Susanne Swillens

Wie wird man eigentlich… Tätowiererin?

Susanne Swillens und ihre Mitarbeiterin Kimberley.

Kunst am Körper: Seit Jahrtausenden kennen Menschen weltweit Bilder, die mit spitzen Gegenständen und Farbpigmenten in die Haut gezeichnet werden. So weist bereits die 5.300 Jahre alte Gletschermumie Ötzi über 50 Tätowierungen auf. Die uralten Methoden der Inuit, Maori oder Maya wirken auf uns eher rabiat – heute stechen fachkundige Tätowierer mit dünnen Nadeln und viel Feingefühl. Susanne Swillens lernte ihr Handwerk in einer professionellen Ausbildung und führt nun ein Tattoostudio in Krefeld. Was sie glücklich macht, warum sie Krieewelsch mag und worum es bei Tätowierungen eigentlich geht, erzählte sie uns gelassen bei einer Limonade.

Als wir an diesem Montag das oldschool angehauchte Studio „Just Ink“ an der Sternstraße betreten, überwältigt uns eine Flut von Bildern an den grün gestrichenen Wänden. Porträts, Landschaften und gerahmte Tattoomotive lassen die Augen wandern. „Die habe ich über Jahre hinweg auf Flohmärkten gesammelt“, erklärt uns Inhaberin Susanne Swillens den Zweck mit hörbarem Stolz. „Wer sich von uns ein Tattoo stechen lässt, verbringt schließlich wertvolle Zeit im Studio. Die Dekoration schafft nicht nur eine angenehme Atmosphäre, sondern ist auch mit einem nicht ganz ernst gemeinten Suchauftrag verbunden. Denn ein Bild ist zufällig doppelt vorhanden.“ Wir finden es nicht auf Anhieb.

Die 55-jährige Krefelderin kann ein schelmisches Lächeln nicht vermeiden, und die vielen kleinen Lachfältchen um ihre dezent geschminkten Augen verraten, dass sie gern und oft lächelt. In ihrem Job sei neben dem künstlerischen Talent und Herzblut eine ordentliche Portion Empathie gefragt: „Man fasst sich an und kommt sich nahe, das erfordert Intimität. Ein Tattoo ist für die Ewigkeit, die Chemie zwischen Kunde und Tätowierer muss stimmen.“ Wir werden im Laufe des Gesprächs erfahren, dass Swillens und ihr kleines Team oft deutlich heftigere Geschichten über das Leben hören, als wir es vom üblichen Smalltalk beim Friseur kennen. „Die Anlässe für eine Tätowierung sind sehr vielfältig und meist Ausdruck einer intensiven Erinnerung“, weiß Swillens und zählt eine Reihe von gefragten Motiven auf: „Geburts- und Sterbedaten, Namen von Kindern oder Haustieren, Hochzeitstage, auch das Logo des Lieblingsvereins.“ Ihre Augen leuchten.

Dass jemand spontan den Laden betrete und schnell ein Motiv aus einem Katalog auswähle, komme bei „Just Ink“ nicht vor. „Wir arbeiten nur nach Termin und nehmen uns ausgiebig Zeit für eine vorherige Beratung. Das Motiv zeichnen wir individuell für den jeweiligen Kunden, nachdem wir gemeinsam herausgefunden haben, was zum eigenen Style am besten passt.“ Swillens muss kurz lachen, als sie erwähnt, dass Krefeld eher eine „Blümchenstadt“ sei. Der Grund: „Tätowierungen sind abhängig von Trends und gängigen TV-Formaten. Und es macht einen Unterschied, ob ich in einem Dorf oder in einer Großstadt lebe. Man orientiert sich beim Körperschmuck halt auch an anderen Menschen.“ Der Zeitbedarf für das Stechen des so genannten Custom Tattoos liege bei einer Viertelstunde für ein kleines Motiv bis zu sechs Stunden für ein großflächiges Kunstwerk. Mit festem Blick nennt uns die Inhaberin die Voraussetzungen für eine gute Tätowierung: „Eine sehr ruhige Hand, schnelle Nadeln, große Kunstfertigkeit, strenge Hygiene und Konzentration.“ Wenn sie das Studio um 12 Uhr öffne, plane sie allein eine Stunde für die Vorbereitung ein.

Susanne Swillens ist ein entspannter Mensch, sie wirkt in ihren Blue Jeans und den schwarzen Stiefeln von Dr. Martens sehr geerdet. Doch plötzlich wird die sonst unaufgeregte Frau fast wütend, als wir auf das Thema Ausbildung zu sprechen kommen. „Es müsste verboten werden, dass sich jeder einfach eine Maschine kaufen und selbst tätowieren darf“, sagt sie nachdrücklich. Leider sei die Ausbildung zum Tätowierer in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. „Aus meiner Sicht ist es notwendig, den Beruf von der Pike auf zu lernen.“ Denn es ginge ja nicht nur darum, Vorlagen zu zeichnen und die Tätowiermaschine zu beherrschen, auch das Sterilisieren von Arbeitsplatz und Materialien müsse penibel umgesetzt werden. „Tattoo-Meister schulen ihre Lehrlinge über Jahre an Schweine- und Kunsthaut, bis sie in der Lage sind, eigene Tattoos sauber zu stechen. Meine Mentorin stammt aus Thailand und erkannte mein Talent, als sie einen Blick auf Bilder von mir warf.“ Die Mutter eines Sohnes erfindet sich schlicht neu und lässt sich zur Tätowiererin ausbilden – unbezahlt.

Wir tauchen ein in eine Biografie, die nicht ganz geradlinig verläuft, aber doch konsequent genannt werden kann. „Nach der Schule wollte ich Modedesign studieren, ich habe viel gemalt und gezeichnet“, erinnert sich die gebürtige Krefelderin. „Wegen fehlender Unterstützung entschied ich mich für den erstbesten Ausbildungsplatz: Zahnarzthelferin.“ Der ungeliebten wie nützlichen Lehre folgen Stationen als Sekretärin, Assistentin der Geschäftsführung und Disponentin. Von der Arbeit bei einem Radiosender schwärmt die Geschäftsfrau bis heute, doch noch ist sie nicht am Ende ihrer Vita angekommen. „Mir war klar, dass ich kreativ und selbstständig arbeiten will“, erklärt sie den Schritt, eine Ausbildung zur Multimediagestalterin anzuhängen. „Danach habe ich fast rund um die Uhr Webseiten und Werbung für Unternehmen entworfen. In meiner Freizeit habe ich immer nebenbei gemalt und von einem eigenen Atelier geträumt.“ Sich im Leben Träume zu erfüllen, dafür sei es nie zu spät, betont Swillens und fügt zufrieden hinzu: „Tätowiererin ist mein absoluter Traumberuf!“

Dass sie sich mit Farben gut ausdrücken kann, beweist ihr eigener Körper. Die filigranen Finger sind mit feinen Punkten und Linien verziert, auf der rechten Hand streckt die Hindu-Göttin Kali die Zunge heraus, und wir sehen eine knallbunte Ganesha, Drachen, Blumen und viele Oldschool- Motive. „Die Kirschblüten am linken Bein werde ich niemals entfernen“, ist Swillens überzeugt. „Das ist das allererste Tattoo, das ich mir selbst gestochen habe.“ Eine große Überwindung, an die sie sich ein Leben lang erinnern will. Ihre Leidenschaft gehört besonders den Cover-Up-Tattoos, die Narben oder veraltete Motive überdecken sollen. „Ich mag die Herausforderung, etwas Schönes zu schaffen – und meine Kreativität mit logischem Denken zu kombinieren“, sagt die erfahrene Künstlerin selbstbewusst. „Neulich kam ein junges Mädchen zu mir, dem ein Kollege einfach eine schwarze Billardkugel übertätowieren wollte. Wir haben etwas gefunden, das viel besser mit ihrem zarten blonden Typ harmonierte.“ Da strahlt sie wieder.

Wer als Neuling mit dem Gedanken spielt, sich ein Tattoo stechen zu lassen, liegt im Trend, wie aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov hervorgeht. Demnach ist jeder fünfte Erwachsene in Deutschland tätowiert, bei Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 40 liegt der Anteil bei mehr als 40 Prozent. Definitiv vorbei ist auch die Zeit des Klischees, dass Tattoos bloß für Seemänner oder verwegene Leute seien – denn mehr als ein Viertel der Erwachsenen sagt, den Anblick von Tätowierungen „sehr schön“ oder „schön“ zu finden. Swillens versichert, dass es wegen der schmerzfreien Technik oft nicht bei nur einer Tätowierung bleibe: „Schon beim Verlassen des Studios raunen fast alle, dass es ja gar nicht so schlimm war.“ Sie freut sich sichtbar über ihre „Wiederholungstäter“.

„Bilder von dir überdauern bis in alle Zeit.“ In der Debütsingle von Laith Al-Deen aus dem Jahr 2000 ging es um Erinnerungen, die ewig bleiben. Mit einem Tattoo kann man sie sichtbar machen. Bis zum Lebensende.

Ausstellung
Am 23. Juli von 12 bis 18 Uhr lädt Susanne Swillens herzlich in ihr neues Atelier J-I creative space auf der Sternstr. 20 ein. Sie wird dort zu Fingerfood und Getränken eine Auswahl ihrer eigenen Bilder präsentieren.

Just Ink Tattoo
Sternstr. 20
47798 Krefeld
just-ink-tattoo.de

Facebook: Just Ink Tattoo
Instagram: just_ink_tattoo_krefeld

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