Hohe Spritpreise halten echte Fans nicht auf: Die Begeisterung für Oldtimer ist in Deutschland ungebrochen, wie ein schneller Blick auf die Zulassungsstatistik des Kraftfahrt-Bundesamts belegt. Auch 2022 stieg die Zahl der Autos mit einem H-Kennzeichen oder der Emissionsklasse 0098 erneut, und zwar um zehn Prozent auf insgesamt 648.365 Pkw. Wer schon mal die Classic Days oder ein Oldtimertreffen an der Rennbahn besucht hat, kennt die leuchtenden Augen der Besitzer klassischer Fahrzeuge. Auch Lothar Stankewitz ist ein Liebhaber alter Autos. Der Hülser nahm uns in seinem Ford Taunus P3, der wegen der ungewöhnlichen Form auch „Badewanne“ genannt wird, mit auf eine Zeitreise in die Swinging Sixties – inklusive Plattenspieler, Elvis und Wasser im Weinglas.
Mitten in einem Wohngebiet in Hüls verbirgt sich ein altes Gehöft. Es gibt einen Bauernladen mit Obst, Kartoffeln und Gemüse, ein hellbrauner Hofhund läuft schwanzwedelnd auf uns zu. Aus einer Garage ist leise Rock’n’Roll-Musik zu hören. Elvis Presley singt gerade „Stuck on you“ und wünscht sich, mit seiner Geliebten so untrennbar verbunden zu sein wie ein guter Klebestift. „Ganz so eng wie beim King ist meine Liebe zum Oldtimer noch nicht“, gesteht Lothar Stankewitz mit einem verschmitzten Lächeln und führt uns stolz in seine Garage. Man könnte auch Museum sagen, denn wir betreten eine Art Wohnzimmer mit dem Charme der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Kleine Nierentische mit dazu passenden Sesseln, Filmplakate von James Dean und Elvis, mehrere Radios, noch mehr Modellautos und ein Staubsauger von Miele teilen sich den sehr ordentlichen Raum mit einem hellblauen Ford Taunus P3, Baujahr 1964.
„Das ist mein zweites Zuhause“, bestätigt der 75-jährige Autobesitzer mit hörbarer Freude. „Hier treffen wir uns auch oft auf ein Gläschen Wein und hören Platten von Elvis, Ted Herold oder Peter Kraus.“ An diesem Vormittag ist aus Reportersicht leider nur Mineralwasser im Angebot, das Stankewitz stilecht im Retroglas mit Goldrand serviert. 1947 in Hüls geboren und teilweise in Krefeld aufgewachsen, hat der Senior seine Jugend in den zwei Jahrzehnten verbracht, deren Erinnerungsstücke er sammelt, seit er in den Ruhestand eingetreten ist. Der gelernte Elektriker und Einzelhandelskaufmann merkte früh: „Ich muss ein Hobby haben, wenn ich in Rente gehe, sonst fällt mir die Decke auf den Kopf.“ So kauft er sich nach intensiver Lektüre von Oldtimer-Fachzeitschriften zunächst einen restaurierten DKW „mit nur 18 PS“, danach einen Ford Taunus 12M, den sogenannten Seitenstreifen-Taunus. Es folgen ein Ford Capri und die geliebte „Badewanne“ Ford Taunus P3. Sein Tipp für alle, die mit dem Gedanken spielen, sich ein historisches Fahrzeug zuzulegen: „Kauft kein Restaurierungsobjekt, das wird finanziell schnell ein Fass ohne Boden. Besser ist es, ein fertig restauriertes Fahrzeug zu erwerben, an dem man einfach nur Freude haben kann.“
Er spricht wohl aus Erfahrung, und ein wenig wächst Stankewitz die Sammelleidenschaft auch über den Kopf, sodass er sich wieder von den meisten Fahrzeugen trennt – bis auf den P3. „Dieser schlüpferfarbene Ford ist mir mit seinem weißen Schiebedach, dem Original-Plattenspieler und einem praktischen Suchscheinwerfer besonders ans Herz gewachsen“, gerät er ins Schwärmen und legt den Song „Motorbiene“ von Benny Quick auf. Der Player funktioniert einwandfrei, und der nostalgische Sound ist genauso satt und warm wie der Klang des Motors.
Auch historisch gesehen scheint das Fahrzeug gut zum bodenständigen „Krefelder Jung“ mit einem Hang zu Mode und Deko zu passen. Im Jahr 1960, zu einer Zeit, die sich allmählich vom Wirtschaftswunder hin zum Fortschrittsdenken dreht, stellt Ford den neuen Taunus 17M vor: eine 4,50 Meter lange Limousine mit sachlicher Formgebung, ohne das Chrom und die Heckflossen des Vorgängers. Intern heißt der Wagen einfach P3. Der Autobauer preist das Design in der Werbung als „Linie der Vernunft“ an, die beim Spritsparen hilft: Nur 7,9 Liter seien mit der serienmäßigen 55-PS-Maschine möglich. 6.485 DM habe damals der günstigste Ford Taunus 17M gekostet, weist Stankewitz auf eine gerahmte Werbeanzeige hin. Heute würde man um die 16.000 Euro für ein gut erhaltenes Modell hinlegen.
Dass sich Leidenschaft und Vernunft nicht ausschließen müssen, erfährt Stankewitz regelmäßig bei Oldtimertreffen in Köln, Düsseldorf oder an der Mosel. „Wir cruisen ganz gemütlich mit 80 Stundenkilometern durch die Landschaft und treffen unheimlich nette Leute“, freut er sich schon auf die nächste Ausfahrt. Im September gehe es für drei Tage ins Sauerland. Und irgendwann will der eingefleischte Elvis-Fan nach Memphis, um Graceland zu besuchen. Wahrscheinlich ohne Auto, aber mit ganz viel Herz.
Fotos: Luis Nelsen