heinz Webers ist Mundart beileibe nicht out: Der 89-Jährige betreibt eine Webseite mit einem Krieewelsch-Wörterbuch und Hörbeispielen, sammelt Mundarttexte und bringt regelmäßig neue Büchlein im Hosentaschenformat heraus. Warum er Beamtenwitze mag und Schimpfwörter liebt, erfahren wir bei selbst gemixter Rhabarberschorle in Bockum.

Wenn Heinz Webers erzählt, schleichen sich immer wieder krieewelsche Redewendungen in sein Hochdeutsch. Bis eben sei er noch „op jöck“, also unterwegs gewesen – wie sich das für einen Rentner gehöre, sagt er augenzwinkernd und geht in die Küche des Reihenhauses, um Wasser und Saft zu holen. Während er mit ruhiger Hand die Getränke mischt, tauchen wir schon ein in die Biografie des ehemaligen Stadtinspektors, den er wohl auch nach Jahren im Ruhestand nicht verleugnen kann. Das langärmelige Polohemd sitzt jedenfalls sehr akkurat, und die zahlreichen Bücher in den Nussbaumholz-Regalen sind nach Themen sortiert und stehen alle aufrecht. Mit feiner Ironie schreibt der Sprachaktivist in seinen Werken über sich selbst: „Im April 1935 hat Heinz Webers am Rande der Krefelder Innenstadt, genau gesagt in der Seidenstraße, das berühmte Licht der Welt erblickt. Im zarten Alter von sechs Jahren ‚zogen‘ ihn seine Eltern zum Dießem, wo er bis 1960 original Dießemer Platt in sich aufsog. Er lernte Beamter bei der Stadt, war mit Leib und Seele Pfadfinder, einige Jahre Stadtjugendführer des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend und hatte schon immer Freude an der Mundart.“ Dabei sei Platt in seinem Elternhaus absolut verpönt gewesen, verrät er; oft habe es geheißen: „Sprech örndlech, du sollst mal was Richtiges werden!“ Man wollte schließlich nicht zum „Pongelsvolk“, den sogenannten armen oder gar minderbemittelten Leuten, gehören.

Der Urkrefelder bewegt sich schon früh zwischen den Sprachwelten: Auf dem Schulhof wird nur Platt gesprochen, die Kaufmannsschule am Nordwall, wo er die Prüfung in Stenographie nur dank einer „großzügigen Lehrerin“ besteht, zeigt sich durchwachsen, und während der Ausbildung in der Krefelder Stadtverwaltung ist Hochdeutsch selbstverständlich. „Manchmal rutschte ich aber aus Versehen ins Platt und merkte, dass der Kontakt dann besser läuft – Mundart ist eben gemütvoller als Hochdeutsch, man fühlt sich wohl damit“, berichtet er mit glänzenden Augen. „Ich musste einmal im Liegenschaftsamt einem Bauern ein Stück Land abkaufen, und der wollte und wollte nicht. Bis ich zu ihm gesagt habe: Stellt öch net suo aan. Da hat er geantwortet: Jong, do kress dat Stöck.“ Seine Faszination für diese vielfältige Sprache, die wie viele andere Dialekte vom Aussterben bedroht ist, springt schnell über. „In Krefeld wurde ja nicht überall genau die gleiche Mundart gesprochen. Oedingsch Platt (in Uerdingen) oder Fischelner Platt klingen anders als Krieewelsch, ganz zu schweigen vom Hölsch Platt (in Hüls), das bereits zum nördlich angrenzenden ‚kleverländischen‘ Sprachbereich gehört.“ Dass die Zeiten vorbei sind, in denen jedes Dorf und jeder Stadtteil seinen eigenen Dialekt pflegte, ist auch Heinz Webers bewusst. Trotzdem engagiert er sich immer noch für den Erhalt dieses Kulturgutes und versucht, Menschen aller Altersgruppen für Mundart zu begeistern. „Manchmal werde ich von Pessimisten gefragt, ob die Mundart tot ist“, berichtet der Sprachliebhaber. „Denen antworte ich: Nein tot noch nicht, aber sie liegt auf der Intensivstation.“ An dieser Stelle faltet er die Hände und lehnt sich weit zurück in seinem schlichten Mid-Century-Sofa – als wollte er auch körperlich ausdrücken, dass sein Kampf gegen das Verschwinden definitiv noch nicht vorbei ist.

Unzählige Bücher und Aktenordner füllen Webers‘ Arbeitszimmer.

Bis heute unterrichtet er Mundart in Krefelder Schulen, um die Sprache seiner Jugend an die nächsten Generationen weiterzugeben. Lehrende können die Aktion „En Schollstond op Krieewelsch“ formlos über die Webseite anfragen, das Konzept sei bewusst niederschwellig angelegt, so der ehemalige Pfadfinderführer: „Wir gehen für ein oder zwei Stunden in die Klassen, sprechen Mundart und animieren die Kinder, sich ebenfalls in Mundart zu versuchen. Es wird viel gelacht und gesungen und so ganz nebenbei auch gelernt, wie unsere Vorfahren dachten und lebten.“ Vor allem die jüngeren Grundschüler haben es Heinz Webers angetan: „Das macht richtig Spaß bei den Kleinen, meistens kriege ich sie schon bei der üblichen Begrüßung: Daarestiet!“ Er fängt leise an zu singen: „Et räejent, et räejent, de Panne werde naat“, es regnet, die Dachziegel werden nass. „Dann fragen sie: Was heißt denn Scheibenwischer auf Platt? Und ich muss erklären: Das Wort gibt es in der Sprache nicht – dat hät et damals net jejoeve.“ Mindestens genauso gern geht er mit Krieewelsch Platt auf die Bühne, auf Goldhochzeiten oder auch mal in ein Seniorenheim. „Da treffe ich dann sporadisch auf Menschen, die nach dem Krieg aus dem Osten geflohen sind. Die verstehen zwar nichts, finden es aber trotzdem gut, was ich erzähle“, sagt Webers verschmitzt und steht auf. Schließlich hat er sich auf unser Gespräch akribisch vorbereitet und mal eben sein Lebenswerk ausgebreitet.

In fast drei Jahrzehnten ist einiges zusammengekommen, der Tisch ist übersät mit säuberlich beschrifteten Ansichts-Exemplaren aller Bücher, Kalender und Quizkarten, an denen Heinz Webers jemals mitgearbeitet hat. Eselsohren oder vielleicht Kaffeeflecken? Fehlanzeige! Er wolle es halt „ordentlich haben“, gibt der Sprachforscher zu und testet spontan unsere Krieewelsch-Kenntnisse, indem er einen Begriff aus dem Ratespiel auswählt: Nopp. Oha, keine Ahnung. „Dooe es dä Nopp dooevan“, erklärt der Senior die genaue Redewendung. „So sagt man, wenn der Stoff abgegriffen wirkt und stellenweise glänzt: Das Neue ist eben davon, also weg. Und sinngemäß sagt man von einem älteren Menschen, dessen Kräfte schwinden, auch: Dä Nopp es av.“ Es geht direkt weiter im Crashkurs Platt mit einem Gedicht des Krefelder Heimatdichters Josef Brocker. Webers trägt die Zeilen von „Dodröm“ langsam und deutlich vor, sodass auch Nichtkrefelder den Sinn verstehen können. Man spürt seine jahrelange Erfahrung im Umgang mit Menschen und Mundart, die Freude am Vermitteln liegt ihm im Blut. „Das Gefühl, etwas übersetzen oder erklären zu müssen, ist in mir drin“, erklärt der langjährige Dozent am Studieninstitut für kommunale Verwaltung. Erst mit Anfang 70 habe er diese Tätigkeit aufgegeben, was ihm einen ironischen Kommentar des Oberstadtdirektors einbrachte: „Sie sind ja ein fleißiger Beamter – sowat jibbet ja gar nicht!“ Wir lachen gemeinsam.

Da der Dießemer nur wenige Mundartbeiträge selbst verfasst hat – zu finden in den Sammelbänden „Schüenen Duorieen“ und „Noch miehr Schüenen Duorieen“ – und die Alltagssprache lieber wiedergibt oder entsprechende Veranstaltungen moderiert, sieht er sich nicht als Autor an. Obwohl er einige Jahre als freier Redakteur für die Westdeutsche Zeitung unterwegs gewesen ist, aber das Thema wischt er bescheiden beiseite. Dass der Landschaftsverband Rheinland ihn 2012 für seine Verdienste mit dem Rheinlandtaler auszeichnete, erwähnt er erst gar nicht. Heinz Webers bezeichnet sich eher als Mundart-Manager und blickt besonnen auf seine Anfänge zurück: „Schon als Kind habe ich viel gelesen und mich für Sprache interessiert. Von meinem Schwiegervater Fritz Wassen konnte ich viel Platt dazulernen. Ebenso von den Mundartfreunden des KREIS 23, dem ich fast fünfzehn Jahre angehörte. 1997 gründete ich die Mundartgruppe des Ortsvereins Krefeld im Verein Niederrhein und war von 1998 bis 2012 Sprecher des von mir und einigen Mundartfreunden ins Leben gerufenen Arbeitskreis Mundart, Brauchtum und Volkskunde im Verein für Heimatkunde e.V. Krefeld.“ Das klingt etwas trocken, passt aber gut zur Mentalität eines Menschen, der sein Berufsleben in der kommunalen Verwaltung verbracht hat und bis heute die Laufbahnen und Titel beherrscht. Sorgfältig schreibt der Ex-Stadtinspektor die Abkürzung „St.Insp.apl.“ auf einen Zettel und lacht über die Anekdote, dass ein Besucher das Büroschild nicht durchschaute und nach Herrn Stinspapel fragte.

Es folgt ein Schnelldurchlauf durch eine Karriere bei der Stadt, wir springen vom Sozialamt zum Presseamt, lauschen Beamtenwitzen und hören, dass die Feierlichkeiten zur Philadelphiade, die Webers 1983 organisieren durfte, etwas „Wunderbares“ gewesen seien. „Da hat mich das Thema Mundart richtig gepackt“, resümiert er abschließend und philosophiert noch eine Weile über Begriffe wie Schlonk, Schlawiner oder Muulbaas, die neben dem Schimpfwörterbuch in seiner Hand auch im Online-Wörterbuch verzeichnet sind. Letzteres funktioniert übrigens in beide Richtungen – „man kann auch gucken, was ein hochdeutscher Begriff auf Krieewelsch heißt“ – und basiert auf dem von Mentor Willy Hermes herausgegebenen Krefelder Mundartwörterbuch.

„Jede Provinz liebt ihren Dialekt: Denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft.“ Diesen Satz schrieb Goethe in seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“. Und Menschen wie Heinz Webers arbeiten mit Herz und Fleiß daran, dass dies noch lange so bleibt!

Online-Wörterbuch und mehr: krieewelsch.de
Vergriffene Bücher in der Mediothek
Aktuelles Buch via heinz.webers@gmx.de


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Fotos: Felix Burandt
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