Wer liest heute noch Waschetiketten? Diese eingenähten und manchmal kratzigen Zettel mit Symbolen, wie Kleidung zu waschen, zu bügeln oder zu reinigen ist, schneiden zwei von drei Deutschen nämlich am liebsten ab. Das ergab eine aktuelle Verbraucherumfrage der internationalen Pflegekennzeichnungsorganisation Ginetex. Marco Vaiano war im Alter von 22 Jahren schon Textilreinigermeister und studiert die Pflegehinweise jeden Tag sehr genau – wenn sie denn vorhanden sind. Wobei er auch gern auf seine jahrzehntelange Erfahrung zurückgreift und Materialien oft schon mit einem Griff erkennt. Für unsere monatliche Reihe „Wie wird man eigentlich …“ besuchten wir die Zentrale der umweltbewussten Reinigung Vaiano. Und hörten dort viele Anekdoten über Daunenjacken, Chinohosen und gebügelte Rüschenblusen.
Muckelig warm ist es drinnen, als wir an diesem kalten Wintertag die große Halle des Reinigungsbetriebs am Weeserweg betreten. Und ganz schön laut. Überall zischt und klackert es, weiße Dampfwolken steigen aus den Bügeleisen nach oben und riesige professionelle Reinigungsmaschinen, an denen Magnete italienischer Reiseziele prangen, schleudern vor sich hin. Acht Waschmaschinen mit einem Fassungsvolumen von jeweils 23 Kilogramm sind im Einsatz. Inhaber Marco Vaiano führt uns an meterlangen Kleiderstangen mit gebügelten Hemden und ausgefalleneren Kleidungsstücken wie Uniformen und Cocktailkleidern vorbei. Im Gegensatz zur Geräuschkulisse wirkt die Arbeitsatmosphäre sehr konzentriert: Das überwiegend weibliche Team bügelt und mangelt jede einzelne Textilie sorgfältig und fast schon meditativ. 40 Sekunden dauert es am Bügelautomaten, bis ein Hemd wieder knitterfrei ist. „Vor der Pandemie wurden in der Zentrale rund eintausend Hemden pro Tag gebügelt, durch Homeoffice und fehlende Veranstaltungen bearbeiten wir aktuell nur die Hälfte“, berichtet der 44-jährige Halbitaliener. Doch dass er nach zehn Jahren Schule in die Fußstapfen seines Vaters treten wollte, bereue er bis heute „kein bisschen“. Guiseppe Vaiano war aus Neapel nach Deutschland gekommen und hatte im Jahr 1974 an der Marktstraße die „Blitzreinigung Vaiano“ für Privatkunden gegründet.
Gut zwei Jahrzehnte danach machte sich der Sohn auf nach Bielefeld, um bei der damals größten Reinigung Deutschlands eine duale Ausbildung zum Textilreiniger zu absolvieren. Marco Vaiano lernte dort drei Jahre lang, wie unterschiedlichste Textilien, aber auch Pelze oder Bettfedern zu behandeln, zu pflegen und zu veredeln sind und wie man Verschmutzungen aller Art aus Kleidung und Wäsche entfernt, indem man sie nass oder trocken, sprich chemisch, reinigt. Die Bedienung von Textilreinigungsmaschinen und die passgenaue Kundenberatung gehörten genauso zum Ausbildungsinhalt wie das Bügeln und die gesetzlichen Grundlagen. „Es gibt in Deutschland seit 1969 ein Textilkennzeichnungsgesetz, das genau regelt, was auf dem eingenähten Etikett zu stehen hat“, weiß der heutige Firmenchef. „Verbraucher sollen wissen, aus welchem Material ihre Kleidung oder Bettwäsche hergestellt wurde. Und das hat auch Auswirkungen auf die Haftung der Reinigung, falls wir ein Stück anders behandeln als angegeben.“ Mittlerweile wurde zudem eine europäische Textilkennzeichnungsverordnung erlassen. So müssen nun alle verwendeten Fasern aufgeführt werden; zuvor genügte es, nur die Fasern zu nennen, die mindestens 85 Prozent des Nettotextilgewichts ausmachen. Baumwolle oder Polyester kennen sicher die meisten Menschen als Bestandteil, Leder hingegen zählt beispielsweise nicht als Textilfaser und fällt somit nicht unter diese Regelung. „Gute Beratung und langjährige Erfahrung sind wichtig in diesem Beruf“, lächelt Marco.
Erst vor kurzem habe er einen Kunden zu einer teuren Winterjacke von Bogner beraten. Diese bestand aus sehr vielen verschiedenen Teilen und Fasern, sodass er das Risiko eines Behandlungsfehlers nicht eingehen wollte. „In so einem Fall ist es sinnvoller, die Jacke direkt an den Hersteller zu senden und um Reinigung zu bitten“, empfiehlt er. Auch hochwertige Daunenjacken anderer Marken, zum Beispiel mit festgenähtem Kaninchenfell, könnten Probleme aufwerfen, auf die Vaiano lieber verzichtet. Aber das seien natürlich seltene Sonderfälle: „Unser Anspruch ist, dass Hemden, Pullis, Kleider, Jacken, Hosen – einfach alles, was bei uns gereinigt wurde – in einem Topzustand zurückkommt. Reklamationen halten sich daher in Grenzen.“
Seine Liebe für Kleidung sieht man Marco an: Mit einem dunkelblauen Wollpullover über dem gestreiften Hemd, in edler Jeans und gepflegten blauen Sneakern steht er entspannt vor uns und erzählt mit leuchtenden Augen von seiner beruflichen Laufbahn. Parallel zum Zivildienst in der Wäscherei des Heilpädagogischen Zentrums (HPZ) in Tönisvorst besuchte der zielstrebige Textilreinigergeselle ab 1999 die Meisterschule in Düsseldorf, um den kaufmännischen Part der Fortbildung vorzuziehen. Mit 22 Jahren war Vaiano der jüngste Textilreinigermeister Deutschlands und stolz auf sein Meisterstück: „Ich hatte nur eine Stunde Zeit, um eine schleuderfeuchte Damenbluse mit einem Haushaltsbügeleisen von Hand zu plätten. An den Rüschen befanden sich Waschmittelrückstände, sodass jeder Fehler dafür sorgte, dass es sofort braune Stellen gab.“ Auch mit der Gesamtnote von 1,9 war er „mehr als zufrieden“. Zum Stichwort „braun“ fällt ihm gleich wieder eine Geschichte ein: Ein Kunde hatte eine Chinohose zur Reinigung abgegeben und bei der Abholung bemerkt, dass die ihm überreichte braune Hose nicht die richtige sein könne, denn die sei ja grün gewesen. Doch die Registrierungsnummer war korrekt, eine Verwechslung ausgeschlossen. Nach einigen Recherchen stellte sich heraus, dass der Hersteller die Hose von Braun auf Grün umgefärbt hatte, um sie besser verkaufen zu können. „Die Trockenreinigung brachte den Originalzustand wieder hervor, der Mann nahm es zum Glück mit Humor“, schmunzelt Marco.
Zehn Jahre nach der Meisterprüfung hatte er genug Erfahrungen im Textilpflegebusiness gesammelt und übernahm den Familienbetrieb mit der Zentrale am Weeserweg und Filialen in Supermärkten wie real oder Edeka. Das Geschäft fußt dabei stabil auf bisher drei Standbeinen: Textilpflege und Heißmangel für Privatkunden, Hotellerie und Gastro sowie Berufsbekleidung für Geschäftskunden. Doch die Branche wandelt sich: „Unsere Großeltern haben noch Wollhosen, gestärkte Hemden und Krawatten getragen, heute sind Jeans und pflegeleichte Stoffe angesagt, die jeder selbst zu Hause waschen kann.“ Also setzt der junge Vaiano konsequent auf den Ausbau neuer Säulen wie Hygiene, Service und Nachhaltigkeit. Hochmoderne Maschinen aus Italien und Japan, die weniger Energie verbrauchen, sind für ihn und sein langjähriges Team genauso selbstverständlich wie der Verzicht auf unnötige Verpackungen, der Einsatz organischer Flecklösemittel oder ein 24-Stunden-Selbstbedienungsterminal, das Kunden mit QR-Code und Paypal nutzen können. Dass es im Leben abwechselnd bergauf und bergab geht, kennt der Hobbyradfahrer schon von seinen raren Runden auf dem Mountainbike. Aber vielleicht verrät uns der gebürtige Tönisvorster beim nächsten Interview, wie man verschwitzte Sportkleidung am besten sauber bekommt. Denn bis zur Rente ist noch genug Zeit für viele weitere Anekdoten aus der Reinigungswelt.