Antikauktion Krefeld

Der Stuhl des Zaren

Sebastian Marzeion, passionierter Auktionator und Fachmann für Porzellan und antike Kunst, zwischen seinen Schätzen.

Schatzkarten gibt es nur im Film. Die meisten Schätze werden üblicherweise auch nicht vergraben. Vielleicht schlummern sie etwas verstaubt in einem entlegenen Winkel des Kellers, aber eigentlich liegen sie ganz offen zu Tage und warten nur auf ihre Wiederentdeckung. Keiner weiß das besser als Sebastian Marzeion, Auktionator, Antiquitätenhändler und Inhaber von Antikauktion Krefeld: Er begutachtet und bewertet beinahe täglich alte Fundstücke, die Menschen ihm in der Hoffnung vorlegen, dass sie sich als Schätze entpuppen. In den meisten Fällen muss er sie zwar leider enttäuschen, aber hin und wieder gibt es sie doch, diese magischen Augenblicke, in denen er bemerkt, dass er etwas ganz Besonderes in den Händen hält …

Dieser Stuhl könnte eine von Zar Alexander II. in Auftrag gegebene Nachbildung des Originals sein, das bei einem Brand im Jahre 1837 den Flammen zum Opfer fiel.

Der Stuhl sieht etwas mitgenommen aus: Das Sitzpolster ist abgewetzt, die Goldbeschläge an Beinen und Armlehnen schon leicht angelaufen, das Holz ächzt wehmütig nach liebevoller Wellness-Behandlung. Ein altes Möbelstück sicherlich, aber wirklich etwas Wertvolles? „Der Herr, der uns die vier Stühle angeliefert hat, wies auf ihren Ursprung in einem gut betuchten russischen Haus hin, mit umfassender Kunst- und Antiquitätensammlung. Wir ahnten schon, dass sich dahinter möglicherweise eine spannende Geschichte verbirgt“, erinnert sich Marzeion. Ein auf Russisch abgefasster Zettel verwies verheißungsvoll auf den Winterpalast des Zaren Alexander II. in St. Petersburg sowie einen Maler namens Eduard Gaus und lieferte erste Ansatzpunkte für eine weitere Spurensuche. Die Internetrecherche ergab: Gaus malte einst alle Räume des besagten Palastes – und sein Bild des Arbeitszimmers zeigt ganz eindeutig einen jener Stühle, die nun in Marzeions vollgestopftem Krefelder Lager stehen. „1837 brach ein Feuer im Winterpalast aus, das Teile der Einrichtung zerstörte, darunter auch die fraglichen Stühle. Doch der Zar liebte sie so sehr, dass er sie kurz nach dem Brand zur Rekonstruktion in Auftrag gab. Wir vermuten, dass es sich bei unseren Stühlen um diese Nachbauten handelt. Zweifelsfrei beweisen können wir das nicht, der Aufwand ist zu groß. Stattdessen belassen wir es bei dieser Vermutung – und setzen mit dem Startpreis etwas niedriger an“, gesteht der Inhaber.

Durchaus auch ein psychologischer Kniff, denn die Andeutung wird die Sammler ganz schön anheizen. „Die Menschen, die zu einer Auktion kommen, suchen auch das Abenteuer. Für mich geht es daher nicht nur darum, gute Verkaufspreise für meine Kunden zu erzielen, sondern auch darum, den Bietern ein bisschen Spektakel zu bieten, das Gefühl, einen echten Schatz mit einer Geschichte zu erwerben – und vielleicht sogar, dabei den vermeintlich unwissenden Auktionator übers Ohr zu hauen“, lacht Marzeion.

Mit dem Verkauf von Taschenuhren begann Marzeions Laufbahn. Ein paar hat er immer noch in seinem Portfolio.

Die meisten seiner Bieter kommen heute aus China, Japan, Südkorea oder Russland und schalten sich über verschiedene Online-Portale live zu. Vorher informieren sie sich im Netz über die einzelnen Losnummern und haben dann – wie auch Sammler aus der Region, die die Vorbesichtigungstermine vor Ort nutzen – die Möglichkeit, Vorgebote abzugeben oder sich während der Auktion anrufen zu lassen. Manchmal muss Marzeion so Dutzende gleichzeitig auf verschiedenen Kanälen eingehende Gebote zur Kenntnis nehmen und blitzschnell berücksichtigen, ohne dabei den Überblick zu verlieren. „Ich liebe diese Hektik!“, sagt er, ohne eine Sekunde zu zögern. „Timing, Geschwindigkeit und Dramaturgie sind unheimlich wichtig. Die Bieter dürfen sich nicht langweilen. Sie müssen immer das Gefühl haben, sie könnten etwas verpassen.“ Antikauktion versteigert viermal im Jahr im Parkhotel Krefelder Hof. Regelmäßig kommen dabei rund 900 Losnummern unter den Hammer, vor allem Porzellan, klassische Kunst und Schmuck, aber auch antike Möbel oder französische Weine. Morgens um zehn geht es los, meist ist erst abends um 22 Uhr Schluss. Eine einzelne Versteigerung dauert dabei im Schnitt nicht länger als 45 Sekunden. Keine Spur der mondänen, ehrfurchtsvollen Behäbigkeit, mit der Auktionen in Spielfilmen regelmäßig ablaufen. „Das geht so: bäm, bäm, bäm“, beschreibt der Auktionator lautmalerisch, während seine Handkante durch die Luft schnellt.

Kein bekannter Maler, kein Hirsch, keine schöne Frau: Dieses Bild ist leider nichts wert.

Die Schätzchen, die er versteigert, kommen oft von Lieferanten, mit denen er zusammenarbeitet, aber vieles stammt immer noch aus Privathaushalten. „Wir veranstalten jede Woche kostenlose Schätztage, an denen Besitzer uns ihre Stücke vorlegen können. Wenn sie interessant für uns sind, bieten wir die Aufnahme zur Kommission in unsere Auktionen an. Das bedeutet, wir bekommen vom Einlieferer 20 Prozent vom Zuschlag“, erklärt Marzeion das Procedere. Das Wissen, die eingelieferten Antiquitäten bewerten zu können, hat sich Marzeion in vielen Jahren der Tätigkeit angeeignet. Eigentlich ist er gelernter Informatikkaufmann, aber nach Abschluss der Ausbildung jobbte er für einen Düsseldorfer Antiquitätenhändler und verkaufte klassische Kunst, hochwertiges Porzellan sowie alte Taschen- oder antike Standuhren. „In dem Markt war unglaublich Musik drin“, blickt Marzeion zurück. „Ich setzte mich mehr und mehr mit der Materie auseinander, machte mich schließlich selbstständig und hatte als Powerseller auf ebay teilweise bis zu 1.000 Auktionen laufen. Aber irgendwann wollte ich ein eigenes Ladenlokal haben – und die Lizenz als Auktionator erwerben.“ Das zwischenzeitlich begonnene Studium der Kunstgeschichte brach er irgendwann ab: „Ich hatte einfach zu viel zu tun!“, lacht er. Zumal das Netz mit seinen umfassenden Datenbanken längst hinreichend Möglichkeiten zur Recherche bietet. „Bei Schmuck bestimmen in der Regel Material und Verarbeitung den Preis. Bei Gemälden ist der Name des Künstlers wichtig. Ist der nicht bekannt, müssen Motiv, Qualität und Alter attraktiv sein. Die Erfahrung zeigt: Hirsche und schöne Frauen gehen am besten“, lacht er.

Besondere Expertise und einen Namen bei Sammlern hat Antikauktion Krefeld sich mittlerweile für hochwertiges antikes Porzellan erworben. „Asiaten sind geradezu verrückt nach Meißner- oder Herend-Porzellan, aber auch hierzulande ist es wieder im Kommen“, weiß der Kenner. Fotograf Luis stöhnt auf, als er ein grün verziertes Service im Bestand entdeckt: „Das habe ich neulich für einen Zehner auf dem Trödelmarkt verkauft“, sagt er. „Ist das etwa was wert?“ Marzeion muss nicht lange nachdenken: „Ein einzelner Teller bringt locker etwa 30 Euro. Beim nächsten Mal kommst du am besten erst zu mir!“, zwinkert er. Die Geschichten sprudeln jetzt nur so aus ihm heraus. Er zeigt uns einen echten Uecker, zu seiner sichtlichen Verzweiflung eingefasst in einen billigen Plastikrahmen mit Plexiglasscheibe. Besondere Einblicke gewährt ein anderes Bild: Die Künstlerin hat ihre nackte Brust eingefärbt und dann auf das Papier gedrückt. Für 800 Euro kann man sich das pikante Kunstwerk an die Wand hängen. Ein unscheinbares Papierröhrchen mit zwei optischen Linsen erweist sich als Teil eines Papiermikroskops aus dem 17. Jahrhundert. Ähnlich alt ist ein großformatiges, in Leder gebundenes Gesangbuch.

Unter den zahlreichen Gemälden befindet sich auch moderne Kunst: Hier ein echter Keith Haring.

Wir könnten so noch stundenlang stöbern, aber dann weist uns Marzeion auf ein eigenartiges, etwas anzüglich anmutendes Tongefäß hin: „Wegen dieses Stücks habe ich neulich einen Anruf der peruanische Regierung erhalten“, weckt er unser Interesse. „Sie hatte dieses wahrscheinlich 500 bis 700 Jahre alte Gefäß in meinem Online-Katalog entdeckt. Das Stück wird in Peru seit vielen Jahrzehnten vermisst. Wer weiß, welche Irrwege es genommen hat, bis es bei mir gelandet ist. Ich habe mich natürlich bereit erklärt, es zurückzugeben. Wenn sich der Verdacht bei einer Sachverständigenprüfung bestätigt, geht das Gefäß also zurück in seine Heimat nach Peru.“ Schätze lauern wirklich überall, man muss nur wissen, wo man nach ihnen zu suchen hat. Und anders als bei den Piraten mit ihren Schatzkarten stellt in Zeiten des Internets selbst ein Ozean kein echtes Hindernis mehr dar.

antikauktion-krefeld.de

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