Sports360 Stiftung

Nach der Flut

Anja Funkel, Geschäftsführerin der Sports360-Stiftung.

Der Sommer 2021 wird uns wahrscheinlich als die Zeit in Erinnerung bleiben, in der wir endgültig begriffen, was „Klimawandel“ bedeutet. Es war der Sommer der Naturkatastrophen: Erst wurden mit Eifel und Ahrtal beliebte deutsche Touristenregionen förmlich weggespült, anschließend Südeuropa von einer brutalen Hitzewelle und verheerenden Waldbränden heimgesucht. Aber mit diesen Tragödien ging auch eine Erfahrung einher, die zuversichtlich stimmt: Wenn wir uns auf das Klima und die Natur schon nicht mehr verlassen können, so können wir doch weiterhin auf menschliche Nächstenliebe und Solidarität bauen – mehr jedenfalls als wir das gemeinhin annehmen. Als die Flut ging, kamen die Freiwilligen, um anzupacken und den Opfern zu helfen. Hilfe ganz besonderer Art leistet auch die Krefelderin Anja Funkel in ihrer Funktion als Geschäftsführerin der Sports360-Stiftung.

Die Flut kommt in den Abendstunden des 14. Juli. Binnen weniger Stunden steigt der Wasserspiegel der Ahr von normalerweise 90 Zentimetern auf bis zu acht Meter an – gut vier Meter mehr noch als beim „Jahrhunderthochwasser“ von 2016. Das Wasser überflutet Häuser, reißt Fundamente und Brücken ein und spült kontaminierten Schlamm in die Straßen. In Rheinland-Pfalz kommen rund 150 Menschen ums Leben, mehr als 750 werden verletzt, etliche werden immer noch vermisst, der wirtschaftliche Schaden liegt vermutlich in Milliardenhöhe. Fünf Wochen später hat sich das Wasser längst wieder zurückgezogen, doch die Bewohner von Orten wie Ahrweiler oder Bad Neuenahr stehen vor den buchstäblichen Trümmern ihrer Existenz. Der Wiederaufbau geht angesichts des immensen Ausmaßes der Zerstörung nur schleppend voran – auch weil vor Ort die gesamte Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen ist: Straßen sind gesperrt, Strom-, Wasser- und Funkversorgung unterbrochen, Banken und Geschäfte existieren nicht mehr. Aber die Katastrophe bleibt nicht unbeachtet: In den sozialen Netzwerken – die bei solcher Gelegenheit unter Beweis stellen, dass sie ihren Namen doch nicht ganz zu Unrecht tragen – organisieren sich Menschen, die ihre Hilfe anbieten. Freiwillige werden mit Shuttlebussen ins Katastrophengebiet gefahren und dort in Hilfsgruppen eingeteilt, die mit Spaten oder Brechstange helfen, Schutt wegzuschaffen oder Häuser zu entkernen. Dieser unbürokratische Einsatz ist auch dringend nötig, denn es gibt wahnsinnig viel zu tun. Der Anblick völlig verwüsteter Straßenzüge macht schon den Außenstehenden schwindlig. Wie geht es erst den Menschen, die hier gelebt haben?

Die Betroffenen sind dankbar für die Arbeit der freiwilligen Helfer.

„Als wir die Berichte über die Überschwemmungen im Fernsehen gesehen hatten, waren wir uns schnell einig, dass wir uns dort einbringen müssen“, berichtet Anja Funkel. „Wir“, das sind in diesem Fall Team und Vorstand der Sports360-Stiftung, die sich für sozial und gesundheitlich benachteiligte Kinder und Familien, aber auch für in Not geratene Sportvereine einsetzt. Zahlreiche aktive und ehemalige Bundesligaspieler und -trainer, wie zum Beispiel Simon Terodde, Julian Nagelsmann, Mark Uth, Benedikt Höwedes, Niklas Stark, Timo Horn, Dominik Kohr oder Luca Waldschmidt, engagieren sich als Sports360-Familie für wohltätige Zwecke. „Innerhalb weniger Tage stellten wir eine finanzielle Soforthilfe für besonders Bedürftige auf die Beine. Sie wird vor allem Familien und alleinerziehenden Eltern zugutekommen, die finanziell, gesundheitlich oder seelisch besonders schwer betroffen sind“, berichtet die Heilpraktikerin für Psychotherapie. Die Stiftung sammelte dafür bisher 90.000 Euro ein. Doch der eigentlich schwierige Teil der Arbeit beginnt erst jetzt: Anja Funkel klemmt sich ans Telefon, mit dem Ziel, herauszufinden, wer in den betroffenen Gebieten besonderer Unterstützung bedarf: „Es war aufgrund der Situation vor Ort natürlich alles andere als einfach, die richtigen Kontakte zu bekommen. Ich versuchte es zunächst bei übergreifenden Stellen, zum Beispiel beim Deutschen Roten Kreuz, was jedoch nicht sehr ergiebig war. Entscheidend waren am Ende private Kontakte, Sportvereine und unser Fußball-Netzwerk. Durch die Verbindung mit Helfern und gemeinnützigen Organisationen formierte sich langsam ein stetig wachsendes Netzwerk von Ansprechpartnern, die in engem Austausch mit den Betroffenen stehen und behutsam den Kontakt für uns herstellten.“ Funkel ermittelt so besonders notleidende Familien, die für das Engagement ihrer Stiftung infrage kommen. Eine Familie mit schwerbehinderter Tochter etwa, deren Haus samt integriertem Werkstattbetrieb nun komplett im Rohbau steht. Eine alleinstehende Mutter mit zwei Kindern und noch nicht abbezahltem, zerstörtem Haus. Doch Funkel muss selbst mit den Menschen sprechen, um sich ein Bild zu machen und die Familien persönlich kennenzulernen. Also fährt sie mehrfach in die Flutgebiete.

„Das ganze Ausmaß der Katastrophe habe ich tatsächlich erst verstanden, als ich durch die Straßen von Ahrweiler ging und in die Häuser schauen konnte“, gesteht sie. Was sie vorfindet, ist erschütternd: „Ich habe kein einziges Haus gesehen, das verschont geblieben ist.“ Viele Gebäude sind alt, Fachwerkhäuser mit Lehmwänden, die sich komplett vollgesogen haben, einst befestigte Straßen sind aufgerissen, überall türmen sich Schuttberge. Der Schlamm ist mittlerweile weggeräumt, seine Überreste wirbeln jetzt als Staub durch die Luft. Über Langzeitschäden durch die Belastung mit Giftstoffen möchte niemand nachdenken, weder unter den freiwilligen Hilfskräften noch den Opfern, alle sind viel zu sehr damit beschäftigt, eine Ahnung von Normalität wiederherzustellen. Auch Corona ist weit in den Hintergrund gerückt, es gibt hier andere, dringendere Sorgen. „Es herrscht ein immenser Lärm, weil überall gearbeitet wird oder Trockenmaschinen laufen“, erinnert sich die Therapeutin. „Diese Geschäftigkeit hilft den Menschen aber natürlich auch, den Schrecken zu verarbeiten. Viele hatten noch gar nicht die Zeit, darüber nachzudenken, was eigentlich passiert ist. Das wird vermutlich alles erst noch kommen.“ Es ist ja nicht allein der materielle Verlust, der zu beklagen ist: Als das Wasser unaufhörlich anstieg, fürchteten viele um ihr Leben. „Eine Familie floh vor dem Wasser ins Obergeschoss und konnte sich dann durch ein Fenster ins höhere Haus des Nachbarn retten“, erzählt Funkel. Andere erlebten, wie Menschen hilflos auf den Dächern ihrer Häuser saßen und darauf hofften, dass das Wasser sie nicht erreichen würde. Oder sie hörten die Hilferufe der Nachbarn, die nebenan ums Leben kamen. Es sind die Kinder, denen man am deutlichsten anmerkt, was sie durchmachen mussten: „Die kleine Tochter einer unserer Familien legt seit der Flut bei Regen ein Handtuch vor die Tür. Aus Lego baut sie neue Häuser für die Menschen, die ihre Bleibe verloren haben. Das ist ihre Art, das Erlebte zu verarbeiten“, weiß die Krefelderin, die als Therapeutin auch versucht, vor Ort etwas seelische Unterstützung zu geben.

Für die Opfer der Flutkatastrophe geht es in kleinen Schritten vorwärts.

Durch die Ortschaften zu gehen, Fotos zu Dokumentationszwecken zu machen oder fremde Menschen auf ihre finanzielle Situation anzusprechen, ist Funkel durchaus unangenehm. „Ich versuche, mit der Scham offen umzugehen und thematisiere sie im Gespräch. Ich weiß, dass ich sehr private Fragen stellen muss, aber die Menschen signalisieren mir, dass das in Ordnung ist. Sie wissen den Einsatz zu schätzen, denn Hilfe ist sofort nötig. Zwar hat auch der Staat finanzielle Unterstützung versprochen, doch bevor bei jedem Einzelnen davon tatsächlich etwas ankommt, wird sicherlich noch einige Zeit vergehen.“ Man vergisst leicht, welchen Rattenschwanz an Folgen die Flut auch Wochen später noch hinter sich herzieht. Wo kommen die Menschen unter, deren Häuser unbewohnbar sind? Auch Hotels und Gaststätten sind schließlich betroffen. Schulen können den Betrieb nicht aufnehmen. Es stellt sich die Frage, ob kleinere Dörfer überhaupt wieder aufgebaut werden, denn das Wasser hat nicht nur Häuser, sondern auch Arbeitsplätze vernichtet. Die Nachfrage nach intakt gebliebenem Wohnraum im Umland ist riesig und zieht wiederum Spekulanten an, die Kapital aus der Not schlagen wollen. Manche Opfer stellen fest, dass ihre vermeintlich umfassende Versicherung gegen Elementarschäden ausgerechnet Hochwasser nicht umfasst. Es steht zu vermuten, dass der Flut irgendwann eine Prozesslawine folgen wird.

Aber doch überwiegt der tröstliche Eindruck, dass die Menschen zusammenrücken. Das ist nicht nur die Erfahrung, die Funkel am Schauplatz der Katastrophe macht, wo Betroffene und Helfer an einem Strang ziehen, auch mal miteinander lachen und plaudern, sondern auch im Kontakt mit ihrem Stiftungsnetzwerk. Als es darum geht, Ersatz für die fortgespülten Transporter einer Schule für behinderte Kinder zu finden, ergibt sich über einen Fußballer der Kontakt zu den Ford-Werken und von dort zu einem regionalen Händler, der die Fahrzeuge mit einem großzügigen Preisnachlass zur Verfügung stellt. Wer selbst nicht helfen kann, kann immerhin jemanden vermitteln, der bereit dazu ist. Und so arbeiten die Menschen im Katastrophengebiet in Babyschritten auf das noch weit entfernte Ziel hin, von dem niemand weiß, wie es eigentlich aussehen wird. „Zahlreiche der von der Stiftung geförderten Familien werden die Spende dazu nutzen, zunächst das Nötigste wieder anzuschaffen. Viele Menschen dort gehen so vor“, weiß Funkel. „Sie restaurieren einen Raum nach dem anderen, schaffen eine Lebensgrundlage, von der aus sie dann Schritt für Schritt weitermachen können. Alles andere ist für viele nicht finanzierbar.“

In Ahrweiler ist kein einziges Haus verschont geblieben.

Der Weg für die Einwohner der betroffenen Gebiete ist lang und beschwerlich, aber er ist leichter zu beschreiten, wenn sie in kurzen Etappen denken, anstatt ans entlegene Ziel hinter dem Horizont. Funkel berichtet von einer Ahrweilerin, die die Entwicklung wie folgt beschrieb: „Wir haben im Mittelalter angefangen – jetzt sind wir immerhin schon wieder im 19. Jahrhundert.“ Es ist der unglaublichen Kraft der Betroffenen und dem Engagement von Helfern, darunter auch der Sports360-Stiftung, zu verdanken, dass in den wenigen Wochen seit jenem tragischen Abend, als das Wasser immer weiter stieg, schon so viel erreicht wurde.

Es bedarf immer noch der tatkräftigen, auch finanziellen Hilfe in den Flutgebieten. Wer die Arbeit der Sports360-Stiftung mit einer Spende unterstützen möchte, kann das hier tun:

Sports360 Stiftung

DE47 6005 0101 0405 2773 35
BW Bank // Spendenzweck: Flutopfer

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