„Music was my first love.“ Schon seit Tagen geht diese Rockballade von John Miles nicht mehr aus dem Ohr. Eine Spätfolge des Gesprächs mit Schriftsteller Thomas Hoeps, der heute noch Musik liebt, vor allem auf Vinyl. Doch letztendlich hat er sich für eine andere Kunstform als Beruf entschieden: die Literatur. Sein erstes Buch war trotz des Titels „gib dem onkel die hand (die schöne!)“ kein Benimmratgeber, sondern ein Band mit Lyrik und Kurzprosa. 1998 erschien sein Debütroman „Pfeifer bricht aus“. Und seit 2006 schreibt der promovierte Germanist zumeist Krimis und Thriller. Für unsere Reihe „Wie wird man eigentlich …“ sprachen wir mitten in der City über weiße Seiten, gute Geschichten und die Liebe zu den Figuren.
„Ich gebe mein Gesicht nicht freiwillig her. Es zählt zu den Teilen meines Körpers, die ich immer mochte. Nicht, dass es nach den herrschenden Maßstäben besonders schön wäre. Aber es wirkt freundlich. Vermutlich wegen der Lachfältchen und meiner Augen, die, so sagte mal jemand, Neugier und Humor ausstrahlen, Empathie und Wärme.“ So beginnt eine Kurzgeschichte, die vom Wesen unserer Identität handelt und neulich in einem Kunstkatalog mit Frank Bernemann erschien. Und irgendwie passt diese Beschreibung auch gut auf ihren Verfasser Dr. Thomas Hoeps, der entspannt in Jeans und Turnschuhen zum Interview angeradelt kommt.
Einen Fahrradhelm hat er nicht dabei, was uns gleich kurz, aber humorvoll über Helmpflicht und Holland diskutieren lässt. Denn der 55-Jährige verbringt viel Zeit im Nachbarland, schreibt er doch seit gut 15 Jahren erfolgreich Krimis und Thriller mit seinem niederländischen Kollegen und Freund Jac Toes. „Dort wird viel mehr Rad gefahren als bei uns, fast ausschließlich ohne Helm“, erklärt Hoeps. „Gleichzeitig ist das Unfallrisiko viel niedriger. Während mir hier Radfahrer erzählen, dass ihr Helm den Autofahrern als Extralizenz zum Gasgeben und Schneiden erscheint.“
Menschliches Handeln fasziniert den gebürtigen Krefelder, auch die Geschichten von Hoeps und Toes sollen neben interessanten, vielschichtigen Charakteren immer eine gesellschaftliche Relevanz besitzen. „Sonst wäre die lange Arbeit daran für uns nur Zeitverschwendung“, sind sich beide Autoren einig. So drehen sich die letzten zwei Romane des Duos um die gefährlichen Reaktionen der niederländischen Wiet-Mafia auf eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland und um die russischen Destabilisierungsversuche im Baltikum. „Generell finden wir es spannend, wie eigentlich strategisch kluge Menschen bei einem Fehler den richtigen Zeitpunkt verpassen, sich zu korrigieren oder zu entschuldigen, und so immer tiefer in Probleme geraten“, spielt Hoeps auf die Hauptfigur Marcel Kamrath aus „Die Cannabis-Connection“ an. Politiker wie Uwe Barschel oder Lyndon B. Johnson seien da Beispiele aus dem wahren Leben. Zum aktuellen Buch „Der Tallinn-Twist“ schreibt der Spiegel: „Einen europäischen Politthriller von solcher Modernität und Klasse wird man außerhalb Großbritanniens lange suchen müssen.“ Ein großes Lob, das in starkem Kontrast zum bescheidenen Auftreten des Schriftstellers steht. Es lässt uns auch wundern, warum seine Bücher trotz zahlreicher Auszeichnungen und Nominierungen in einigen lokalen Buchhandlungen nur auf Bestellung zu haben sind.
Wir sind in einem Café verabredet und haben schon am Telefon über das Klischee gefrotzelt, dass Autoren eine ruhige Kugel schieben und viel Zeit im Kaffeehaus verbringen. Die Realität sieht jedoch anders aus: Das Schriftstellerdasein ist arbeitsintensiv und in 95 Prozent der Fälle schlecht bezahlt, was auch an der Konkurrenz von rund 75.000 Neuerscheinungen pro Jahr liegen mag. „Die allerwenigsten Autoren können wirklich vom Schreiben leben. Die meisten benötigen einen Brotjob oder eine andere Art der Querfinanzierung“, betont der Buchberater Leander Wattig in der Süddeutschen Zeitung. Zwar gibt es in der Literaturszene Stars wie Martin Suter, J.K. Rowling und James Patterson, die gut von den Tantiemen ihrer Romane leben können. Doch wer ernsthaft schreiben will, hat oft andere Ziele als Berühmtheit und Reichtum, er verwirklicht einen Traum.
Bei Thomas Hoeps sind es mindestens drei Erfahrungen, die ihn zum dauerhaften Schreiben motiviert haben. Als Kleinkind verbringt er viel Zeit im Krankenhaus, und das für die Siebzigerjahre übliche, sehr kleine Besuchsfenster fühlt sich rückblickend für ihn an wie der Aufenthalt in einem „Hochsicherheitsknast“, erinnert er sich. „Erklärungen von Unerklärlichem und die Ängste, die man sich in dem Alter und dieser Situation machte, reichen für ein ganzes Leben.“ Als er fünf Jahre alt ist, muss sein älterer Bruder ihm ein Kapitel aus „Pippi Langstrumpf“ vorlesen, um seine Konzentration zu trainieren. Für den Bruder sei das Vorlesen ein „Horror“ gewesen, für Thomas jedoch ein „Genuss“, denn er erlebt zum ersten Mal die Macht einer guten Geschichte: „Danach hatte mein Bruder keine Lust mehr, und ich musste schnell lesen lernen, um zu erfahren, wie es weitergeht. Seitdem war ich Stammgast am Bücherständer eines Schreibwarenladens in Hüls.“ Hoeps‘ eigener Humor blitzt in der dritten Anekdote durch: „Mit zehn Jahren bekam ich ein dickes Malbuch geschenkt und stellte fest, dass mir das Talent zum Zeichnen fehlt. Also habe ich einfach meinen ersten Roman hineingeschrieben“, erzählt er lächelnd. Das Werk mit dem Titel „Familie Meyer geht nach Australien“ sei aber glücklicherweise nicht mehr auffindbar.
Anders als „Architektin“ oder „Kaufmann für Büromanagement“ ist Schriftsteller keine geschützte Berufsbezeichnung, eine bestimmte Ausbildung gibt es nicht. Viele Autoren haben sich das Schreiben selbst beigebracht, andere studieren an Universitäten, besuchen Kurse oder lesen Bücher. Die Biografie von Thomas Hoeps ist eine bunte Mischung aus vielen Qualifikationen: Er veröffentlicht literarische Kurzgeschichten in der Schülerzeitung, arbeitet als freier Kulturjournalist unter anderem für die Westdeutsche Zeitung und studiert Germanistik und Informationswissenschaft in Düsseldorf. „In der Literaturwerkstatt der Universität habe ich viel gelernt, und die Aufträge im Lokaljournalismus waren so vielfältig, dass sie meine Sicht auf Menschen sehr geschult haben“, blickt er auf seine Studienzeit zurück. Nach der Dissertation über „Terrorismus in deutschen Romanen und Erzählungen“ lehrt der promovierte Germanist journalistisches Schreiben; sein Lebenslauf enthält danach so viele Stationen in der Kultur- und Literaturszene, dass er bei Wikipedia den ganzen Bildschirm füllt. Seit Ende 2020 leitet er das Niederrheinische Literaturhaus der Stadt Krefeld.
Insgesamt sieben Romane hat Hoeps seit 1998 veröffentlicht – neben der Arbeit im Hauptberuf. Alles in Einklang zu bringen, sei schon „heftig“ gewesen, gibt er offen zu. Und immer wieder fange er mit einem weißen Blatt neu an, suche nach dem ersten Satz. „Die Kunst zeigt sich erst beim Schreiben, nicht in der ersten Idee“, ist er überzeugt. Bei der Frage nach den wichtigsten Voraussetzungen für das Leben als Schriftsteller muss er nicht lange überlegen: „Neugier, Erzähllust, Disziplin, Ausdauer, Kritikfähigkeit. Und auch wenn es sich pathetisch anhören mag: Liebe für die Figuren, selbst oder auch gerade dann wenn sie auf der falschen Seite stehen.“
Wenn Hoeps nicht gerade schreibt oder arbeitet, erweitert er seine Schallplattensammlung oder feilt an einer Musikliste mit „1.000 Songs, ohne die mein Leben ärmer gewesen wäre“. John Miles ist mit seinem zeitlosen Rockklassiker „Music“ dabei. Kein Wunder, dass Hoeps‘ Lieblingshashtag auf Instagram #musicwasmyfirstlove lautet. Und wir Leser freuen uns, dass sich der eher zurückhaltende Thomas Hoeps beruflich für seine zweite Liebe, die Literatur, entschieden hat. Denn nicht nur die Figuren aus „Der Tallinn-Twist“ sind uns schon ans Herz gewachsen.
Fotos: Roberto Alfano