Damit der Deutsche sich für einen Sport interessiert, ist es hilfreich, wenn darin ein Tor involviert ist. Oder wenigstens irgendwo ein Netz hängt. Baseball hat weder das eine noch das andere zu bieten – dafür aber ein hoch komplexes Regelwerk, das es dem Gelegenheitsbetrachter schwer macht, zu folgen. Trotzdem wird in Deutschland seit rund 40 Jahren unter zunehmend professionellen Bedingungen Baseball gespielt. Unter anderem auch in Krefeld: Unsere Stadt war sogar einmal ein echter Hotspot mit zeitweise bis zu sieben Vereinen, die 1985 die erste Stadtmeisterschaft austrugen. Die meisten der damals Aktiven sind heute im verdienten Ruhestand und Baseball wird seit Mitte der Neunzigerjahre nur noch bei den Krefeld Crows gespielt. Die rufen aber seit damals regelmäßig zum „Old-Star-Turnier“, bei dem die alten Recken sich noch einmal in ihren ehemaligen Mannschaften formieren, die Trikots von damals überstreifen, schönen Erinnerungen nachhängen – und erneut die Stadtmeisterschaft ausspielen.
„Willkommen bei den nicht ganz so talentierten Crocodiles“, begrüßt mich der hünenhafte Aurel Sturm, eine der Gründungsfiguren des Krefelder Baseballsports, in seinem Team. Ich trete beim Old-Star-Turnier zwar für die Krefeld Bobbins an, doch helfe der Konkurrenz gern für eine Partie aus. „Die Crocodiles haben sich schon 1989 aufgelöst, seitdem hat außer mir keiner der Jungs mehr Baseball gespielt“, schmunzelt Aurel nicht ohne Stolz. Zu Recht, denn die gesetzten Herren haben es sich trotzdem nicht nehmen lassen, aus der ganzen Republik und mitunter sogar aus dem Ausland anzureisen, um an diesem nieseligen Samstag im September alte Rivalitäten aufleben zu lassen. Die Resonanz ist bei dieser Ausgabe leider nicht ganz so groß, wie sie es bei den letzten Turnieren vor Corona war. Es gab viele berufsbedingte Absagen, und so müssen diesmal gleich zwei Spielgemeinschaften antreten: Die Krefeld Kangaroos fusionieren kurzerhand mit den Foresters, die Capables werden mit Spielern der Greyhounds aufgestockt. Der Freude tut das aber keinen Abbruch. Alle teilnehmenden Spieler blicken auf bis zu vier Jahrzehnte Baseball in Krefeld zurück, in denen sie ihren Sport unter schwierigen Bedingungen auf öffentlichen Wiesen ausgetrugen und für die Beschaffung des vor Internetzeiten noch schwer erhältlichen Equipments oft echte Entbehrungen auf sich nahmen. Die gemeinsame Vergangenheit schweißt zusammen. Und auch wenn man, so wie ich, eher der zweiten Generation Krefelder Baseballer angehört, ist man doch Teil dieser exklusiven Gemeinschaft. Um genau diese Gemeinschaft geht es dann auch beim Old-Star-Turnier in erster Linie. Trotzdem will hier niemand etwas abschenken. Vor allem nicht, wenn es gegen die Bobbins geht …
Die Bobbins sind in der Krefelder Baseball-Community so etwas wie der FC Bayern München, auch wenn der Vergleich absurd ist: Sie schafften es erst in die zweite, in den frühen Neunzigerjahren dann sogar für ein Jahr in die erste Bundesliga, was ambitionierte Spieler aus den anderen Krefelder Vereinen anzog. So verfügten die Bobbins zeitweise über drei Herrenmannschaften und als einziger Krefelder Baseballverein auch über eine Jugendmannschaft – in der landete auch ich, 1989 mit zarten 13 Jahren. Wir trainierten bei den drei Eichen auf der Stadtwaldwiese und mussten vor jeder Einheit freundlich die Freizeitkicker bitten, dass sie uns Platz machten. Nach dem ersten echten Spiel in Köln, bei dem wir von den besser ausgebildeten und erfahreneren Gegnern gnadenlos zerlegt wurden, schüttelte mein Vater, der sich das Desaster bei miesem Wetter über mehrere Stunden angesehen hatte, verständnislos den Kopf: „Was hast du dir da bloß für einen Sport ausgesucht?!“ Aber wir wurden besser, die Erfolge kamen und mein Vater wurde vom Skeptiker zum treuen Fan. Mit der Jugend der Bobbins holten wir 1990 als krasser Außenseiter den deutschen Jugendvizemeister-Titel und durften uns ins goldene Buch der Stadt eintragen. Auch wenn es die Bobbins seit mittlerweile 30 Jahren nicht mehr gibt, keimen die alten Ressentiments beim Old-Star-Turnier immer wieder auf: Für die roten Trikots mit den weißen Nadelstreifen („Schlafanzüge“) werden wir ausgelacht und insgeheim hofft jeder, dass wir unterliegen mögen. Viel Feind, viel Ehr.
Wie es Mitte der Achtzigerjahre dazu kam, dass an mehreren Orten in Krefeld zur gleichen Zeit völlig unabhängig voneinander Baseballvereine gegründet wurden, kann heute keiner mehr so recht erklären: In Traar formierten sich die Foresters, in Uerdingen die Kangaroos, in Fischeln die Capables und um den Stadtwald herum die Bobbins. „Ich glaube, die Greyhounds hatten ihren Ursprung in einer Kneipe auf der Lohstraße. Und die Dodgers waren so eine Art Abspaltung der Crocodiles, aber so genau weiß ich das auch nicht mehr“, gräbt Oliver Jentges, kurz „OJ“, in Erinnerungen. OJ ist als Gründer der Bobbins wie Aurel einer der Urväter des Krefelder Baseballs – und als mein erster Trainer auch eine prägende Figur in meinem Leben. Wir spielen heute immer noch zusammen – und sind soeben Bezirksligameister geworden. Anders als beim Fußball, kann man beim Baseball nachlassende Fitness und Kondition durch Erfahrung, Technik, Übersicht und Cleverness gut wettmachen. Zum Glück, denn wen der Baseball-Virus einmal gepackt hat, der wird es nicht mehr so einfach los – und gibt ihn unweigerlich weiter. OJs zwölfjähriger Sohn Tobi ist für dieses Turnier ins Bobbins-Trikot geschlüpft und fängt als Catcher die trickreichen Würfe seines Vaters. Bei der finalen Siegerehrung erhält OJ den Preis für „Besondere Verdienste“: 38 Jahre seines Lebens hat er dem Sport bereits gewidmet, als Spieler, als Trainer, als Vorstand, in etlichen weiteren Funktionen und Ämtern. In Krefeld für einen Sport ohne jegliche Lobby zu kämpfen, kann zermürbend sein. Ohne Liebe und Leidenschaft geht das nicht. Das respektieren auch die Gegner.
Die Atmosphäre beim Turnier ist ausgelassen – und zwischen den Partien wird natürlich auch das ein oder andere Bier verköstigt. Als schwarze Wolken über den Platz rollen, reißt ein Windstoß einen der Pavillons aus der Verankerung, sein Flug wird erst 50 Meter weiter durch einen Zaun gestoppt. Es ist schön, alten Bekannten wiederzubegegnen, noch einmal mit Leuten auf dem Platz zu stehen, die man seit Jahren oder gar Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Auch unter den Zuschauern finden sich immer wieder alte Weggefährten, die die Vergangenheit an die Berzirkssportanlage an der Randstraße treibt. „Wie viele Krefelder gibt es wohl, die vielleicht nur einmal ein Spiel mitgemacht haben und dann nie wieder aufgetaucht sind?“, fragt OJ mich. Das müssen Hunderte sein, sind wir uns einig. Der Sport, die Trikots, das alles hilft dabei, sofort wieder eine Verbindung herzustellen. Auch zu denen, die beim Baseball-Abenteuer nur kurz mitgemacht haben, so wie Lars Normann, der heute sein erstes Old-Star-Turnier bestreitet. Und manche Dinge verändern sich einfach nie: Frank van Bühl, den alle nur „Oggy“ nennen, legt einen erstklassigen Bunt, das heißt, er lässt den Ball nur kurz von der Keule abtropfen, ganz genau wie früher. Claus „Angel“ Schenk schlägt immer noch stets auf den ersten Pitch. Den Schiedsrichter, auf den ich während meines Einsatzes für die Crocodiles pitche, erkenne ich aufgrund der schweren Schutzmaske zuerst nicht, aber die Stimme dann doch: Es ist Fabrizio Monteleone, der früher als schnellster im Team immer an Schlagposition eins stand. So sehr sich alle verändert haben, auf dem Feld ist die Zeit wie stehengeblieben. Wie mir etwa ein ungenannter Informant zuflüstert: „Bei den Crocodiles hat das nichts damit zu tun, dass die schon so lange nicht mehr spielen. Die konnten das auch früher schon nicht besser.“
Fotos: Luis Nelsen
[…] dahin bietet Ihnen unser Magazin hoffentlich willkommene Abwechslung. Wir waren unter anderem beim Krefelder Old-Star-Turnier, bei dem lokale Baseball-Geschichte zum Leben erweckt und nebenbei 40 Jahre Baseball in Krefeld […]