Gustav glaubt fest daran, dass er der älteste Mann der Welt ist. Damals, als er noch jung war, gab es Ostern und Weihnachten noch nicht, erzählt er mit knarzender, aber selbstbewusster Stimme aus faltigem Mund mit hängenden Winkeln. Wie hätte es auch die christlichen Feste geben können, fragt er fast vorwurfsvoll. Jesus war ja schließlich selbst noch nicht geboren. Nach außen ist Gustav ein echtes Ekel, im Grunde seines Herzens aber edel und gut, bezeugt Michael Schmidt – und der muss es wissen: Denn der Krefelder hat den Charakter des alten Mannes selbst erschaffen. Ob mit Günther Jauch, mit Hape Kerkeling oder mit der Band „Unheilig“ als „Bauchredner Micha“ stand der 71-Jährige in den letzten 40 Jahren mit der deutschen Prominenz und seinen Puppen auf der Bühne. Grund genug, um ihn für unsere Reihe „Wie wird man eigentlich …?“ zu porträtieren.
„Micha“ hatte schon als kleiner Junge Spaß daran, Stimmen nachzumachen und Menschen zu imitieren. Gab es ein Fest in der Schule, war er fest als Showact eingeplant. Diese Leidenschaft setzte sich auch in seiner Jugend fort: Das leicht rollende R von Willy Brandt, den polnischen Akzent von Papst Johannes Paul II. oder den bedachten Tonfall von Altkanzler Helmut Kohl – der Krefelder konnte sie alle. Als es dann darum ging, einen Beruf zu ergreifen, hatte Schmidt die Wahl: Schauspieler oder Lehrer? Am Ende, so glaubte er damals, entschied er sich für den bodenständigeren Weg und studierte Theologie und Germanistik auf Lehramt. Eine kreative Ader aber lässt sich nicht so einfach kappen und so öffnete eine neue Leidenschaft, die er auf seinem Weg fand, seinen künstlerischen Kanal erneut. „Ich glaube, dass Yoga unter anderem als natürlicher Verstärker der Kreativität fungiert“, erklärt der inzwischen pensionierte Realschullehrer. „Auf Initiative meines Yoga- und Lebenslehrers Fred Spürkel, Krefelder Maler und Bildhauer, entstand innerhalb unserer Yogagruppe etwas Großartiges.“
Das war vor rund 40 Jahren. Auf einmal entdeckten die Yogis unterschiedliche Entertainmentqualitäten in sich und gründeten eine Showgruppe. Schmidt trat zuerst mit reinen Stimmimitationen auf, als ihm der Yogalehrer eines Tages eine kleine Ente als Bauchrednerpuppe in die Hand gab. „Das war der Beginn!“, erinnert sich der 71-Jährige. „Das Feedback aus dem Publikum war toll!“ Auch eine professionelle Sängerin ist damals als Gesangsparodistin Teil des Showprogramms.
Während sich die Künstlerin in Marilyn Monroe oder Marlene Dietrich verwandelt, füllt Bauchredner Micha die Pausenzeit. Auch hier sind die Publikumsreaktionen so positiv, dass der Krefelder nicht nur beginnt, sein Puppenensemble langsam aufzustocken, sondern auch, sich weitere Showelemente zu überlegen. Das geht so weit, dass er schließlich eine komplett eigene Show mit Zauberei, Gesang und natürlich Bauchrednerei entwickelt, die er nun kontinuierlich verfeinert.
Regelmäßig übt der Krefelder vor dem Spiegel das lippenlose Sprechen. „Zu sagen, dass unsere Stimme wirklich aus dem Bauch kommt, ist natürlich Quatsch“, sagt er lachend. „Wir müssen nur lernen, sie anders zu kontrollieren.“ Jeder Bauchredner entwickelt hier eigene Techniken. Vor allem der geschulte Umgang mit Konsonanten wie W, B, F, P ist wichtig, denn sprechen wir diese gewohnt aus, bewegen sich unsere Lippen stark. „Das Wort ,Paris‘ kannst du beispielsweise nicht sagen, in der Bauchrednersprache setzen wir statt dem P also einen Laut ein, der ein bisschen wie eine Mischung aus Ph und Th klingt“, erklärt der Experte. Die Zähne sollten dabei locker aufeinanderliegen. Öffnet der Bauchredner den Kiefer leicht, bewegt sich trotz aller Anstrengung der Mund. „Das ist wirklich reine Übungssache und ich empfehle jedem, der Spaß daran hat, es einfach mal vor dem Spiegel auszuprobieren“, schildert Schmidt weiter.
Aber nicht nur die Stimmenmodulationen und die Kunst, die Lippen beim Sprechen nicht zu bewegen, zeichnen einen guten Bauchredner aus, sondern vor allem Textauswahl und Dialogregie sind wichtig. Bauchredner Micha entwickelt sie anhand seiner Figuren und seines Publikums. Hase Horst mit seinem roten Halstuch und dem frechen Blick hat er aus Amerika bestellt, um das Kinderprogramm auszubauen. Jesse Jazzman, ein Jazz- trompeter, ist der perfekte Gegenspieler zum alten Gustav. Storch Fiete, der sich in einen Frosch verliebte und diesen beim Knutschen aus Versehen verschluckte, ist der Star jeder Karnevalssitzung. „Mir ist es wichtig, die Shows immer zu personalisieren“, beschreibt Schmidt. Wird er beispielsweise für einen Geburtstag oder ein Firmenevent gebucht, versucht er, lustige Facts über die Anwesenden einzubauen oder zum Beispiel das Geburtstagskind mit individuellen Sketchen auf den Arm zu nehmen. Darüber hinaus studiert Schmidt akribisch andere Shows: Karnevalssitzungen nimmt er jedes Jahr auf, um sie immer wieder nach lustigen Witzen zu durchsuchen. „Viele Elemente schnappe ich auch im Alltag auf“, beschreibt er. „Das kann manchmal so laufen, dass ein Freund etwas so Lustiges sagt, dass ich es anschließend mit in eine Show einbaue.“
Immer wieder hat Schmidt dabei Tagespraktikanten, die sich einfach mal anschauen möchten, wie das Bauchreden funktioniert, oder auch, wie Shows ablaufen. „Das ist ein guter Weg, um für sich herauszufinden, ob das zur eigenen Leidenschaft werden könnte“, empfiehlt er. Die Coronazeit zwingt ihn aktuell zu einer unfreiwilligen Pause, aber für all diejenigen, die sich vorstellen könnten, Bauchredner zu werden, hat Bauchredner Micha trotzdem einen Tipp: „Am Ende kannst du so viel üben wie du möchtest. Wenn du dich selbst nicht für deine Kunst begeisterst, kommt sie nicht an. Wir Bauchredner sind Entertainer!“
[…] hat. Der 71-jährige Michael Schmidt ist ein Tausendsassa und unter anderem seit vielen Jahren als „Bauchredner Micha“ unterwegs. Eine Ausbildung zum Bauchredner gibt es offiziell nicht, Micha hat aber trotzdem etliche […]