Zonta Club Krefeld

Eine neue Chance für Nadine

Für Nadine M.* war es der bisher wohl größte Schritt ihres Lebens. Lange hatte sie mit sich gekämpft, sich immer wieder in Ausreden geflüchtet. Eigentlich sei er ja sehr liebevoll und ein richtiger Kümmerer. Die blauen Flecken seien nur Ausrutscher gewesen, aber sie bekämen das wieder hin, die Liebe sei ja schließlich noch da. Selbst, als das Jugendamt vor zwei Jahren eingeschritten war und ihre beiden Kinder in Einrichtungen untergebracht hatte, hatte sie für sich logische Erklärungen gefunden, nicht zu gehen. Nur in den ruhigen Momenten, wenn die Tränen liefen und niemand zusah, traute sie sich, sich den wahren Grund ihres Bleibens einzugestehen: Nadine hatte Angst. Noch nie zuvor war die 26-Jährige auf sich allein gestellt gewesen. Sie wusste weder, wie man eine eigene Wohnung findet oder vor einem Vermieter auftritt, noch, wo und wie sie staatliche Gelder beantragen könnte – all das hatte schließlich bisher ihr Mann erledigt. Und doch legte sich an einem Dienstagabend vor rund zwei Monaten auf einmal ein Schalter in ihrem Kopf um: Die Kraft am Nullpunkt, der Mut ein bisschen größer, packte sie all das, was sie in wenigen Minuten greifen konnte, in eine große Reisetasche und ging. Ihr altes Leben, ihren gewalttägigen Mann wollte sie nur noch hinter sich lassen. Ziel: Raus.

Nadines Geschichte ähnelt vielen Biografien wohnungsloser Frauen in Deutschland. „Viele dieser Frauen ziehen früh aus einem häufig beschädigten elterlichen Haushalt aus, ohne eine Anleitung zur Selbstständigkeit genossen zu haben, und rutschen infolgedessen in toxische Beziehungen“, erklärt Jana Lennertz, Mitarbeiterin der Wohnungslosenhilfe der Diakonie in Krefeld. „Die Angst, nicht allein klarzukommen, bindet sie immer wieder an irgendeinen männlichen Versorger, egal, wie er mit ihr umgeht.“ Das Dramatische: Haben die Frauen den Absprung von diesen Männern dann doch endlich geschafft, steht oft eine neue Abhängigkeit kurz bevor, denn schutzsuchend gelangen die meist jungen Frauen an Hilfe, die durch „Gefallen“ wieder ausgeglichen werden soll. „Die Scham, sich obdachlos auf der Straße zu zeigen, aber auch die Angst vor den deutlich männlich geprägten Notschlafstätten führen sie in eine genauso aussichtslose Situation wie zuvor“, erklärt die Sozialarbeiterin weiter. „Eine neue Unfreiheit beginnt. Es ist eine Spirale.“

Mit einem besonderen Wohnprojekt, ausschließlich für wohnungslose Frauen, möchte die Diakonie ab Sommer diese Spirale unterbrechen. In einer Wohnung mit vier Schlafzimmern in der Krefelder Innenstadt erhalten die Frauen ein geschütztes Zuhause auf Zeit. Gleichzeitig kümmern sich geschulte Pädagoginnen darum, ihnen eine Anleitung zum selbstständigen Leben zu geben. Sie begleiten die Frauen durch den Alltag und schaffen so die Grundlage für eine neue Unabhängigkeit. „Ausschließlich staatliche Absicherung würde den Frauen nicht helfen“, beschreibt Lennertz. „Hier brauchen wir Bindung.“

Vorerst baut die Diakonie das Projekt ohne zugesagte staatliche Förderung auf. Die Personalkosten könnten zwar zukünftig vom Landschaftsverband Rheinland übernommen werden, die Herrichtung der Wohnung aber ist aus eigenen Mitteln zu tragen. Aktuell wird die Wohnung für die neue Nutzung hergerichtet. Leitungen werden neu verlegt, die Sanitäranlagen modernisiert – bewohnbar oder gar einladend aber sind die Räumlichkeiten noch lange nicht. Der Zonta Club Krefeld am Rhein hat sich vorgenommen, das zu ändern. Denn im Rahmen der Neugründung des Clubs sammeln Präsidentin Cornelia Pier und ihre Mitstreiterinnen Geld, um die vier Zimmer der zukünftigen Bewohnerinnen einzurichten, die Gemeinschaftsküche zu finanzieren und Büroräumlichkeiten als Grundlage für die pädagogische Arbeit bereitzustellen.

„Wir standen schon bei der Gründung im letzten Jahr mit der Diakonie in Kontakt und waren schnell sicher, dass wir dieses Projekt unterstützen“, erklärt die Tierärztin. „Als zweiter Krefelder Zontaclub möchten wir unangenehme Themen an die Öffentlichkeit bringen. Die wohnungslosen Frauen sind dafür ein gutes, wenn auch trauriges Beispiel.“ Denn sind die männlichen Wohnungslosen im Straßenbild erkennbar und so auch für Beratungsstellen und Streetwork sichtbar, verschwinden die wohnungslosen Frauen hinter Fenstern und Türen. Sie werden unsichtbar – auch für Helfende. „Wenn wir eine Not nicht sehen, gehen wir häufig davon aus, dass es gar keine Not gibt“, erklärt Pier und zieht die Stirn in Falten. „Das ist die Krux. Dagegen gehen wir mit dem Club vor.“

Sozialarbeiterin Jana Lennertzs wird zukünftig die wohnungslosen Frauen im Übergang in feste Wohnverhältnisse begleiten.

Zonta ist eine weltweite Serviceorganisation und ein Netzwerk für berufstätige Frauen mit interessanten Berufen und verantwortlichen Positionen. Die Leitidee von Zonta ist es, die Stellung der Frau in der Gesellschaft zu verbessern, für ihre Rechte einzutreten und durch weltweite Zusammenarbeit das gegenseitige Verständnis zu fördern. Der Zonta Club Krefeld am Rhein unterstützt mit seinen Aktivitäten und Spenden internationale Zonta-Projekte, gleichermaßen liegt der Fokus aber auch auf Krefelder Institutionen, die Frauen schützen, stärken und fördern sollen. Im letzten Jahr hat der Club beispielsweise Selbstverteidigungskurse für Mädchen und Frauen mit Gewalterfahrungen finanziert oder ein Präventivprojekt gegen sexualisierte Gewalt im Internet an einer Grundschule im Brennpunkt getragen. „Wir alle haben das Privileg, in intakte Familien hineingeboren worden zu sein. Unsere Eltern haben uns Liebe und Verständnis geschenkt und uns damit das Werkzeug in die Hand gegeben, das uns heute dazu befähigt, als Frauen autonom zu leben erklärt Cornelia Pier. „Unsere Herkunft ist ein Geschenk, das wir selbst nicht beeinflussen konnten. Gerade deswegen müssen wir Frauen helfen, denen das Leben übel mitspielte.“ Pier selbst, so gibt sie zu, war bestürzt und erstaunt gleichermaßen, als sie durch einen Vortrag der Diakonie erfuhr, wie hoch die Dunkelziffer wohnungsloser Frauen in Krefeld wirklich ist. Auch in den Gesichtern ihrer Mitstreiterinnen entdeckte sie große Betroffenheit. „Auch wir haben vor diesem Vortrag vor dem Problem die Augen verschlossen – sei es aus Scham oder Hilflosigkeit“, erklärt sie. „Heute ist genau das unsere Motivation: Wir können nicht pädagogisch helfen, aber dafür sorgen, dass durch Spenden und Lobbyarbeit gesunde Grundlagen für Hilfe geschaffen werden. Dazu möchten wir auch andere aufrufen.“ Auf der Webseite und auf Social Media klärt der Club nun mithilfe eines eigens produzierten Videos über die Situation wohnungsloser Frauen in Krefeld auf, spricht bei der Presse und im Netzwerk vor, leistet Informationsarbeit und bittet um Spenden.

Für Jana Lennertz von der Diakonie ist die Unsichtbarkeit obdachloser Frauen ein alltägliches Phänomen. Selbst in den Beratungsstellen, so schildert sie, seien spezielle Angebote für weibliche Obdachlose eher selten. Die Anbindung an die Frauen laufe deswegen auch in der Diakonie unter dem Radar ab. „Das Wohnprojekt hat sich bereits unter den Frauen herumgesprochen“, erklärt sie. „Wir profitieren von Bindungen zu Klientinnen. Fühlen diese sich von uns unterstützt und gesehen, trauen sich auch andere Wohnungslose zu uns.“

Auch Nadine M. kam über eine Freundin zur Diakonie. Bis sie im Sommer endlich in das neue Wohnprojekt einziehen kann, versucht Lennertz engen Kontakt zu der jungen Frau zu halten und vor allem dafür zu sorgen, dass sie den Mut zur Selbstständigkeit nicht verliert. Wenn Nadine dann in die Trainingswohnung gezogen ist, sind die Pläne groß: Die junge Frau soll lernen, Amtsangelegenheiten selbst zu regeln, sie wird von der Sozialarbeiterin bei der Wohnungssuche begleitet und lernt auch den Umgang mit Geld. Ein persönlicher Herzenswunsch steht darüber hinaus ganz oben auf der Liste: Nadine möchte endlich ihre Kinder wiedersehen, denn auch dafür waren die bürokratischen Hürden bisher zu groß. Für die junge 26-jährige Mutter ist das Projekt der Diakonie eine zweite Chance. „Nadine hatte einen schlechten Start in das Erwachsenenleben“, beschreibt Lennertz nachdrücklich. „Gäbe es das Projekt der Diakonie nicht, stünde ihr eine Zukunft im Wechsel aus Straße und Abhängigkeitsverhältnis bevor. Gemeinsam können wir ihr eine ganz neue Perspektive bieten.“

* Name von der Redaktion geändert

Spenden Sie ein neues, sicheres Zuhause für wohnungslose Frauen im Rahmen der Gründung des Zonta Clubs Krefeld am Rhein.
Spendenkonto: Freundeskreis Zonta Krefeld am Rhein, IBAN: DE30 3205 0000 0003 3473 66. Geben Sie im Überweisungszweck Ihre Adresse an, um eine Spendenquittung zu erhalten. Weitere Informationen finden Sie auf
www.zonta-krefeld-am-rhein.de/diakonie

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