„Die Welt ist ein Zirkus!“ Das pflegen wir immer dann zu sagen, wenn wir die Welt, in der wir leben, nicht mehr verstehen. Der Zirkus ist danach ein verrückter, kopfstehender Ort ohne Regeln und Gesetze. Für Joachim Watzlawik sind diese Eigenschaften jedoch keineswegs beängstigend, im Gegenteil: Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn sie etwas mehr Zirkus wäre. In über 50 Jahren sozialpädagogischer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hat er den Zirkus als einen Ort unendlicher Möglichkeiten kennengelernt, als bunte Spielwiese, auf der man sich ausprobieren, entdecken, neu erfinden und Selbstvertrauen gewinnen kann. Wer keine Perspektive hat, der findet im Zirkus einen Horizont, einen Hoffnungsschimmer oder auch nur einen Farbklecks, der Freude spendet. Kein Wunder, dass auch Watzlawiks eigenes bemerkenswertes Leben mit seinen unerwarteten Wendungen und Höhepunkten ein bisschen an einen Zirkus erinnert. Und niemand staunt darüber mehr als er selbst.
Was an Joachim Watzlawik sofort auffällt, ist sein Blick. Diese wachen, leuchtenden Augen, die Lebensfreude und Neugier ausstrahlen, aber auch Dankbarkeit, Sanftheit und vor allem: Glück. Er spricht mit ruhiger Stimme und leicht niederrheinischem Einschlag, sehr bedacht, aber niemals gekünstelt, immer geradeaus. Watzlawik ist ein ausgezeichneter Erzähler, aber er hält keine selbstverliebten Vorträge. Und das Interesse an seinem Gegenüber, die Wertschätzung für den Menschen, mit dem er gerade seine Zeit teilt, ist echt. Man fühlt sich wohl in seiner Gegenwart. Auch ohne zu wissen, was Watzlawik in Krefeld geleistet hat, spürt man seine Präsenz. So unscheinbar er auch wirkt mit seinem schwarzen Pullover, der Schiebermütze und dem Dreitagebart: Watzlawik ist ein Mann, der Menschen begeistern und für eine Sache gewinnen kann. Mit einer Überzeugungskraft, die ohne große Worte und die Faust auf den Tisch auskommt. Seine Fähigkeiten stellt er seit nunmehr fast 50 Jahren unter Beweis und er hat damit in Krefeld nicht nur viel Gutes geleistet, sondern auch unzählige Freunde gewonnen. Wenn er mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt oder im Café sitzt, wird er immer wieder gegrüßt – und natürlich grüßt er stets freundlich zurück, immer mit diesem Lächeln in den Augen. Ein Lächeln, das einen Tag besser macht, wenn man es geschenkt bekommt.
„Ich habe schon früh gemerkt, dass ich gut darin bin, Menschen zusammenzuführen und es mir Freude bereitet, ihnen besondere Erlebnisse zu geben“, erinnert er sich. Von dieser Gabe zehrt er sein ganzes Leben, von seiner allerersten ehrenamtlichen Station bis zu seiner heutigen Tätigkeit: Watzlawik engagierte sich nach seiner Ausbildung bei der Verseidag zum Industriekaufmann in der kirchlichen Jugendarbeit, betreute schwer erziehbare oder gar straffällig gewordene Jugendliche in der ehemaligen LVR-Jugendhilfe in Fichtenhain, holte bedeutende Künstler für die Friedenskirche nach Krefeld, arbeitete als Sozialpädagoge im Fabritianum und kümmert sich heute im Rathaus darum, die Menschen in Krefeld für das Thema „Kinderarmut“ zu sensibilisieren. „Krefeld für Kinder“ ist der Name der Initiative von Oberbürgermeister Frank Meyer, deren Leuchtturmprojekt – wie könnte es anders sein? – der Kinderzirkus Ponzelar ist. Hier soll bedürftigen Kindern die Möglichkeit geschenkt werden, einmal der Star der Manege zu sein, ihre Fähigkeiten unter Scheinwerferlicht und vor begeistertem Pubikum zu zeigen. Ein Projekt, dessen Erfolg Watzlawik sehr am Herzen liegt, das hört man aus jedem seiner Worte heraus. Wenn es nach ihm geht, öffnet sich im kommenden Jahr zum ersten Mal der Vorhang, doch um seinen Traum wahr werden zu lassen, müssen noch einige Spendengelder für die gute Sache gesammelt werden. Wer, wenn nicht er, sollte Menschen für diese Sache begeistern können?
Die Zirkus-Begeisterung erscheint indes ungewöhnlich für einen gestandenen Mann, der im Auftrag der Friedenskirche kulturelle Großereignisse mit weitreichender Geltung initiierte, doch sie geht auf eine ganz konkrete Erfahrung zurück: „Als ich noch in Fichtenhain tätig war, bekam ich von meiner Schwägerin das Buch ,Die Kinder von Benposta‘ geschenkt. Es geht darin um eine Überlebensgemeinschaft von Kindern in Kolumbien. Sie gründen eine eigene Republik und eröffnen einen eigenen Zirkus. Ich dachte mir: Das mache ich auch!“, blickt er zurück auf ein Schlüsselerlebnis seines Lebens. „Meine Vorgesetzten waren nicht direkt begeistert, aber sie ließen mir freie Hand unter der Bedingung, dass ich mich um alles selbst kümmere. Also baute ich gemeinsam mit den Jugendlichen die Kulissen, stellte die Requisiten selbst her – und machte Zirkus!“ Das Besondere am Zirkus sei, dass jeder dort seinen Platz finde, erklärt Watzlawik: „Der eine ist eher sportlich oder turnerisch begabt, ein anderer musikalisch, wieder ein anderer hat schauspielerisches Talent. Es geht darum, Dinge auszuprobieren, gemeinsam etwas entstehen zu lassen und dann zur Aufführung zu bringen. Natürlich fanden meine Schützlingen es auch toll, ihren Erzieher einmal anders erleben zu dürfen. Ich war nämlich immer als Clown dabei.“ Da ist es wieder, dieses Lächeln und das Blitzen in den freundlichen Augen. Das selbstgebaute Zirkusequipment entstaubt Watzlawik mehr als ein Jahrzehnt später für seine Tätigkeit im Fabritianum: Man kann sich lebhaft vorstellen, mit welcher Freude er die alten Schätze aus der Versenkung hob und reanimierte.
Watzlawiks enorme Begeisterungsfähigkeit und sein Talent, Gelegenheiten zu erkennen, zu ergreifen und Glücksmomente zu schaffen, befruchten sich gegenseitig – und treiben ihn an. Den Freiraum, den ihm seine Arbeitgeber schenkten, nutzte er zum Wohle seiner Schützlinge weidlich aus, aber er profitierte auch selbst davon: „Viele Dinge hätte ich vielleicht nie gemacht, wenn sie nicht Teil meiner Arbeit gewesen wären“, gibt er ehrlich zu. Mit den ihm in Fichtenhain anvertrauten Jugendlichen radelt er einmal in 60 Stunden an die Nordseeküste. „Solche Erlebnisse geben enormes Selbstvertrauen und schweißen zusammen“, berichtet er. „Aber man muss dafür etwas investieren. Das passiert nicht, wenn man abends auf der Couch sitzt und Fernsehen schaut. Man darf nicht lange fackeln, sondern muss sich aufraffen und die Angst ablegen.“ Watzlawik strahlt zwar eine unbeirrbare Ruhe aus, aber Ängste sind ihm durchaus nicht unbekannt: In Fichtenhain arbeitet er teilweise im geschlossenen Bereich, übernimmt die Verantwortung für Jugendliche, die nur wenige Jahre jünger sind als er. Für die Friedenskirche organisiert er aufwändige Konzerte ohne Etat und muss hoffen, dass sie ein Publikum finden, damit die Kosten wieder eingespielt werden. „Man braucht eine gewisse Chaoskompetenz“, schmunzelt er, „vor allem, wenn man nicht auf professionelle Strukturen zurückgreifen kann. Aber dann merkt man, dass sich die Dinge oft von allein fügen. Und aus dieser Erfahrung erwächst dann eine Art Urvertrauen. Es wird nie so schlimm, wie man es sich ausmalt.“
Dieses Urvertrauen, der Mut, die Dinge anzupacken und ohne langes Abwägen von Für und Wider einfach loszulegen, hat sich für Watzlawik fast immer ausgezahlt. „Ich bin kein Perfektionist“, gesteht der Autodidakt. „Mir ist es wichtiger, dass die Dinge, die ich mache, Seele haben, Atmosphäre. Da ist es meist hilfreich, sie vorher nicht kaputtzudenken.“ Das Streicherkonzert im Turm der Friedenskirche hätte er möglicherweise nie veranstaltet, wenn er sich zu lang mit den Hindernissen aufgehalten hätte. „Das war für alle Besucher ein unvergessliches Erlebnis. Über den Dächern Krefelds, im Licht der untergehenden Sonne, diese fantastische Musik in Verbindung mit der Akustik des Turms. Einmalig!“, schwärmt er mit gesenkter Stimme, als wolle er den Augenblick noch einmal heraufbeschwören. Ins Schwärmen gerät er auch, als er von seiner Liebe zu den alten Winnetou-Filmen spricht, von der Freundschaft zur Schauspielerin Marie Versini, die er im Rahmen einer Veranstaltung für die Friedenskirche kennenlernte und die ihm Zugang zu einer ganz neuen Sphäre verschaffte. „Ich durfte mit ihr und ihrem Ehemann sogar einen Film drehen! Wie abgefahren ist das denn?“, fragt er ungläubig. „Mit Marie, die ich als Kind angehimmelt habe, befreundet zu sein und mit ihr durch Paris zu laufen, war für mich wie ein Traum.“ Mehrfach berichtet Watzlawik von Glücksfällen und Zufallsbekanntschaften, die ihm Türen öffneten, als er sich in einer Sackgasse wähnte. So entwickelte sich aus dem Wunsch, eine Urlaubsreise zu den Sehnsuchtsorten seiner Jugend zu machen, den kroatischen Drehorten der Winnetou-Filme, schließlich eine Hobbytätigkeit als Reiseveranstalter und -leiter. „Mit Lex Barkers Sohn fuhr ich im Kanu über den Rio Pecos!“, erzählt er freudestrahlend und man sieht den kleinen Jungen, der im Kino mit dem Apachenhäuptling und seinem Freund Old Shatterhand mitgefiebert hat, förmlich vor sich.
Watzlawik ist etwas gelungen, was sich wahrscheinlich viele Menschen insgeheim wünschen, aber nicht schaffen: ein Stück seiner Kindheit zu bewahren und sogar in eine erfolgreiche berufliche Laufbahn zu überführen. „Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, aber ich hatte eine behütete Kindheit“, blickt er zurück ins Krefeld der frühen Sechzigerjahre. „Vor meinen Freunden habe ich mich für unsere Wohnung geschämt und mich nicht getraut, sie einzuladen.“ Zum Spielen ging er gern in den benachbarten Kaufhof, in dessen großer Spielwarenabteilung die Kinder „angefixt“ wurden, wie er sagt. Ein schönes Bild für die Karriere Watzlawiks, der Krefeld heute noch als großen Abenteuerspielplatz begreift. „Aus meiner eigenen Kindheit weiß ich, wie sich Kinder aus ärmeren Verhältnissen heute fühlen, in einem Land, in dem es den allermeisten sehr gut geht. Wir sollten alle dankbar sein, für das, was wir haben. Und lernen, anderen etwas abzugeben. ,Jönne könne‘, wie man bei uns sagt!“ Der Kinderzirkus Ponzelar ist bei ihm in den allerbesten Händen.
Mit seinem großen Engagement, seinen Ideen und seinem unerschütterlichen Glauben an das Gute ist Joachim Watzlawik einer der Menschen, die seit Jahren dazu beitragen, unsere Stadt im Innersten zusammenzuhalten. Und er ist ein ideales Beispiel dafür, was man erreichen kann, wenn man die Dinge mit Mut, Zuversicht und Freude angeht. Wahrscheinlich würde er das selbst von sich weisen: Er ist keine Rampensau, niemand, der im Mittelpunkt stehen oder das Objekt großer Lobpreisungen sein will. Eben wie ein Zirkusdirektor: Während seine Artisten und Künstler den großen Schlussapplaus in der Manege ernten, bleibt er hinter dem Vorhang im Dunkeln, schaut lächelnd hinaus, zufrieden damit, die Menschen glücklich gemacht zu haben.
Joachim Watzlawik freut sich über jede Spende für den Kinderzirkus Ponzelar!
Spendenkonto
Bürgerstiftung Krefeld
IBAN: DE 25 3205 0000 0000 0099 77
Referenz: Krefeld für Kinder Zirkus Ponzelar
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Fotos: Lucas Coersten & Joachim Watzlawik, Grafik: Mic Strogies