Massimiliano Grande

Wie wird man eigentlich… Pizzabäcker?

Pizzabäcker-Europameister Massimiliano Grande mit seiner stolzen Chefin, Sorrento-Restaurantleiterin Rosa Alfano.

Denken wir an Italien, haben wir Dolce Vita im Sinn und Olivenöl auf der Lippe. Wir riechen Knoblauch in der Pfanne und hören Nudelwasser blubbern. Kein Wunder, dass das Land längst zur kulinarischen Weltspitze gehört. So ist „Pizza“ laut einer Studie das weltweit bekannteste italienische Wort, noch vor „Spaghetti“. Der runde Teigfladen aus Hefe, Mehl und Salz wurde vermutlich schon in der Antike zum ersten Mal zubereitet, richtig berühmt machten ihn jedoch die Pizzabäcker aus Neapel mit der Erfindung der Pizza Margherita vor gut 100 Jahren. Wir besuchten den besten Pizzabäcker Europas an seinem Lieblingsort: einem zitronengelben Ofen am Stadtmarkt. Und der Wahlkrefelder Massimiliano Grande verriet uns sogar ein Geheimrezept für zu Hause.

Sobald wir die Eingangstür des Restaurants „Piazza Sorrento“ an der Petersstraße hinter uns lassen, sind wir schon mitten in Italien: Die tiefblaue Bucht am Golf von Neapel verströmt Urlaubsgefühle, das Publikum ist bunt gemischt, die Geräuschkulisse italienisch lebendig, und an den Wänden hängen zahlreiche Urkunden und holzgerahmte Presseartikel. Dass Pizzabäcker Massimiliano Grande vor drei Jahren den Europameistertitel beim Wettbewerb „Pizze Stellate“ nach Krefeld geholt hat, ist wirklich nicht zu übersehen. Seine Liebe für gutes Essen auch nicht so ganz: Der gebürtige Italiener ist von kräftiger Statur, seine Hände wirken riesig, was aber gut zu seiner Arbeit passt, denn er verarbeitet täglich bis zu 60 Kilo Pizzateig für seine Gäste. „Selbstverständlich nur mit den Händen und ohne Nudelholz“, lächelt Grande, der sein Handwerk dort gelernt hat, wo die Pizza zum Kulturgut wurde: in Neapel.

In der Millionenstadt am Rande des Vesuvs sei Pizza nicht einfach Pizza, sondern echte Leidenschaft, verrät uns Massimiliano. Ananas als Belag? Auf gar keinen Fall, die Säure vertrage sich doch nicht gut mit den Tomaten! Gouda oder gar Billigkäse? Er schüttelt verständnislos den Kopf. „Wenn wir schon Käse verwenden, dann nur Fior Di Latte, hochwertigen Mozzarella aus Kuhmilch.“ Echte Fans wählten in Neapel nur zwischen der puristischen Marinara mit Tomaten, Knoblauch, Olivenöl und Oregano – ganz ohne Käse, wie wir auch in der Speisekarte nachlesen – oder der klassischen Margherita mit Mozzarella, Tomaten, Basilikum und Olivenöl. „Die Neapolitaner empfinden die Herstellung der neapolitanischen Pizza als heilig und spektakulär“, beschreibt das Bewerbungsvideo die Philosophie. Ihre Kunst sei von Geschmack, Folklore und Tradition geprägt, so der Sprecher, während im Bild ein Pizzabäcker den runden Teig in schnellen Kreisen über seine Finger hüpfen lässt. Diesen Trick hat natürlich auch Massimiliano Grande drauf, wie er uns unglaublich entspannt vor dem Pizzaofen mit der Aufschrift „Sorrento“ demonstriert. Er liebt seine Arbeit so sehr, dass er auch mitten im Gespräch immer wieder kurz verschwindet, um „nach dem Teig zu sehen“.

Für den Wahlkrefelder war der Weg an die Spitze der Pizzakunst nicht immer geradlinig, aber am Ende doch konsequent. In Neapel geboren und in einer Familie aufgewachsen, in der es nur Küchenchefs gibt, zieht es ihn früh selbst an den Herd. „Ich habe während der Sommerferien in kalabrischen Restaurants ausgeholfen und wollte unbedingt Koch werden“, berichtet er mit glänzenden Augen. „Schon als Kind war Essen meine Passion.“ Doch der Vater habe seine „goldenen Hände“ erkannt und gesagt: „Du musst Pizzabäcker werden!“ Also wird er mit 14 Jahren zum Pizzaiulo geschickt: Massimo darf Mozzarella schneiden, Kartons falten oder Teig zubereiten, bis man ihn schließlich auch an den Ofen lässt, wo er zunächst Pizza für das Personal herstellen soll. „Das ist der schwierigste Teil“, betont Restaurantchefin Rosa Alfano nicht ohne Stolz. Nach 60 bis 90 Sekunden im 470 Grad heißen Ofen sei die Delikatesse bereits fertig, da könne manches schief gehen. Aber für Massimo ist Pizzabacken „keine Arbeit, sondern Leidenschaft“. Eine überraschende Kündigung stellt sich für den Teenager als Glücksfall heraus: Der Lehrling kann den Platz seines Ausbilders übernehmen und produziert gut 15 Jahre lang neapolitanische Pizza. Immer in Handarbeit, 250 Stück am Tag, samstags bis zu 700, beim gleichen Arbeitgeber „Sprint Pizza“ in Neapel.

Kein Wunder, dass Grande nach so langer Zeit das Geheimnis einer guten Pizza kennt: Es ist vor allem der Teig, der nur aus Wasser, verschiedenen Mehlsorten und einer winzigen Menge Hefe besteht. „Der geringe Hefeanteil sorgt auch dafür, dass die Pizza besser verdaulich ist“, weiß der Pizzameister. Das Mehl mische er täglich von Hand, und der Teig muss bei ihm „zwei Tage ruhen, mindestens 36 Stunden“. Zum Nachbacken zu Hause empfiehlt er folgende Zutaten: Ein Kilogramm Mehl, nur fünf Gramm Hefe, 600 Milliliter Wasser, 25 Gramm Salz und drei Esslöffel Olivenöl. Nach mindestens einer Nacht im Kühlschrank solle der Teig zimmerwarm verarbeitet werden, dafür dürfe die Temperatur des Ofens möglichst hoch sein: „Bei 250 Grad Ober- und Unterhitze ist die Pizza nach ungefähr zehn Minuten fertig, bei Umluft sind mindestens 230 Grad notwendig. Hitze ist das A und O, also Vorheizen nicht vergessen! Und den Mozzarella erst zwei Minuten vor dem Backschluss auflegen, sonst verbrennt er.“ Gute Zutaten liegen ihm besonders am Herzen, und so hat er auch für seine Siegerkreation bei der Europameisterschaft einiges aufgefahren: Die Pizza Amici – nach Freunden aus den Niederlanden benannt – ist eine weiße Gourmetpizza ohne Tomatensauce, die mit gekochtem Schinken, eingelegter Aubergine, Mozzarella und Pecorino belegt und nach dem Backen mit einer Ricottamousse sowie Basilikum verfeinert wird.

Aber wie gerät ein waschechter Neapolitaner ausgerechnet in das eher unscheinbare Krefeld? Massimo grinst nur: „Amore“, aus Liebe natürlich. Nachdem er seine Frau Sara in einem Chat für Gastronomen kennengelernt hat, zieht er 2005 nach Deutschland. Und arbeitet in der Küche, weil das kleine italienische Restaurant an der Breite Straße mit Pizza nicht viel am Hut hatte. Die Folgejahre sind geprägt von familiären Veränderungen und einigen Umzügen zwischen Neapel und Krefeld. Erst ein großer Wasserschaden im neuen Restaurant an der Petersstraße bringt 2018 wohl die beste Entscheidung: „Mit dem Neustart hat Massimo auf den Tisch gehauen“, berichtet Schwägerin Rosa. Er forderte schlicht: „Entweder es gibt auch meine Pizza, und zwar ohne Gouda – oder gar keine“. Italiener aus ganz NRW, aber auch die Deutschen, hätten seine Kreationen sofort gut angenommen, freut sich das ganze Team über den zunehmenden Erfolg. Im Jahr darauf habe der „etwas unerwartete“ Sieg beim Pizzawettbewerb für Furore gesorgt, wie Rosa zugibt. In einem Feld von 480 internationalen Bewerbern hatte sich der 45-jährige Familienvater für die Endrunde in Venedig qualifiziert und dort gegen die letzten 20 Bewerber durchgesetzt. Ein Stammkunde meldet sich spontan zu Wort: „Die beste Pizza hier bekommt man, wenn man Massimo einfach machen lässt.“ Und der Europameister ergänzt: „Pizza ist kein Magenfüller, man muss sie mit Liebe zubereiten und mit Liebe essen. Punkt!“

Einer der größten Hits von Dean Martin beginnt so: „In Napoli / Where love is king / When boy meets girl / Here ́s what they say: When the moon hits your eye like a big pizza pie, that’s amore!“ Der Sänger und Schauspieler mit italienischen Wurzeln wusste schon 1953, dass ein Leben ohne Liebe und Pizza schwer vorstellbar ist.

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