Heroes in Krefeld

Anas Sabsabi & Refuture e. V.: Flucht in die Zukunft

Anas Sabsabi und Sinan Yavuz (oben rechts) lernten sich an der Universität kennen.

Alles aufzugeben, was man hat, sein gewohntes Leben, seine Heimat und Familie hinter sich zu lassen, um sich auf den gefährlichen Weg in eine unbekannte Zukunft aufzumachen: Für die Allermeisten von uns ist das ein unvorstellbares Szenario. Unzählige junge syrische Männer fanden sich 2015 aber in genau dieser Situation wieder: Wirtschaftliche, innenpolitische und soziale Missstände hatten ihr Land in das Chaos eines Kriegs gestürzt, der bis heute mit unverminderter Härte tobt und jede Zukunftsperspektive unter einem Berg von Schutt begraben hat. Als Alternative zum Militärdienst blieb ihnen nur die Flucht. Hunderttausende machten sich auf den beschwerlichen Weg nach Europa. Unter ihnen auch Anas Sabsabi mit seinen Freunden.

„Ich wusste schon während meines Studiums, dass ich eines Tages nach Deutschland gehen würde“, lächelt der 33-Jährige. „Mein Professor hatte hier studiert und immer in den glühendsten Tönen von diesem Land gesprochen.“ Anas ist Telekommunikationsingenieur und Familienvater, arbeitet als Projektmanager für ein großes Netzunternehmen. Zusammen mit Tarek Homsi, Sinan Yavuz und Amer Shurbaji sitzt er heute in den Räumen des von ihm gegründeten Vereins Refuture e. V. in der Krefelder Innenstadt. Der Name des Vereins ist ein Spiel mit den Wörtern „refugee“, also „Flüchtling“, und „future“, ein Claim bringt die Mission des Vereins auf den Punkt: „Together to achieve our goals“. Gemeinsam Ziele erreichen: Seit seiner Gründung 2019 setzt sich Refuture ehrenamtlich dafür ein, vor allem syrischen, zuletzt aber auch verstärkt ukrainischen Flüchtlingen dabei zu helfen, sich in Deutschland zurechtzufinden: Sie organisieren mit Unterstützung der Stadt verschiedene Kurse, helfen bei Behördengängen und vermitteln wichtige Kontakte. „Wir begreifen es als unsere moralische Verpflichtung, unseren Landsleuten dabei zu helfen, sich eine Zukunft in Deutschland aufzubauen“, erklärt der Vereinsvorsitzende und sein freundliches Lächeln schwindet für einen Augenblick. „Derzeit gibt es in Syrien nämlich keinerlei Perspektive mehr für junge Menschen. Und ich glaube nicht, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird.“

V. l. n. r.: Tarek Homsi, Sinan Yavuz und Amer Shurbaji.

Anas weiß, wovon er spricht: Als der Bürgerkrieg 2015 eine neue Eskalationsstufe erreichte und der Militärdienst drohte, fasste er gemeinsam mit seinen Freunden, zu denen auch Tarek gehört, den Entschluss zu fliehen. Ihr Ziel ist Deutschland, das Land, in dem man so gut studieren und später arbeiten kann. „Ich habe schon immer gern organisiert, also habe ich für unsere Gruppe den Plan geschmiedet und die verschiedenen Kontakte geknüpft“, erinnert er sich. In aller Heimlichkeit machten sie sich auf den Weg, ohne das Wissen der Eltern: „Wenn ich ihnen von meinen Plänen erzählt hätte, hätten sie es mir aufgrund der Gefahren verboten“, erklärt Anas. Von der Türkei, in die sie noch legal einreisen durften, ging es nach Griechenland und von dort über die Balkanstaaten nach Österreich und Deutschland. Auf dem Weg ertranken sie beinahe im Mittelmeer, als der Motor ihres hoffnungslos überladenen Boots ausfiel und sie dazu zwang, bis ans Festland zu rudern. „Die Überfahrt sollte eine Stunde dauern, stattdessen dauerte sie sieben“, berichtet Anas. In Serbien wurde die etwa 15-köpfige Gruppe schließlich ausgeraubt, verlor all ihr Geld und ihre Papiere. Die Freunde schmunzeln und lachen, wenn sie sich an die Strapazen zurückerinnern und kleinere Anekdoten rekapitulieren. „Rückblickend ist es leicht, darüber zu lachen, aber damals empfanden wir das natürlich nicht als komisch. Wir sind heute nur heilfroh darüber, dass alles glimpflich ausging“, bestätigt Amer, der sich als 20-Jähriger sogar ganz allein auf den langen Weg nach Deutschland machte. Im Verein ist er unter anderem für die passende Weitervermittlung der eingehenden Anfragen zuständig. Über drei Wochen waren die jungen Syrer unterwegs, bevor sie in Bayern über die deutsche Grenze stolperten und sofort von der Polizei in Gewahrsam genommen wurden. Anas schmunzelt angesichts der Ironie, dass die Festnahme ausgrechnet in einem Ort namens Freilassing erfolgte. „Aber wir hatten damit unser Ziel erreicht. Und wir beantragten sofort Asyl.“ In seiner ersten Flüchtlingsunterkunft angekommen, ruhte sich Anas nicht etwa aus: Stattdessen packte er seine Bücher aus und begann, Deutsch zu lernen.

Anas‘ Geschichte – aber auch die seiner Freunde – ist eine Erfolgsgeschichte. Dass er in Deutschland angekommen ist, ein Masterstudium absolviert hat, erfolgreich im Beruf ist, dazu glücklicher Ehemann und Vater, verdankt er keinem anderen als sich selbst. Er weiß, was er will, kennt seine Fähigkeiten sehr genau, ist intelligent, kommunikativ, charismatisch und zuvorkommend. Wahrscheinlich würde er überall auf der Welt seinen Platz finden. Aber er weiß auch, dass viele seiner Landsleute nicht so privilegiert sind und der Hilfe bedürfen. Hilfe, die rar gesät ist. „In Syrien ist es für junge Leute noch immer üblich, dass sie die Laufbahn ihrer Eltern einschlagen“, gibt er einen Einblick in seine Kultur. „Sie bemerken dann oft erst während des Studiums, dass ihnen ihr Fach überhaupt keine Freude macht – oder sie keine Begabung dafür haben. Wenn wir ihnen hier erklären, dass sie sich nur nach ihren eigenen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Wünschen zu richten haben, ist das für viele eine ganz neue Erkenntnis. Wir zeigen ihnen auf, welche Möglichkeiten der Selbstentfaltung sie überhaupt haben. Und bringen sie dann in Kontakt mit Studenten der verschiedensten Fachrichtungen.“ Anas und seine Vereinsmitstreiter spenden aber nicht nur lebensanschauliche Hilfestellung für Menschen, die nach der Flucht Orientierung brauchen, sie liefern auch ganz konkrete Unterstützung in Form eines umfassenden Kursangebots, das in Kooperation mit Schulen und städtischen Organisationen sowie einem gut ausgebauten Netzwerk an Referenten ausgerichtet wird. „Der erste Sprachkurs, den wir 2019 hier anboten, war mit 180 Teilnehmern sofort restlos überbucht“, erinnert sich Sinan an die Anfänge von Refuture: Zeichen dafür, dass die Syrer ein riesiges Bedürfnis erkannt und passend bedient hatten. Neben zertifizierten Sprach- und Mathekursen für Kinder und Erwachsene, Gruppen und Einzelpersonen, richtet Sinan, der bereits in dritter Generation in Deutschland lebt und Anas an der Uni kennenlernte, Office- und Programmierkurse aus. Derzeit arbeitet Refuture an einem neuen Kursangebot speziell für Frauen.

An eine Syrerin muss Anas auch denken, als er nach einem besonders schönen Erfolg der noch jungen Vereingeschichte gefragt wird: „Das Mädchen hatte in Syrien angefangen, Wirtschaftsinformatik zu studieren, auf der Flucht aber alle Zeugnisse und Zertifikate verloren, die es brauchte, um hier weiterstudieren zu können“, erläutert Anas. „Dank unserer Kontakte zur Fachhochschule gelang es uns, für sie einen Eignungstest zu erwirken, in dem sie ihr Fachwissen unter Beweis stellen konnte. Das Mädchen durfte also weiterstudieren – und engagiert sich heute selbst bei uns im Verein.“ Anas lächelt auf seine zurückhaltende, höfliche Art, sichtlich glücklich über das, was er erreicht hat – sowohl persönlich als auch mit dem Verein, dessen Engagement in der Stadt und der arabischen Community geachtet und geschätzt wird. Sein Heimatland ist für ihn immer noch unzugänglich: Sein Blick wendet sich nach innen, als er darüber spricht, an die vielen Menschen in Syrien denkt, die sich verzweifelt an die Hoffnung klammern, dass es nach dem Krieg wieder besser wird. Aber die Traurigkeit ist nicht von Dauer. Anas hat sich in Deutschland längst eine neue Heimat für sich und seine Familie aufgebaut – und vielen anderen bei der schwierigen Grundsteinlegung geholfen.

refuture-ev.de
E-Mail: info@refuture-ev.de
Spendenkonto: Refuture e. V.
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BIC: SPKRDE33XXXX


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Fotos: Felix Burandt / Grafik: Michael Strogies
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