Als Erika Vercoulens erstes Leben endet, liegt sie im Krankenwagen. Die an COPD erkrankte 71-Jährige bekommt von alledem nichts mit. Weder von der Fahrt unter Blaulicht, dem künstlichen Koma auf der Intensivstation noch vom Luftröhrenschnitt und der externen Beatmung. Jeden Tag werden hunderte Menschen auf den Intensivstationen der Bundesrepublik aus ganz unterschiedlichen Gründen durch eine Kanüle beatmet. Immer dann, wenn der Erhalt des Lebens ohne diese Maßnahme nicht garantiert werden kann. Je länger Menschen in diesem Zustand verweilen, desto größer ist die Herausforderung, sie wieder der selbstständigen Atmung zuzuführen. Reguläre Weaning-Stationen (Weaning = Entwöhnung) leisten dabei fast überall gute Arbeit, sind aber aufgrund verschiedener Faktoren in ihren Mitteln begrenzt. Damit aber so viele Menschen wie möglich wieder zur Selbstatmung zurückgelangen, hat das Helios Klinikum Krefeld die Station „Lebensluft“ geschaffen, in der zehn Fachbereiche ihre Expertise zum Wohle der Patienten bündeln und so Pionierarbeit leisten. Für Erika Vercoulen war diese Station ein Geschenk des Himmels.
„Tatsächlich habe ich erst hier mein Bewusstsein wirklich wiedererlangt“, beginnt die Krefelderin zu erzählen, „über die Etappen davor musste ich mir von meiner Familie berichten lassen. Ich habe zwar offenbar schon davor mit meinen Angehörigen kommuniziert, aber daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.“ Geschichten wie diese sind nicht neu für die examinierte Altenpflegerin Denise Laws und den Anästhesie-Intensivpfleger Stefan Domnik. „Ein Delir schleicht sich langsam aus. Oft sind die Patienten geschockt, wie viele Tage und Wochen vergangenen sind, seit ihre Erinnerung aussetzte“, so Dominik über die Frühphase des Stationsaufenthalts. Kommt ein Patient vom Weaning zur Lebensluft, wird er zunächst ausführlich untersucht. Dann wird der Status quo erhoben und der Plan gefasst, mit welchen Methoden und Übungen er Stück für Stück der Selbstatmung zugeführt werden kann. Während Pneumologen dabei die medizinische Verantwortung tragen, kümmert sich ein Team aus Gesundheits- und Krankenpflegern, Altenpflegern, Atmungstherapeuten, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Wundmanagern, Stomaberatern und Diabetologen um die vielen kleinen Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, damit ein Patient wieder richtig atmen kann. Bis zu sechs Monate können dabei vergehen.
„Am Anfang machen wir kleine Schritte“, berichtet Denise Laws. „Bei Menschen, die über Wochen nahezu bewegungsunfähig ans Bett gefesselt waren, sind die Muskeln stark degeneriert. Oft gilt es also, zunächst einmal das Setzen auf die Bettkante zu üben, Arme und Beine zu bewegen, um danach langsam die ersten Schritte zu gehen.“ Während so an Muskeln und Motorik gefeilt wird, richten andere ihren Fokus auf die Atem- und Schlucktechnik. „Das, was gesunde Menschen reflexartig machen, müssen unsere Patienten wieder bewusst erlernen“, so Dominik weiter. „Geduld, Einfühlungsvermögen und eine gesunde Portion charmante Hartnäckigkeit sind hier die Zauberwörter.“ All das erinnert Erica Vercoulen nur zu gut: „Ja, es war hart und manchmal fällt es einem schwer, aber die Menschen hier sind so nett, engagiert und motivierend, dass man die Übungen zwar natürlich in erster Linie für sich macht, aber auch zu einem großen Teil für die Freude und Anerkennung der Pfleger.“ Die Nähe zwischen Pflegern und Patienten könnte hier größer kaum sein, aber genau das sei ein Teil der Erfolgsgeschichte der Station, die rund 60 Prozent ihrer Patienten als Selbstatmer oder unterstützte Selbstatmer entlässt, sagen Laws und Dominik unisono.
Für Denise Laws und Stefan Domnik ist der Wechsel zur Lebensluft die goldene Karriere-Entscheidung gewesen. „Als Anästhesie-Intensivpfleger hatte ich stets mit schlafenden Menschen zu tun. Natürlich hatte diese Tätigkeit ihren Wert und ich fand Gefallen daran, aber das, was ich hier erlebe, steht in keinem Verhältnis dazu. Menschen von der Bettlägerigkeit wieder hin zu einem selbstbestimmten Leben zu führen, ist derart bereichernd und erfüllend, dass ich es mit Worten kaum beschreiben kann. Für uns ist jeder Patient wie ein einzelnes Projekt, bei dem wir mitfiebern und jeden kleinen Fortschritt mit den Patienten zelebrieren“, erzählt Stefan mit leuchtenden Augen und Laws ergänzt: „Es ist einerseits die enge Verbindung zu den Patienten, andererseits aber auch die Qualität unserer Arbeit, die mich hier so begeistert. Mit wie viel Sachverstand alle Teammitglieder zusammenarbeiten, bis wir endlich den großen Moment erleben, in dem die Kanüle gezogen wird, ist unglaublich. Dieser Augenblick, in dem die Menschen wieder selbstständig atmen und dann für den Alltag trainiert werden können, hat etwas Magisches, das man nirgendwo anders so erleben kann. Klar mochte ich die Altenpflege, aber das hier ist so viel spannender.“
Erika Vercoulen ist heute noch den Tränen nah, wenn sie an ihren magischen Moment denkt: „Der Arzt hat mich damals hinters Licht geführt. Er sagte, er würde bis Drei zählen und dann die Kanüle entfernen. Aber er machte es wie bei einem Pflaster ganz plötzlich und siehe da: ich konnte atmen. Ich war so erleichtert, die blöde Tröte endlich los zu sein.“ Der Grundstein für ihr zweites Leben war damit gelegt, aber das Ende der Therapie noch nicht erreicht. Denn auch nach der Rückführung zur Selbstatmung wartet Arbeit mit den Physiotherapeuten, die sicherstellen, dass die Patienten fit genug sind, um den Herausforderungen des heimischen Alltags zu trotzen. Für das gesamte Team der Lebensluft sind die Anerkennung und die Dankbarkeit ihrer „Projekte“ der größte Lohn und sie könnten mit ihrer glühenden Leidenschaft nicht besser für die Arbeit werben, für die es immer wieder neue Mitstreiter braucht, die dem Beispiel von Denise Laws‘ und Stefan Domnik folgen. Beide haben hier ihre Bestimmung gefunden. Und Erika Vercoulen ein neues Leben.
Open House für potenzielle Kolleg:innen!
Für Intensiv-, Gesundheits- und Kranken- sowie Altenpflegekräfte, die sich mit dem Gedanken tragen, in ihrem Berufsleben eine neue Richtung einzuschlagen, öffnet die Station Lebensluft am Donnerstag, 2. März, zwischen 14 und 18 Uhr ihre Pforten. Interessierte können in diesem Zeitraum einfach ohne vorherige Anmeldung hereinschauen und buchstäblich Lebensluft schnuppern.
Helios Klinikum Krefeld
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