Birgid Harmes

Wie wird man eigentlich… Hebamme?

Das Pinard’sche Hörrohr ermöglicht es, die Herztöne des Babys im Mutterleib zu hören.

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“ Es ist einer der bekanntesten und schönsten Sätze von Hermann Hesse. Ob der Schriftsteller beim Schreiben des Gedichts auch an das jahrtausendealte Hebammenwesen dachte? Ein guter Start ins Leben wäre ohne diesen Berufsstand kaum denkbar: Hebammen sorgen für eine bestmögliche Betreuung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Wir sprachen mit der freiberuflichen Hebamme Birgid Harmes über das große Glück, jungen Müttern und Vätern zu helfen, als Familie zusammenzuwachsen. Welche Rolle Mut, Toleranz und Zuhören dabei spielen, erzählte uns die 60-Jährige entspannt in ihrer Wahlheimat Willich.

Ist das uralte Hebammenwesen ein Handwerk, für das man seit 2020 in Deutschland ein duales Studium braucht? Oder eine globale Kunst, die von der UNESCO zum Kulturerbe der Menschheit aufgenommen wurde? Für die freiberufliche Hebamme Birgid Harmes, die am Helios Klinikum Krefeld auch Geburtsvorbereitungskurse gibt, zählt eine gesunde Mischung aus Professionalität, Erfahrung und Zugewandtheit. „Geburtshilfe umfasst viel Handwerk, man muss mit den Händen spüren und ertasten können“, berichtet die gebürtige Niederrheinerin. „Doch genauso wichtig sind Empathie, soziales Gespür und das Bauchgefühl.“ Eine solide Ausbildung sei selbstverständlich, betont Harmes, während sie kreuz und quer durch die Stationen ihres Lebenslaufs springt und nebenbei ihre Tätigkeit als Kreisvorsitzende des Deutschen Hebammenverbands erwähnt. „Mit dem Bachelorabschluss, den man auch an der Hochschule Niederrhein erwerben kann, gibt es nun mehr Möglichkeiten, etwa in die Forschung zu gehen. Außerdem winkt mit dem akademischen Grad ein höheres Gehalt. Beides soll den Beruf attraktiver machen und dem aktuellen Mangel an Hebammen begegnen.“ Zur Diskussion um die Finanzsituation vieler Hebammen gibt sie ein klares Statement ab: „Nicht jede Kollegin hat einen gutverdienenden Partner, der diesen Beruf quersubventioniert. Ich kenne viele alleinstehende Hebammen, die nicht wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Sie müssen auch gesehen werden!“ Dieses politische Ehrenamt macht ihr sichtlich Spaß, sie schwärmt vom Austausch mit „tollen Frauen“ und der Chance, sich für den Berufsstand einzusetzen.

So wie sie uns intensiv durch runde Brillengläser über den großen Familientisch anschaut, die Hände locker übereinandergelegt, strahlt sie eine bewundernswerte Gelassenheit aus – kein Wunder, wird eine Hebamme doch als Ruhepol und Anker in emotionalen Zeiten gebraucht. Seit Jahrtausenden begleiten überwiegend Frauen – Schätzungen zufolge gibt es nur sechs bis 30 männliche Hebammen in Deutschland – werdende Mütter vom Beginn der Schwangerschaft über die Geburt bis zum Ende der Stillzeit. Sie unterstützen Familien beim Übergang in einen neuen Lebensabschnitt, übernehmen und veranlassen Vorsorgeuntersuchungen, beraten und begleiten bei Beschwerden oder der Wahl des Geburtsorts. Die UNESCO würdigt den Beruf mit folgenden Worten: „Neben ihren medizinischen und anatomischen Kenntnissen stützen sich Hebammen auf ihre Sinne: Betrachten, Berühren, Fühlen, Riechen. Anhand von Tastbefunden erfassen sie etwa die Größe, Lage und Vitalität des Kindes. Ihre Fähigkeiten und ihr Wissen wurden über Generationen hinweg bewahrt, weiterentwickelt und weitergegeben.“

Ein Erinnerungsstück an die Berufsanfänge vor mehr als 30 Jahren.

Wir tauchen ein in die persönliche Biografie von Birgid Harmes. 1964 in Wachtendonk geboren, will sie nach dem Abitur in Kempen zunächst Medizin studieren. „Doch mein NC reichte nicht aus“, erinnert sie sich und lacht. Dann eben Plan B, eine Ausbildung in der Krankenpflege. Ihren Kindheitstraum, Hebamme zu werden, verliert sie dabei nicht aus den Augen. Zwei Jahre lang arbeitet sie als Krankenschwester, verbringt Zeit in der Gynäkologie und auf der chirurgischen Frauenstation, bis sie Ende der Achtzigerjahre endlich an der renommierten Hebammenschule in München angenommen wird. Der Umzug in die Großstadt erweist sich für das bodenständige „Landei“ als großartige, wenn auch finanziell herausfordernde Phase: „Es war eine andere Zeit, wir durften weder Lidschatten noch Nagellack tragen, Überziehkittel waren Pflicht! Unter Lehrhebamme Marianne Pampuch mussten Schülerinnen sogar ihren Vornamen ändern, damit es keine Verwechslungen gab.“ Leidensdruck verspürt sie dennoch nicht, es geht eher pragmatisch zu: Die damals 25-Jährige jobbt bei McDonald’s, sie verkauft ihr Auto, weil sie direkt in der City in einem „Zweibett-Zimmer mit Waschgelegenheit für 180 D-Mark“ Miete wohnt, und erlernt Basisfähigkeiten, um Frauen und Familien zu begleiten. „Kenntnisse in Anatomie und Pflege hatte ich ja schon, weil ich als gelernte Krankenschwester im zweiten Lehrjahr einsteigen durfte. Wir haben auch Windeln gefaltet, Tupfer gedreht, die Kreißsäle frisch gemacht – und gemeinsam mit Brezen in der Hand das Oktoberfest besucht.“

Bei dieser Anekdote lächelt sie in sich hinein und resümiert: „Die Zeit in Bayern war prägend, aber sehr wertvoll. Damals konnte man sich noch Zeit nehmen und eine echte Zuwendung entwickeln. Aber ich denke, die gibt es heute auch noch.“ Ihre Augen leuchten. Mit Siebenmeilenstiefeln rasen wir durch drei Jahrzehnte Berufserfahrung in verschiedenen Hospitälern und als Verwaltungsangestellte im Bereich Frühe Hilfen. Den Traum einer eigenen Praxis realisierte sie nie. Und auch wenn sie die Zahl der von ihr entbundenen Neugeborenen nicht beziffern kann, hat sie unzählige Geschichten zu erzählen: vom ersten Kind, das sie 1991 allein auf die Welt geholt hat, von Männern im Kreißsaal, die in einer Zeit ohne Smartphones Filmkameras aufbauen, Gummienten zu Wassergeburten mitbringen oder in Badehose in die Wanne einsteigen, von spannenden Beckenendlagegeburten, bei denen angesichts der Seltenheit der Puls steige, vom Aufbau einer Wochenbettambulanz am Helios in Krefeld, wunderbaren Chefs und Kolleginnen – und immer wieder Freundschaften, die entstanden sind. Parallel dazu hat Birgid Harmes es geschafft, 2017 ein Bachelor-Studium der Hebammenkunde in Köln abzuschließen – ein Schritt, den sie bis heute nicht bereut: „Ich bin wissensdurstig, wollte wieder etwas für mich tun. Diese Kombination aus evidenzbasiertem wissenschaftlichen Arbeiten und philosophischen Aspekten, wie sie an der Hochschule unterrichtet wurden, habe ich als sehr bereichernd und wertvoll empfunden.“

In der Regel sollten sich Frauen bereits ab der 8. Schwangerschaftswoche an eine Hebamme werden. Birgid Harmes weiß, dass Schwangere eine „aufregende, spannende und wundervolle Zeit“ vor sich haben und möchte in dieser Umbruchssituation alle Beteiligten unterstützen. „Wenn Fragen oder Unsicherheiten auftauchen, freue ich mich jederzeit über einen Anruf. Oft geht es darum, gut zuzuhören und die Selbstkompetenz, das Vertrauen in den eigenen Körper zu stärken. Und nicht immer sollte man sich durch die perfekte Welt in den sozialen Medien stressen lassen. Wir gehen diesen Weg gemeinsam“, fasst die erfahrene Hebamme ihre Arbeitsphilosophie zusammen. Mit einem Zitat des französischen Gynäkologen Frédérick Leboyer, bekannt als Vater der sanften Geburt, entlässt uns die dreifache Mutter ins Wochenende: „Das Fest der Geburt darf man feiern!“ Damit aus einem guten Beginn ein gutes Leben wird.

Fotos: Felix Burandt
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