„Zwei Dinge hatten wir, die unsere Kindheit zu dem machten, wie sie war – Geborgenheit und Freiheit.” Das schrieb Astrid Lindgren in ihrer Biografie „Mein Småland”. Auf den ersten Blick hat Krefeld mit der schwedischen Idylle der Lindgren-Bücher herzlich wenig zu tun, denn seit Jahren ist beispielsweise fast jedes vierte Kind in der Stadt von Armut betroffen. Andererseits gibt es hier viele Menschen, die sich enorm für die Rechte von Kindern, Jugendlichen und Familien engagieren. So wie Birgit August, die mit ihrem Team beim Kinderschutzbund Krefeld den Traum von glücklichen, starken Kindern verfolgt. Wie groß das Hilfsnetz mittlerweile geworden ist und welche Werte die Vorsitzende des Präsidiums antreiben, erzählte sie uns ganz unaufgeregt bei Mineralwasser und selbst gebackenen Keksen.
Morgens halb zehn in Krefeld. In der Fußgängerzone sind an diesem Freitag bereits einige Einkäufer unterwegs, und eine junge Musikerin bearbeitet ihren Kontrabass, um die Passanten zu unterhalten und etwas Kleingeld zu verdienen. Die limitierte Songauswahl hören wir bis in die oberen Etagen des Kinderschutzbunds, dessen Geschäftsstelle an der Dreikönigenstraße 90 – 94 zu finden ist. Nicht nur die hellen Räume, die fröhlich-bunten Bilder an den Wänden und ein kleiner brauner Mitarbeiterhund strahlen eine freundliche Atmosphäre aus, auch Birgit August heißt uns ruhig willkommen und schließt nebenbei ein Fenster, damit wir uns besser unterhalten können. Und verrät mit dieser Geste schon ihr bodenständiges Lebensmotto: „Was zu tun ist, ist zu tun.“
Eine Namensrecherche im Internet wirft überwiegend Presseberichte aus: Interviews zu Kinderarmut oder Hilfsangeboten des Kinderschutzbunds, Meldungen über diverse Benefizveranstaltungen und typische Fotos der Übergabe von riesigen Spendenschecks. Seit zwei Jahrzehnten widmet die gebürtige Mönchengladbacherin einen Großteil ihrer Freizeit dem ehrenamtlichen Engagement für Krefelder Kinder und Jugendliche, doch über Beruf oder Privatleben erfährt man so gut wie nichts. „Wen interessiert denn, was ich zum Frühstück hatte?“, fragt August trocken und gibt zu, dass sie privat weder Facebook, Instagram noch WhatsApp nutzt. „Ich konzentriere mich mit vollem Herzen auf meine Aufgabe: zu vermitteln, was der Kinderschutzbund für eine tolle Arbeit leistet!“ Sie selbst sei in einem starken Familienverbund mit mehreren Generationen aufgewachsen und habe erlebt, wie das „Nest der Familie“ ihr Sicherheit und Geborgenheit vermittelte. „Dieses Empfinden möchte ich weitergeben, auch wenn ich keine eigenen Kinder habe. Dafür bin ich mittlerweile Oma von drei Enkelkindern“, lächelt die 60-Jährige stolz. „Der erste Kontakt zum Ortsverband Krefeld kam 2001 eher zufällig zustande“, erinnert sie sich: „Wir wollten keine materiellen Geschenke zur Hochzeit, sondern Spenden für einen sozialen Zweck einsammeln.“ Eine Nachbarin gab der Neukrefelderin den entscheidenden Tipp, ein persönliches Treffen mit dem langjährigen Geschäftsführer und heutigen Vorstandssprecher Dietmar Siegert folgte rasch. „Danach war klar, dass ich mich aktiver einbringen wollte“, beschreibt sie den Beginn einer „wunderbaren Freundschaft“.
In über 30 Jahren habe Siegert in Krefeld ein umfassendes und innovatives Netz an Hilfen für Familien aufgebaut, weist August auf eine Übersicht im aktuellen Flyer hin: Mehr als zwei Dutzend Kreise mit ausdrucksstarken Symbolen wie Leuchtturm oder Anker visualisieren die Angebote, die wirklich jede Altersstruktur abdecken und dafür sorgen, dass „allen Kindern unserer Stadt ein guter Weg in ihr späteres Leben geebnet“ werde, heißt es dort. Die Palette reicht von der Babyzeit mit rund 1.500 jährlichen Neugeborenenbesuchen über die Phase der Kinderbetreuung bis zum offenen Ganztag in der Schule. Doch sie beinhaltet auch Beratung im Fall von sexualisierter Gewalt oder bei psychischen Erkrankungen der Eltern sowie Gruppenangebote bei Trauer oder Fluchterfahrung, um zu helfen, wenn der Alltag grau sei.
„Gemeinsam sind wir stark“ lautet die zentrale Botschaft des Kinderschutzbunds, und sie wird erfolgreich umgesetzt: Drei Kitas, acht offene Ganztage und mehrere Fachbereiche in der Geschäftsstelle, ein Vorstandsduo, 280 hauptamtliche, gut ausgebildete Fachkräfte, 36 Azubis und ein achtköpfiges Präsidiumsteam machen den Ortsverband Krefeld zum zweitgrößten in Deutschland. „Dazu kommen noch die vielen Bürger, die unsere Arbeit ehrenamtlich unterstützen“, weiß Birgit August und weist auf einen wertvollen Vorteil hin: „Sollten Probleme auftauchen, können die Ehrenamtler sofort an die Fachwelt abgeben.“
Um „nah an den Menschen zu sein“, hat die pragmatische Präsidiumsvorsitzende fast alle ehrenamtlichen Stationen selbst durchlaufen. Dazu gehören die stundenweise Lernzeitbetreuung in den Ganztagsschulen, der Einsatz als Familienfee, um junge Mütter in den ersten Monaten nach der Geburt zu entlasten, oder die Ausbildung zur langjährigen Arbeit von Stützradpaten, wenn ein Elternteil schwer erkranke. Wer sich vorstellen könne, Kindern einen Teil seiner freien Zeit zu schenken, werde in einem Eingangsgespräch ausgiebig beraten. „Wichtig ist, für sich ein Zeitkontingent festzulegen. Wie fest will ich mich binden?“, erklärt August den internen Bewerbungsprozess. „In einem zweiten Schritt prüfen wir gemeinsam persönliche Fähigkeiten, Vorlieben und Sprachkenntnisse. Es ergibt ja keinen Sinn, eine Nichtraucherin in einen Raucherhaushalt zu schicken oder einen Hundebesitzer mit Menschen zusammenzubringen, die keine Tiere mögen.“ Sie spricht aus langjähriger praktischer Erfahrung, und noch heute sei sie froh, „alles selbst gemacht zu haben“. Denn mit einer guten Basis und vor allem viel Wertschätzung könne sie nicht nur den Krefelder Kinderschutzbund „gut nach außen repräsentieren“, sondern auch „minimale Weichenstellungen“ im Leben eines Kindes bewirken. „Sich in die Augen zu blicken, aufrecht zu stehen oder keinen Kaugummi zu kauen – das kann später einen Unterschied machen. Und das ist ein gutes Gefühl!“ Ihre strahlenden Augen sind der Beweis, dass sie mit ganzem Herzen für das Kindeswohl dabei ist.
Wenn August nicht gerade an Sitzungen teilnimmt, Reden über Kinderarmut hält, beim Dankeschönabend für Mitglieder, Förderer und Spender den Kochlöffel schwingt oder auf Benefizveranstaltungen einfach selbst die Getränke ausschenkt, kümmert sie sich um ihre eigene Familie, die auf einem kleinen ehemaligen Bauernhof in Traar mit Hühnern, Katzen und dem klassischen Hofhund zusammenlebt. Der Kontrast zwischen der gut gekleideten „Charity Lady“ und der privaten Frau in Gummistiefeln könnte optisch nicht größer sein, schießt es uns durch den Kopf.
Ihre persönliche Vorstellung von Bullerbü hat Birgit August längst realisiert. Doch das hindert sie nicht daran, sich jeden Tag mit viel Herz und einem tollen Team aus Fachkräften und ehrenamtlichen Helfern dafür einzusetzen, dass Eltern und Familien in unserer Stadt jede Unterstützung erfahren, die sie benötigen. Damit auch der Traum von möglichst vielen glücklichen, starken Kindern in einem geborgenen Zuhause wahr werden kann. Im Buch „Die Brüder Löwenherz“ lässt Lindgren Jonathan zu Krümel sagen: „Es gibt Dinge, die man tun muss, sonst ist man kein Mensch, sondern nur ein Häuflein Dreck.” Packen wir mit an!