Ulrich Pudelko

„Liebe deine Stadt wie einen Freund!“

„Eine der schönsten Städte an den Ufern des Rheins“, schwärmte Baron de Ladoucette, als er 1813 Krefeld besuchte. Gut 140 Jahre später schuf der Künstler Fritz Huhnen mit dem Buch „Gute, Böse und Krefelder“ mehr als ein geflügeltes Wort, er setzte der Stadt ein humorvolles Denkmal. In seinen Augen ist der Krefelder eigen, mitunter eigensinnig, aber stets munter und lebensfroh. Doch auch Meckern gehört wohl zur Identität der Bewohner, wenn man die Kommentare in den sozialen Medien und der Tagespresse verfolgt. Ulrich Pudelko führt seit 25 Jahren Einheimische und Touristen durch seine Heimatstadt und ist überzeugt, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Zum 650-jährigen Stadtjubiläum warf er mit uns einen subjektiven Blick in sein Archiv der Anekdoten – in bestem Krieewelsch und mit ganz viel Charme. Versuch einer Kurzfassung.

Wie packt man viele Jahre Stadtgeschichte in einen kurzen Artikel, ohne historische Bücher wälzen zu müssen? Indem man eine Person fragt, die sich in puncto Vergangenheit und Gegenwart bestens auskennt: einen heimischen Stadtführer! Seit 1998 ist der Krefelder Ulrich Pudelko für informative und humorvolle Touren bekannt, ob zu Fuß, per Fahrrad oder am liebsten per Bus – „weil man da durch die erhöhte Position besonders gut sieht“, wie er mit einem verschmitzten Lächeln erklärt. Dabei kann er auch auf lange Jahre in der Stadtverwaltung und Erfahrungen als Musiker, Fotograf und Buchautor zurückblicken. Dass er Menschen mag und gern Neuigkeiten austauscht, beweist schon der herzliche Empfang in der Altbauwohnung in Cracau: Der Tisch ist überladen mit Zeitungsartikeln, und wir unterhalten uns auf Anhieb wie gute Bekannte. Der 77-jährige Uerdinger mit väterlichen Wurzeln in Oberschlesien – „Ich bin zwar hier geboren, aber für richtige Krieewelsche habe ich ja einen Migrationshintergrund“, schmunzelt er in breitestem Krefelder Platt – drückt uns ein paar Dokumente in die Hand und fällt mit dem ersten einer Serie von Sprüchen ins Haus. Als bekennender Aphoristiker hat er Zitate zum Nachdenken gesammelt und veröffentlicht. Ein Beispiel: „Man steht nicht automatisch besser da, wenn man andere schlecht macht.“ Nach 50 Jahren sei jedoch Schluss mit seiner Sprücheküche.

„Mein Krefeld“ ist nur eines der Bücher, die Ulrich Pudelko geschrieben hat.

Zugegeben: Nach dem freundlichen Telefonat vorab hatten wir uns das Gespräch etwas strukturierter vorgestellt. Ein netter Bericht über die wesentlichen Sehenswürdigkeiten der Stadt, gewürzt mit historischen Daten, vielleicht angefangen bei der Unterzeichnung einer Urkunde durch Kaiser Karl IV. im Oktober 1373. Stattdessen gibt es Geschichten. Und unzählige Witze. „Freunde sind Leute, die man mag, obwohl man sie kennt“, sagt Pudelko und lacht. Das gelte auch für seine Heimatstadt, schrieb er vor zwei Jahren in einer flammenden Hommage auf Krefeld: „Wir kennen ihre Schwächen, werden aber ihre Stärken nicht vergessen.“ Es folgt ein leichtes Schulterzucken, denn der Text sei leider nie gedruckt worden. Im Jubiläumsjahr bietet Pudelko in Kooperation mit dem Stadtmarketing „heiter-satirische Stadtrundfahrten“ im Jazzkeller an – stationär, locker erzählt und mit Songs zu Banjo und Gitarre. Seine Nachbarin, Krimiautorin Ina Coelen, habe ihn 2011 im Linner „Café Konkurs“ auf die Idee gebracht, ein Soloprogramm mit Musik und Anekdoten auf die Beine zu stellen. Der selbst ernannte Optimist, der trotzdem nicht naiv sein will, wirft einen Blick auf seine Lose-Blatt-Sammlung: „Ich erzähle von Krefeldern, die Großes geleistet haben. Angefangen bei Luftfahrtpionier Felix Kracht, dem 1937 der vollständige Überflug der Alpen in einem selbstkonstruierten Segelflugzeug gelang, über den Rebzüchter und Winzer Georg Scheu, der die berühmte Scheurebe kreierte, oder Schlagertexter Kurt Feltz, der für Peter Alexander und Caterina Valente schrieb, bis hin zu Bayer-Chemiker Dr. Hermann Schnell, der den Kunststoff Makrolon erfand. Kennste?“

Natürlich seien auch die üblichen Verdächtigen darunter, der Erfinder des Bandoneons Heinrich Band oder Ralf Hütter, bekannter Musiker und Mitglied der Gruppe Kraftwerk. Ulrich Pudelko kann nicht verhehlen, dass er als junger Mann lieber Musik studiert hätte, als eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen, ab jetzt sprudeln die Sätze noch schneller aus ihm heraus: „Ralf Hütter spielte 1964 in der Schulband ‚Quatermasters‘ am Fichte-Gymnasium. Guck mal hier, da sind wir in der Königsburg aufgetreten!“ Noch immer fasziniert zeigt er auf ein Schwarzweißfoto im Bildband „Wer beatet mehr?“ über die Krefelder Musikszene der Sechzigerjahre. Das Buch über eine „lebendige, wilde und verrückte Zeit in der Seidenstadt“ hat Ulrich Pudelko gemeinsam mit den Musikern Wolfgang Hellfeier, Waldo Karpenkiel und Hans Rommerskirchen zusammengestellt. Seine Augen schimmern, als er sich an rappelvolle Tanzsäle und Live-Clubs erinnert. Heute sei die Königsburg abgerissen und durch einen Parkplatz ersetzt worden. „Aber das ist der Lauf der Dinge“, bemerkt er sachlich. „Alles ist in Bewegung, und wir müssen uns anpassen.“ So ändere er auch immer wieder die Route der Stadttouren, denn in 25 Jahren sei ja einiges neu gebaut worden: die Überdachung von Königstraße und Ostwall-Haltestelle beispielsweise oder der Behnisch-Bau neben dem Stadtmarkt.

Ulrich Pudelko und das Fohlenpaar der Geschwister Sabine und Theo Akkermann am Bismarckplatz: eine von vielen Arbeiten, die die beiden Künstler den Krefeldern hinterlassen haben.
Kennen Sie den Kinderbrunnen? Er stammt vom Bildhauer Franz Brahmstaedt und steht auf der Hohenzollernstraße.
Das Bildnis des italienischen Dichters Dante Alighieri wurde erst vor wenigen Jahren auf den Theaterplatz „umgezogen“.
Auch zum leeren Sockel am Bismarckplatz hat Pudelko noch eine überraschende Anekdote parat.

Entgegen der herkömmlichen Meinung empfehle sich eine Stadtführung mit Ulrich Pudelko besonders für Einheimische. Denn es sei schon ein Unterschied, ob man Krefeld als alteingesessener Bürger oder durch die Brille eines Touristen sehe. Das schönste Kompliment am Ende der Tour? „Ach, das kannte ich gar nicht, das habe ich noch nie gesehen“ – die Freude darüber steht im quer ins Gesicht geschrieben. Bei der Frage, was es hier alles zu sehen und zu tun gäbe, ist Pudelko nicht mehr zu stoppen. „Rennbahn, Stadtwaldhaus, Mediothek, Kaiser-Wilhelm-Museum, Seidenweberhaus, Stadttheater, Musikschule, Jazzkeller, Fabrik Heeder, Krefelder Zoo, Dionysiuskirche, Mennonitenkirche, Rathaus, Standesamt, Kulturfabrik, Großmarkt oder der Mies van der Rohe Businesspark“, fallen ihm ein, während er Dutzende laminierter Fotos zückt. Gerade die Vielfalt an kulturellen Angeboten und schönen Gebäuden sei enorm. Beim rosafarbenen Haus Floh, das im 18. Jahrhundert von Seidenbaron Johann von der Leyen errichtet wurde, weist er uns gekonnt auf Details wie eine goldene Krone und den schwarzen Stein in der Mitte hin. Zu den „sehr modernen“ Häusern Esters und Lange hat er gleich zwei Anekdoten parat: „Bevor der Künstler Christo mit der Verpackung des Berliner Reichstags Furore machte, hat er 1971 in Krefeld ausgestellt und den hiesigen Hausmeister genervt, weil der die Stoffbahnen schneiden musste. Auch Fotograf Andreas Gursky, heute weltberühmt, begann seine Karriere in Krefeld.“ Erst vor wenigen Jahren sei er wieder für eine Ausstellung in Krefeld gewesen – nicht in Berlin oder London. Kein Zweifel, dieser Mann liebt Geschichten.

Aber er ist auch begeistert vom Engagement der Menschen in dieser Stadt, in seiner Hommage zählt er die vielen Bürgervereine auf: „Das Bügeleisen saniert vom Uerdinger Heimatbund, das Kaiserbad durch den Verein Freischwimmer vom Leben erfüllt. Die alte Bockumer Feuerwehr fest in der Hand der Prinzengarde, die Scheutensche Bibliothek im Moltke-Gymnasium von Lehrer Manfred Wüst betreut. Die Hülser Heimatstuben vom Heimatverein auf Vordermann gebracht, der Uerdinger Bahnhof von den Spielfreunden saniert. Das Klöske – eine Station auf dem Jakobsweg – von den Schlaraffen für ihre Sippungen genutzt.“ Der Platz reicht gar nicht aus, um hier alle Initiativen zu nennen. Und dann das ganze Grün, die tollen Parkanlagen, 100.000 Bäume, 27.000 Straßenbäume und 27 Alleen, die gerade den auswärtigen Besuchern positiv auffielen. Natürlich sehe er auch die Schlaglöche, die teils schlechten Radwege, die Dauerbaustellen oder die Drogenszene. Er sei schließlich Realist, und die Liste dessen, was man alles verbessern könne, noch lang. Doch auf seine ganz spezielle zuversichtliche Art schaut Ulrich Pudelko lieber auf das, was schon gut ist: „Es ist nicht alles Driet in Krefeld, man muss hingucken und das Schöne entdecken!“ Die Mundart legt er uns noch ans Herz, erzählt fix von den Krefelder Krähen und den Pappköpp, bevor er die Ess- und Trinkkultur beleuchtet: „Dat Schlüffken ist ein Gewinn, und nachher treffe ich mich mit Freunden im Brauereiausschank Wienges.“ So kann also der Ruhestand aussehen.

Wir werden heute lange über Gute, Böse und Krefelder sprechen, von geklauten Fahrrädern oder versehentlich verkauften Handschuhen erfahren und über Fritz Huhnen philosophieren. Einige Geschichten kann man in Pudelkos Büchern nachlesen, die auch in der Mediothek zu finden sind. Vor allem aber haben wir wieder einen von tausenden engagierten Bewohnern kennengelernt, die ihre Stadt betrachten wie einen alten Freund: mit allen Stärken und Macken, manchmal schlecht gelaunt, oft voller Lebensfreude. Und dabei immer liebenswert.  

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