Susanne Kuhlendahl

Wie wird man eigentlich … Illustratorin?

Die diplomierte Designerin Susanne Kuhlendahl sorgte mit ihrer 128 Seiten starken Graphic Novel über die britische Autorin Virginia Woolf für Aufsehen in der Comicszene.

„Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte.“ Vor gut 100 Jahren prägte ein Werbefachmann aus Chicago diesen Satz, der zu einer globalen Redensart geworden ist. Bilder, so meinte er, würde das Gehirn sofort aufnehmen und verstehen, ganz im Gegensatz zu langen Texten. Comicleser schätzen diese Wirkung genauso wie Pressefotografen. Susanne Kuhlendahl hat sich mit ihren Graphic Novels für eine Kunstform entschieden, die sich durch eine hohe erzählerische Komplexität auszeichnet. Für unsere monatliche Reihe „Wie wird man eigentlich …“ besuchten wir die Illustratorin in ihrem Atelier in Tönisvorst. Und erlebten dort, wie die Gefühle von Virginia Woolf, Thomas Mann oder Kuhlendahls Mutter auf Papier lebendig werden.

„Biografie? Virginia Woolf? Ja klar, Nicole Kidman hat sich eine Nase angeklebt und einen Oscar bekommen“, gibt sich Entertainerin Hella von Sinnen zunächst gelangweilt und ohne große Erwartungen. Leider nur im Netz moderiert die Genrekennerin den ComicTalk, eine Art Literarisches Quartett für Comics, Bildergeschichten und grafische Literatur. In der aktuellen Ausgabe diskutieren mit ihr ein Journalist, ein Künstler und ein Comicexperte über das neueste Werk von Susanne Kuhlendahl aus Tönisvorst. Die diplomierte Designerin hat sich ein Jahr lang intensiv dem Leben und Schreiben der britischen Schriftstellerin Virginia Woolf gewidmet. Und eine 128 Seiten starke Graphic Novel mit beeindruckenden Aquarellbildern vorgelegt, die weder „trocken noch langweilig“ ist und nach deren Lektüre nicht nur von Sinnen „ein paar Tränchen verdrückt“ hat. Die Talkrunde zeigt sich gleichzeitig fasziniert wie verwundert, dass die bescheidene und fleißige Illustratorin bisher noch nicht in der Szene aufgefallen sei. „Das wird sich vermutlich im Juni bald ändern“, freut sich Kuhlendahl auf den Internationalen Comic-Salon in Erlangen. „Dort werde ich einen Kleinausstellertisch haben und viele Leute aus der Branche endlich persönlich treffen können.“

In Aquarellzeichnungen und ohne die für Comics typischen Panels fasste Kuhlendahl das Leben ihrer Protagonistin in Bilder.

Wir besuchen die unbekannte Künstlerin in ihrem farbenfrohen Tönisvorster Atelier, wo sie seit ihrem Studium an der Hochschule Niederrhein als freie Illustratorin arbeitet. Mittlerweile gehören renommierte Verlage wie Cornelsen oder Knesebeck zu ihren Auftraggebern, ihr Name steht auf Schul- und Kinderbüchern, Kalendern oder eben auch Graphic Novels, und ihre drei Söhne sind längst erwachsen. Doch bis dahin war es ein langer Weg und nicht ganz einfach für Kuhlendahl, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. „Ich hatte mir das so leicht vorgestellt, die Kinder spielen auf dem Teppich, während ich locker am Schreibtisch sitze und arbeite“, erinnert sich die 58-jährige Designerin lächelnd. „Doch ab dem Kindergartenalter wurde es etwas entspannter, ich bin einfach immer dran geblieben, denn ein Leben ohne Kunst kann ich mir nicht vorstellen.“ So habe sie als Kind „nur so zum Spaß“ Tolkiens Fantasy-Klassiker „Der Herr der Ringe“ illustriert. Trotzdem wählte sie an der Marienschule lieber Deutsch und Biologie als Leistungskurse und nicht Kunst, weil sie befürchtete, dass unter dem Druck der Spaß verloren gehen würde. „Der Beruf sollte Freude machen, das ist mir heute noch wichtig“, betont sie. „Ich will nicht berühmt werden, sondern meine Arbeit gern und so gut machen, wie ich es kann.“ Und so bewirbt sie sich erst nach einem Umweg über Praktika in der Heilpädagogik doch noch um einen Studienplatz für Visuelle Kommunikation in Krefeld. 

Die obligatorische Bewerbungsmappe einzureichen, fällt ihr nicht schwer, weil sie „schon immer viel gezeichnet und gemalt“ hat, auch nicht der anschließende Testnachmittag mit Aufgaben wie „Skizziere eine Szene aus einem Krimi!“ oder „Baue aus Papierstreifen etwas für einen guten Freund!“. In neun Semestern lernt sie bei den anerkannten Dozenten Waltraud Zaiser und Heinrich Görtz, „genau hinzusehen, meinen Augen zu trauen und Bilder im Kopf entstehen zu lassen“. Diese Zeit habe sie sehr geprägt.

Für angehende Designer gibt es seit 2016 in Krefeld zwei getrennte Studiengänge, Kommunikationsdesign oder Produkt- und Objektdesign, und neben dem Abitur oder der Fachhochschulreife als Zugangsvoraussetzung muss eine „künstlerisch-gestalterische Eignungsprüfung“ bestanden werden. Interessierte Oberstufenschüler können kostenlos den „designkrefeld vorkurs“ besuchen, doch steht wegen Corona der nächste Starttermin noch nicht fest. Die Hochschule möchte Studenten nach Angaben auf ihrer Webseite nicht nur dafür begeistern, die uns umgebende Welt „zeichnerisch zu untersuchen und das ganze Spektrum der Darstellungsmöglichkeiten auszuschöpfen“. In einer Broschüre verspricht sie: „Gemeinsam mit dir werden wir kommunikative Ideen entwickeln, die das Leben verständlicher, interessanter, schöner, manchmal humorvoller und im allerbesten Fall besser machen.“

Ideen sind auch für Susanne Kuhlendahl ein wesentlicher Teil ihres Berufsalltags. So probiert sie gern verschiedene Stile aus: Das Comicbuch „Die Geigerin“ ist beispielsweise komplett in schwarz-weiß gehalten, in der Story „Das blaue Gehirn“ kommt nur die Farbe Blau dazu, und die emotionalen Nachfolger „Tod in Venedig“ und „Virginia Woolf“ sind prall gefüllt mit meist farbigen Aquarellzeichnungen, aber es fehlen die für Comics typischen Panels. Die Biografie über die bedeutende britische Schriftstellerin Woolf ist Kuhlendahls erstes Buch, bei dem sie nicht nur die Illustration übernahm, sondern in Absprache mit dem Verlag auch die Geschichte gestaltete. Über Monate hinweg las sie sehr viele Bücher von und über Woolf, auch im Original, und stieg tief in das literarische Wirken, aber auch das Privatleben der Autorin ein, die an einer nicht erkannten bipolaren Störung litt. Die dunklen Phasen ihres Lebens stellte die Illustratorin konsequent mit schwarzem Bleistift dar. „Auf der einen Seite gehörte Woolf zum wohlhabenden Teil der Gesellschaft und konnte finanziell unabhängig leben, auf der anderen Seite wurde sie auch untergebuttert und durfte nicht studieren, obwohl sie das Talent dazu hatte“, resümiert Kuhlendahl. Sie bewundere die feministischen Texte, vor allem den Essay „Ein Zimmer für sich allein“, dem sie im Buch ganze vier Seiten gewidmet hat, um dem Thema Gleichberechtigung „ausreichend Raum“ zu geben. 

Kuhlendahls eigenes Arbeitszimmer ist höchstens zehn Quadratmeter groß und passt zu ihrem zurückhaltenden Wesen. Hier zeichnet sie immer noch „am liebsten per Hand“, wie die unzähligen Buntstifte auf der Fensterbank beweisen, und scannt die Skizzen anschließend ein, um sie am Computer zu bearbeiten. Eine Wand ist übersät mit unzähligen Zeichnungen für ihr nächstes Projekt: Sie will gemeinsam mit Sohn Kilian, der an der Kunsthochschule für Medien in Köln studiert hat, die Kriegserinnerungen ihrer 1930 geborenen Mutter aufarbeiten. Die Bilder zeigen Krefelder Bombennächte im Keller, Erlebnisse aus der Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg und eigene Erinnerungen von Tochter und Enkel, wie sie zusammen am Küchentisch sitzen oder in einen Keller hinabsteigen. „Im Buch wird es auch um die unterdrückten Emotionen einer ganzen Generation gehen, die viel Wert legte auf Selbstdisziplin und strenge Regeln, aber oft zu den eigenen Kindern keine liebevolle Beziehung aufbauen konnte“, erläutert Kuhlendahl mit einem leichten Kratzen im Hals. „Das Erzählen in Bildern, das Visualisieren des Unsagbaren ist meine Passion“, steht ganz oben auf ihrer Homepage. „Menschen, ihre Gefühle, Beziehungen und Stimmungen interessieren mich.“ Dieses sehr persönliche Buch wird nicht nur den Nerv der Babyboomer-Generation treffen. Hella von Sinnen und andere Liebhaber grafischer Literatur können eine emotionale Geschichte mit starken Bildern erwarten. Und sollten vielleicht mit dem ein oder anderen „Tränchen“ rechnen.

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