Zehn Jahre Taiwan Do Training im Marianum

Atemübungen vor der Mathe-Arbeit

Christian Focke beginnt jede Trainingseinheit mit Meditation und Atemübungen.

Atmung, Haltung und Konzentration, das sind drei wichtige Säulen des Taiwan Do Trainings. Dazu kommen Bewegung und Praktische Lebensphilosophie. Damit möchte die vor über 40 Jahren gegründete Taiwan Do Akademie modernen Menschen einen Weg aufzeigen, dem hektischen Alltag etwas entgegenzusetzen. Und das ist nicht nur ein Angebot für gestresste Berufstätige. Denn wie wir wissen, setzt Stress heute bereits oft bei Kindern und Jugendlichen ein. Nicht umsonst gibt jeder zweite Jugendliche an, häufig, oder sogar sehr häufig, gestresst zu sein. Und wenn das schon bei Kindern, die in behüteten Verhältnissen aufwachsen, der Fall ist, um wie viel schwieriger ist das Leben für Jungen und Mädchen, die fern vom eigenen Elternhaus in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung leben?

Aus diesem Grund hatte die Taiwan Do Akademie bereits in den 1980er-Jahren ein mehrjähriges Pilotprojekt in einem Düsseldorfer Kinderhilfezentrum durchgeführt, und dort sehr gute Erfolge mit den Angeboten Tai Chi Chuan und Kung Fu Wu Shu gemacht. Bei Kung Fu Wu Shu handelt es sich um eine traditionelle ostasiatische Kampfkunst. Tai Chi Chuan ist eine chinesische Gesundheitslehre.

Beide verbinden „innere und äußere Übungen“, trainieren gleichermaßen Körper und Geist. Und beide Übungssysteme werden seit inzwischen zehn Jahren auch im Krefelder Marianum angewendet. Hier trainiert Christian Focke, der über den 7. Toan (Meistergrad) verfügt und den Titel „Kong Shi Fu“ (Nachfolger) führt, regelmäßig eine Gruppe von zehn bis zwölf Kindern und Jugendlichen.

„In das Training starten wir immer mit Meditation und Atemübungen, damit die Kinder erst einmal ankommen. Dabei beginnt das Training, bevor es angefangen hat, mit dem gemeinsamen groß Aufbauen der Matten. Denn auch dadurch wird bereits soziale Kompetenz entwickelt“, ist Focke überzeugt. „Die Kinder im Marianum haben alle ihre Päckchen zu tragen und sind daher oft sehr sensibel, leicht erregbar und anfällig für Störungen. Klare Regeln geben ihnen Halt und die Möglichkeit, die Emotionen im Griff zu behalten.“ Dazu zählt für Focke zum Beispiel, dass während des Trainings nicht geflucht wird, und nicht über andere Kinder gelacht, wenn jemand eine Übung mal nicht so gut macht. „Gegenseitiger Respekt ist eine Grundlage unserer Gruppe. Auf diese Weise ist es nur selten nötig, dass ich Sanktionen ausspreche, wie zum Beispiel Straf-Liegestützen. Und es kommt fast nie vor, dass ich ein Kind von einem Erzieher abholen lassen muss“, freut sich Focke.

Unterstützung beim Training erhält Focke durch die 14-jährige Lia Sengstock.

Unterstützt wird Christian Focke von der 14-Jährigen Lia Sengstock als Assistentin. Lia hat einen Blaugurt in Kung Fu Wu Shu und hilft dem Trainer vor allem bei der Betreuung der Mädchen in der Trainingsgruppe. „Gerade in einer Einrichtung wie dem Marianum weiß ich nicht, was die Mädchen bereits erlebt haben, und möchte ihnen daher nicht zu nahe kommen“, begründet er. Dass Focke mit seinem Taiwan Do Training einen positiven Einfluss auf die Kinder hat, bestätigt auch Einrichtungsleiterin Beatrix Raedt. „Viele Kinder bei uns haben Probleme, sich zu konzentrieren. Dabei hilft ihnen Taiwan Do auf jeden Fall. Ein Fünfzehnjähriger, der bereits lange mittrainiert, nutzt zum Beispiel die Atemübungen, um sich vor Mathe-Arbeiten zu beruhigen“, erzählt sie, „und manche Ehemaligen sagen mir, wenn ich sie nach Jahren wiedertreffe, dass das Taiwan Do Training einer der großen Pluspunkte ihres Aufenthalts bei uns war.“

Im Marianum leben aktuell 84 Kinder und Jugendliche bis zu einem Alter von etwa 20 Jahren. Als stationäre Jugendhilfeeinrichtung hat das Marianum die Aufgabe, Kindern eine Heimstatt zu geben, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bei ihren Eltern wohnen können. Gegründet wurde das Haus bereits vor 165 Jahren von der „Katholische Armenverwaltung Krefeld“, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kindern aus einem benachteiligten Umfeld zu guten Startchancen im Leben zu verhelfen. Damit denken die Träger des Marianum grundsätzlich in die gleiche Richtung wie Mario Frerker, dem Gründer der Taiwan Do Akademie, der sein Training bewusst auch für Kinder und Jugendliche konzipiert hat.

Taiwan Do-Leiter und Shi Zhu Mario Frerker weiß, wie sinnvoll das Erlernen einer Kampfkunst gerade für junge Menschen sein kann.

„Kung Fu steht wörtlich übersetzt für ‚etwas durch harte, geduldige Arbeit erreichen‘ und bedeutet sinngemäß ‚das Bemühen, aus seinem Tun, seinem Leben und seinem Denken etwas Positives zu erschaffen‘, erklärt der Taiwan Do Leiter und Stilbegründer „Shi Zhu“ Mario Frerker die Philosophie hinter dem Kampfkunsttraining. „Tai Chi Chuan verstehen wir im Taiwan Do als ‚Bewegen nach universellen Prinzipien.‘ Das hilft vor allem dabei, eine innere Ruhe zu gewinnen.“ Dabei betont Frerker immer wieder, dass Kampfkunst für ihn einen Kampf miteinander und nicht gegeneinander bedeutet. „Wir wollen keinen Wettkampf, bei dem es darum geht, am Ende der Sieger zu sein“, stellt Frerker fest. „Bei uns gibt es keine Verletzungen und blaue Flecken. Kampf ist im Taiwan Do immer vor allem ein Kampf mit sich selbst. So gewinnt man ein hohes Maß an innerer Ruhe und Gestaltungsmacht. Wir lernen das Kämpfen, um es zu vermeiden. Das ist auch eine wichtige Fähigkeit für junge Menschen, die ihre Aggressionen so sinnvoll kanalisieren und sich weniger provozieren lassen.“

Taiwan Do Akademie
Moritzstr. 3
47803 Krefeld
Telefon: 02151 – 97 67 45 (täglich ab 15 Uhr)
taiwando.de

Marianum Krefeld
Hubertusstraße 226
47798 Krefeld
Telefon: 02151 – 8 07 80
marianum-krefeld.de

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