Schornsteinfeger sollen Glück bringen. Daher greifen viele auch heute noch spontan zu, wenn er ins Haus kommt. Oder in selteneren Fällen sie. Jeden Tag begegnen Karolin Bröckels Menschen, die ihr auf die Schulter fassen oder einen goldenen Knopf ihrer Weste berühren. Und danach vielleicht ein bisschen glücklicher sind. Die 17-jährige Krefelderin hat sich für einen Beruf an frischer Luft entschieden und lässt sich gerade zur Schornsteinfegerin ausbilden. Dabei lernt Karolin nicht nur viel über Schornsteine, Öfen, Rauchmelder oder Heizungen, sondern auch, wie man als traditioneller Glücksbringer mit Menschen umgeht. Für unsere monatliche Reihe „Wie wird man eigentlich …“ stiegen wir mit ihr auf ein Flachdach in Lindental.
Handwerk hat goldenen Boden, so heißt es eigentlich. Doch trotz Fachkräftemangels und hervorragender Aussichten entscheiden sich deutlich weniger Frauen als Männer für einen Berufsstart im Handwerk: Im Jahr 2020 waren nur knapp 16 Prozent der Ausbildungsanfänger in Nordrhein-Westfalen weiblich, wie einer Statistik des Westdeutschen Handwerkskammertags zu entnehmen ist, und meist wählen diese dann kreative Berufe wie Friseurin, Schneiderin oder Konditorin. Doch Karolin Bröckels sucht nach der Schule einen luftigen Arbeitsplatz – und wagt sich in eine Männerdomäne. „Ich konnte mir nicht vorstellen, den ganzen Tag in einem Gebäude zu verbringen oder gar stundenlang im Büro zu sitzen“, erinnert sie sich. Also macht sie auf Empfehlung eines Freundes zunächst ein Praktikum bei Schornsteinfegermeister Michael Möhrke. Kehren, Messen und Energieberatung sind ihre ersten Aufgaben. Und die kleine Frau mit großem Ehrgeiz ist von der körperlichen Arbeit an frischer Luft schnell begeistert. „Ich bin ein sehr aktiver Mensch und brauche viel Bewegung“, gesteht sie uns beim Kaminkehrertermin im Stadtteil Lindental. Seit einem halben Jahr ist sie als Azubi mit ihrem Chef und Geselle Felix Hänsch auf Krefelds Dächern unterwegs. Nur wenig überraschend zählt sie uns Trampolinspringen, Hip-Hop und Streetdance sowie Klettern in der Halle als liebste Freizeitbeschäftigungen auf.
„Als Schornsteinfegerin oder Schornsteinfeger solltest du körperlich fit sein und handwerkliches Geschick mitbringen“, schreibt der Deutsche Handwerkskammertag auf seiner Webseite. Weitere hilfreiche Voraussetzungen für diesen Beruf seien Verständnis für naturwissenschaftliche Zusammenhänge, ein Interesse an Klima- und Umweltschutz sowie Freude an der Kommunikation mit Menschen. Reden stellt für die 17-Jährige schon mal kein großes Problem dar, sie wirkt weder schüchtern noch unerfahren und haut uns permanent Zahlen, Daten und Fak- ten um die Ohren. Alter des Chefs? „46 Jahre.“ Ausbildungsdauer? „Drei Jahre, kann aber auch verkürzt werden.“ Wichtige Rechtsgrundlagen? „Schornsteinfeger-Handwerksgesetz, Kehr- und Überprüfungsordnung, Bundes-Immissionsschutzgesetz.“ Mit einer Körpergröße von 1,58 Metern steht sie selbstbewusst da, öffnet die langen dunklen Haare für den Fotografen und streicht behutsam die schwarze Uniform glatt. Die goldenen Knöpfe leuchten in der Sonne, doch als wir nach dem Bildmotiv auf dem glänzenden Koppelschloss fragen, muss Karolin uns an ihren Chef verweisen. Michael Möhrke schmunzelt, dass hier der heilige Florian zu sehen sei, der vor Feuer schützen soll. Und als guter Ausbilder erklärt er auch gleich die Arbeitsgeräte eines Schornsteinfegers, wie beispielsweise Kehrgerät mit Kugelschlagapparat, Kehreinlage, Schultereisen, Rußsack, Stoßbesen und Handbesen.
Auf dem Dach, das heute gekehrt werden soll, herrscht eine lockere Atmosphäre. Der Himmel ist blau, die Nachbarn schauen von unten neugierig zu und wir entdecken erste Rußflecken in Karolins Gesicht. Aber das stört sie nicht, im Gegenteil: „Das ist für mich der perfekte Beruf: Du kannst dich dreckig machen und das bereitet mir großen Spaß!“ Schon als Kind habe sie schließlich gern im Matsch gespielt. Tatsächlich stelle das Kehren und Reinigen von Schornsteinen heute weniger als ein Drittel der Tätigkeit in diesem Beruf dar, erläutert Möhrke. Schornsteinfeger prüfen nach Angaben der Innung nicht nur, ob Schornsteine, Abgasleitungen, Öfen, Heizungs- und Lüftungsanlagen sicher und sauber funktionieren. Sie beraten und informieren Kunden auch zu Heizungen, Rauchmeldern oder Energieausweisen. Dabei stehen neben Brandschutz vor allem Energieberatungen, -einsparungen, Klimaschutz und -effizienz im Vordergrund. Auch an baurechtlichen Prüfungen und Begutachtungen sind sie beteiligt. So vielseitig wie der Job seien daher auch die Unterrichtsfächer an der Berufsschule in Düsseldorf, berichtet Karolin. Nur zwei weitere Mädchen sind in ihrer Klasse. Auf dem Stundenplan stehen sogenannte Lernfelder wie Umwelt und Energie, aber auch klassische Fächer wie Mathe, Physik, Sport, Politik oder Religion. „Mathe ist leider nicht so mein Ding“, grinst die Auszubildende im ersten Lehrjahr. „Aber mein Ausbilder Felix Hänsch hilft mir immer.“ Dass sie sich im Betrieb gut aufgehoben fühlt, ist ihr förmlich anzusehen. Die größte Herausforderung sei am Anfang vor allem ihre geringe Körpergröße gewesen, weiß Chef Möhrke. So musste die komplette Uniform auf Maß geschneidert werden, nur die Schuhe in Größe 36 gab es als Einzelstück zu kaufen. Und es fehlte ihr an Kraft und Technik, wie Karolin ergänzt: „Ich habe sehr lange geübt, wie ich die Leiter aufbaue und richtig auf der Schulter trage, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Auch das Klettern und Hochziehen an großen Schornsteinen ist anstrengend, sodass ich häufiger Muskelkater hatte.“ Doch die körperliche Mühe werde mit vielen Kontakten zu meist netten Menschen mehr als ausgeglichen. „Oh, ein Mädchen“, heiße es dann freudig überrascht an der Haustür. Dass Schornsteinfeger neben vierblättrigen Kleeblättern, Marienkäfern oder rosa Schweinchen als Glückssymbol wahrgenommen werden, hat nach Angaben des Bundesverbands des Schornsteinfegerhandwerks eine lange Tradition. Denn schon im Mittelalter boten wandernde Handwerksgesellen ihre Dienstleistung an, entfernten Ruß aus den Schornsteinen und sorgten dafür, dass geheizt und gekocht werden konnte. Gleichzeitig verringerten sie mit ihrer Arbeit die Brandgefahr und waren so ein willkommener Gast, der Sicherheit und damit Glück ins Haus brachte.
Auch Karolin liebt ihre Rolle als Glücksbringerin und die teils emotionalen Momente, die sie im täglichen Umgang mit Menschen erlebe. Für manche Kunden sei sie sogar wie eine Seelsorgerin, viele schütteten ihr gleich ihr ganzes Herz aus. Auch Tipps für den nächsten Lottozettel oder ein anstehendes Gerichtsverfahren seien häufige Themen, und oft werde sie gefragt, ob sie denn Glück bringe. „Ich antworte dann: ‚Ich werde es versuchen. Aber es klappt nicht immer‘“, sagt die angehende Schornsteinfegerin mit einem breiten Grinsen. Man müsse halt fest daran glauben. Wer sich noch an die Zeichentrickserie „Herr Rossi sucht das Glück“ erinnert, ahnt spätestens jetzt: Die junge Karolin Bröckels ist längst selbst ein Glückspilz.