Sie sind nur zu dritt, doch können sie Tausende von Eishockey-Fans in Wallung bringen: Die Trommler der Nordtribüne machen jedes Match der Krefeld Pinguine zu einem Event, egal in welcher Liga. Schon seit 20 Jahren sorgt Mirjam Berkenkötter für gute Stimmung in der Arena – mit vollem Körpereinsatz und Rhythmusgefühl spielt sie eins der ältesten Instrumente der Menschheit. Wie sie zu diesem schlagkräftigen Hobby kam, erzählte uns die 32-Jährige mitten in der Best-of-Seven-Serie im Viertelfinale gegen die Eispiraten. Und sollten die Play-offs auch bald vorbei sein: In der nächsten Saison heißt es wieder „Nur der KEV, olé!“.
Direkt nach Schichtende kommt Mirjam Berkenkötter zu Fuß zum vereinbarten Treffpunkt am Hülser Markt, ihr Arbeitgeber – ein Hersteller von Lautsprechermembranen – liegt gleich um die Ecke. Statt Currywurst gibt es nur einen schnellen Cappuccino. In wenigen Stunden steht ein Heimspiel an, die Krefelderin will pünktlich um 18:35 Uhr im Umlauf der Arena sein, bevor das Warm-up startet. Trotzdem wirkt sie kein bisschen gestresst, im Gegenteil: Den Satz „Kein Problem, das kriegen wir hin!“ werden wir heute mehrfach hören, und wir glauben es der patenten Handwerkerin aufs Wort. Mit der Frisur – die Seiten kurz, den Rest nach oben gegelt – und einer markant tiefen Stimme erinnert die gelernte Maschinen- und Anlagenführerin an Schlagersängerin Kerstin Ott, und tatsächlich habe man sie im Urlaub schon angesprochen und um ein Autogramm gebeten. Doch in der Eishockeyszene kennt man Mirjam als „die Trommlerin vom KEV“, wie sie uns auf ihre bodenständige wie unkomplizierte Art erzählt. „Bei einem Auswärtsspiel hat mir neulich ein Fan sogar einen Geldschein zugesteckt, um meinen Einsatz finanziell zu unterstützen. Ich bin immer noch perplex“, erinnert sie sich mit einem dröhnenden Lachen. Ihre raue Stimme führt sie darauf zurück, dass sie bei jedem Match lauthals mitsinge und ihre Mannschaft anfeure.
„Eishockey ist mein Leben“, sagt sie schlicht. „Ich trommle wirklich jedes Heimspiel, seit ich 12 Jahre alt bin. Auch zu den Auswärtsspielen fahre ich größtenteils mit, wenn mein Schichtplan es zulässt. Im Stadion kann ich meine Emotionen und den ganzen Alltagsstress herauslassen, das ist einfach meine Leidenschaft!“ Wie viele andere Krefelder wurde Mirjam schon früh mit dem Eishockeyvirus infiziert: „Seit dem siebten Lebensjahr gehe ich zum KEV, mit Mama, Papa und der ganzen Familie. Mittlerweile nehmen wir auch meinen dreijährigen Neffen mit, wir haben ihn bereits angesteckt. Als Teenager habe ich in den Drittelpausen die Kollegen auf der Nord genervt – ich wollte auch mal trommeln!“ Erst nach dem Gewinn des Meistertitels und der Eröffnung des Königpalasts ein Jahr später lässt Trommler Marcel sie im Jahr 2004 endlich an die Drumsticks. Ausgestattet mit einem guten Gefühl für Rhythmen und einer eigenen Trommel schaut sich die damalige Schülerin bei den anderen Spielern ab, worauf es beim musikalischen Anfeuern besonders ankommt – bis eine Erkrankung im Team dafür sorgt, dass sie ins kalte Wasser springen soll. „Da musste ich plötzlich alles alleine machen“, sagt sie mit glänzenden Augen. Und kann sich nun ein Leben ohne den KEV gar nicht mehr vorstellen: „Der Sommer ist sehr schwer für mich, dann fehlt mir der Ausgleich.“ Mirjam versucht, diese Zeit mit Schlagermusik, Sauna und Urlaubsreisen zu überbrücken, und freut sich, dass ihre Partnerin das zeitintensive Hobby vollständig akzeptiert. „Ich soll mein Ding machen!“
Ihre Liebe zum Eishockeysport ist so groß, dass sie bereitwillig Eintritt zahlt – für jedes Match, bei dem sie und ihre Trommlerkollegen Stimmung machen und Fans wie Mannschaft wirksam unterstützen. Gefragt nach potenziellen Sponsoren bleibt die Dauerkartenbesitzerin gelassen: „Das Fanprojekt ist schon am Thema dran.“ Lieber erzählt sie uns, wo sie sich Inspiration holt: in den großen Stadien wie Dortmund oder Köln. „80 Prozent unserer Songs sind ja im gleichen Takt, da gucke ich schon mal, was die Anhänger anderer Vereine musikalisch draufhaben.“ Neue Lieder kämen oft direkt aus der Fanszene, und sollte es unter den Lesern Eishockeyfrischlinge geben, kommen hier die zwei wichtigsten Songs, die bei jedem Spiel der Pinguine gespielt werden: „Vorwärts 36“, weil der Verein im Jahr 1936 gegründet wurde, und „Nur der KEV, olé!“. Zu Hause üben muss Mirjam angesichts jahrzehntelanger Erfahrung nicht mehr, die Play-offs seien jedoch körperlich anstrengend: „Nach dem Spiel liege ich abends mit schmerzen- den Oberarmen im Bett, aber ich mache es trotzdem sehr gern.“ Im November 2022 ist sie dem Fanclub „Power Play Pinguine since 2016“ (PPP16) beigetreten, um zu unterstreichen, wie bedeutend dieser Teil ihres Lebens und die Menschen darin für sie sind.
Beim vierten Viertelfinal-Duell gegen die Eispiraten Crimmitschau können wir uns persönlich von ihrem Körpereinsatz in der gut gefüllten YAYLA-Arena überzeugen. Das Warm-up beginnt überpünktlich um 18:49 Uhr, und mit den ersten Trommelschlägen übernehmen die Fans rund um die Nord den Rhythmus und klatschen begeistert mit. Keine Frage, auch nach drei Play-off-Niederlagen in Folge geben die Krefelder ihre Mannschaft nicht auf: Motivierende Songs wie „Don’t stop believin‘“ und „You’ll never walk alone“ sorgen für Gänsehaut, Stadionsprecher Kristian Peters-Lach gibt alles, und die erfahrene Trommlerin weiß genau, in welchen Spielmomenten sie lauter oder leiser werden muss. Die positive Stimmung auf den Rängen ist berechtigt: Vor 6.532 Zuschauern verlassen die Gastgeber am Ende verdient mit 3:1 als Sieger das Eis. Mirjam ist zwar verschwitzt, aber überglücklich, dass die Krefeld Pinguine noch im Rennen sind: „Der erste Matchball ist abgewehrt. Wenn es so weiterläuft, steht am Sonntag das nächste Heimspiel an.“ Nicht nur ihre Daumen sind gedrückt.
Während die Seidenstädter am Dienstag zufrieden das Stadion verlassen, verrät uns die tätowierte Trommlerin noch, welches Tattoo bei ihr als nächstes ansteht: Meister Ponzelar soll es werden. Dieses Motiv passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, schaut man sich die Geschichte des alten Webers genauer an. Denn das Denkmal ist auch ein Symbol des Weitermachens: Der Krefelder Verschönerungsverein hat es 1911 an der Stelle aufstellen lassen, wo die Lindenstraße in die Hochstraße mündet. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Bronze eingeschmolzen. Die Gussform überstand den Krieg, das Seidenweberdenkmal wurde 1945 neu gegossen und am Südwall wieder aufgestellt: „Krefeld, es geht weiter.“ Wenn das kein gutes Zeichen ist!
Fotos: Rostyslav Sheptykin