Die kleine Bühne ist seine große Leidenschaft: Seit 30 Jahren steht Volker Diefes am liebsten im Rampenlicht. Sein Beruf ist so facettenreich, dass eine Visitenkarte im Standardmaß nicht reichen würde. Ein einziger Jobtitel übrigens auch nicht. Als Schauspieler, Kabarettist, Sänger, Comedian, Entertainer und Büttenredner hat sich Volker nicht nur an den Spielstätten der Region ausgetobt. Er reist für Auftritte quer durchs Land oder über Wasser, moderiert die „Grünkohl & Pinkel“ Show und veranstaltet die „Monkey Night“ im Jazzkeller. Dort begeht er sein Bühnenjubiläum mit einem Programm, das zu ihm passt wie die Faust aufs Auge: „The Very Best Of The Rampensau“. Bei einem Kaffee im Liesgen philosophierten wir über Kunst, Kulturpflänzchen und das Miteinander in der Gesellschaft.
Bühnenmenschen sind vor zehn Uhr meist nicht ansprechbar. Deshalb hat Volker den ersten Interviewtermin auch im wahrsten Sinne des Wortes verpennt. Beim nächsten Versuch sitzt er schon vor der Zeit auf einem Mäuerchen am Schwanenmarkt-Parkhaus, er trägt ein gestreiftes Picasso-Shirt und schwarze Jeans. In Ruhe raucht er seine Zigarette zu Ende, der Kontrast zur titelgebenden Rampensau, die das Publikum mitreißt, könnte nicht größer sein. Spontan ersetzen wir die geplante Begrüßungsformel „Was macht die Kunst?“ mit einem knappen „Moin“. Vielleicht hätte der Abiturient des Ricarda-Huch-Gymnasiums entgegnet: „Die Kunst geht nach Brot.“ So wie Conti die Frage in Lessings Drama „Emilia Galotti“ beantwortet hat. Bildung wird heute ein Thema sein, soziale Medien, Klimawandel sowie Bühne und Theater. Was für eine Mischung!
Volker Diefes wird 1971 in Krefeld geboren und ist vom ersten Tag an als Alleinunterhalter unterwegs. Seine Eltern, männlich und weiblich – also konservativ, wie er mit einem Augenzwinkern auf der Webseite schreibt – erkoren ihn kurz nach seiner Geburt bereits zum Kinderstar. Schon früh fördert Volkers Vater, ein ehemaliger Präsident der GKG Nordpolaner, das Entertainer-Gen des Sohnes und schickt den achtjährigen Grundschüler auf die Bühnen des Karnevals. „Meine Eltern haben mich immer unterstützt“, erinnert sich Volker mit einem dankbaren Glänzen in den Augen. Der gelungenen Premiere folgen zehn Jahre als Nachwuchs-Büttenredner und erste Gehversuche als Darsteller. Ein Film über „Die verflixte 7b“, in dem Volker beinahe jede Rolle spielt, weil „sonst keiner wollte“, stellt sich als Initialzündung für den Berufswunsch heraus. „Ich war eher schlecht in der Schule, ein ewiger Klassenclown, anders als die anderen“, sagt er mit leicht lakonischem Unterton. „Als mich die Mädchen plötzlich beachteten, war mir klar: Ich werde Schauspieler!“
Der Weg ist hürdenreich, die staatlichen Schauspielschulen lehnen den Krefelder trotz seiner langjährigen Erfahrung als Statist am Theater ab: „Ich war mehrfach unter den letzten 20 Bewerbern“, klingt es fast trotzig über den Bistrotisch. Doch Diefes verliert sein Ziel nicht aus den Augen und gründet 1991 mit Kollege Christian Ehring „Die Scheinheiligen“ – ein Kabarett-Ensemble, das innerhalb von sechs Jahren nahezu alle Kleinkunstpreise abräumt. Während Volkers Karriere auch ohne klassische Ausbildung Fahrt aufnimmt, erlernt er zeitgleich das Schauspielhandwerk am Kresch-Theater. „Als Eleve von Inge Brand und Helmut Wenderoth habe ich unglaublich viel mitgenommen“, denkt der Künstler an seine Anfänge zurück. „Dieses Theater war eine wichtige Station für mich: 1993 konnte man die ersten Kritiken in der Presse lesen, ich wurde sichtbarer.“ Engagements außerhalb der Heimat, beispielsweise im Theater Takelgarn in Düsseldorf, bestätigen ihn: „Ich bin jetzt freier Schauspieler!“ Ein Grund, das 30-jährige Bühnenjubiläum mit diesem Zeitraum zu verknüpfen. Dass er seit 2021 wieder am Kresch-Theater spielt, ist ein Beleg für die enge Verbundenheit. Im Oktober steht die Premiere von „Pettersson und Findus“ an. Und wie die Hauptfigur Otto im Stück „Der Trafikant“ liebt Volker den Beruf aus tiefstem Herzen. Im Grunde müsste man im zugrundeliegenden Roman von Robert Seethaler nur das Wort „Schauspieler“ einsetzen: „Weil ich Trafikant bin. Weil ich Trafikant sein will. Und weil ich immer Trafikant sein werde. Und zwar bis es nicht mehr geht.“
Doch Diefes‘ Geschichte ist damit noch längst nicht auserzählt, denn in drei Jahrzehnten hat der umtriebige und vielseitige Künstler zahlreiche Stationen in seinen Lebenslauf geschrieben: acht Jahre als feste Größe am renommierten Düsseldorfer Kom(m)ödchen, Improvisationstheater, Fernsehauftritte, Kreuzfahrten, drei Soloprogramme, die Ganzjahresspaßband JeckUnited und Publikumspreise. Die kräftezehrende Pandemie, die nicht nur das Leben vieler Kunstschaffender auf den Kopf gestellt hat, würde wohl jeder lieber auslassen. Das bittere Gefühl, nicht „systemrelevant“ gewesen zu sein, schmerze Volker noch heute, auch wenn er die Zeit mit Videos auf YouTube überbrücken konnte. „Doch das macht deutlich mehr Arbeit – und es kommt auf dieser Plattform ja nichts zurück“, resümiert er in sich gekehrt. „Ich bin überzeugter Bühnenkünstler und brauche das direkte Gespräch, die Tuchfühlung mit dem Publikum – vor, während und nach der Show. Ich will mir die Fragen, Sorgen und Ängste der Menschen anhören und sofort darauf reagieren, das geht für mich nicht online.“ Der Blick wird intensiver und dunkler, die seelischen Wunden durch Corona sind offensichtlich nicht verheilt. Statt angesichts seiner Erfolge und ausverkaufter Shows arrogant zu sein, zweifelt er lieber an sich und der Welt und schaut uns versonnen durch runde Brillengläser an.
Der Klimawandel treibt Volker um, gerade erst hat er ein paar Tage bei „Affenhitze“ in München verbracht und erzählt, dass er bei den hohen Temperaturen fast keinen klaren Gedanken fassen konnte. Dabei gehe es in der Funktion als sozialkritischer Kabarettist ja gerade um Inhalte. Sein künstlerischer Auftrag: „Wenn ich auf die Bühne gehe, will ich Menschen den Spiegel vorhalten und den Finger in die Wunde legen.“ Im Grunde sei er wie der Clown, den Entertainer und Vorbild Harald Juhnke 1992 in einem gefühlvollen Song beschrieben hat. In seinem Schaffensprozess schält Volker nicht nur das Wesentliche eines Themas heraus, er feilt so lange an Worten und Gesten, bis er mit seiner Verantwortung für das Gesagte im Reinen ist. „Aus meiner anekdotischen Evidenz“ – lange Pause – „kann ich erzählen, dass es oft an Form und Inhalt fehlt.“ So sei er auch kein Fan von schnell veröffentlichten Aufregern in den sozialen Medien, um zu provozieren oder Klicks zu generieren. Der nachdenkliche Schauspieler scheint die großen Dichter und Denker zu bevorzugen, er zitiert im Gespräch mehrfach aus Goethes „Faust“ und weiß, dass Schiller der Urheber der Formulierung „Bretter, die die Welt bedeuten“ war.
Wer sich für das Jubiläumsprogramm interessiert, muss dennoch keine knochentrockene Kulturveranstaltung befürchten. Volker plant eine „gesunde“ Mischung aus alten und neuen Texten und verspricht, jeden Termin zu einem „kleinen Festival“ zu machen. Interaktiv soll es werden, die Zuschauer*innen – wir diskutieren über Gendersternchen und fügen sie deshalb als Bonus hier ein – dürfen den Abend mitgestalten. Schon nächsten Dienstag wird er bei der nächsten „Monkey Night“ auf der kleinen Bühne im Jazzkeller stehen, seinen Gästen den sprichwörtlichen roten Teppich ausrollen und das tun, was er als geborene Rampensau am meisten liebt: live spielen vor echten Menschen. Und zwar bis es nicht mehr geht.