
Es duftet nach Heu und frischer Landluft, während Pferde wiehern, Hufe klappern und fröhliche Menschen in engen Hosen und Stiefeln Richtung Stall oder Koppel laufen: Für diese Klischees über einen Reiterhof muss man nicht ChatGPT befragen, es reicht eine kurze Fahrt von Krefeld nach Kempen. Dort lernen wir schnell, dass die malerische Vorstellung vom hauptberuflichen Umgang mit Pferden etwas trügt. Am liebsten würde Renée Faatz, Pferdewirtschaftsmeisterin mit eigenem Ausbildungsbetrieb, den ganzen Tag im Sattel verbringen. Wie ihr Joballtag mit Unterricht, Beritt, Verwaltung, Personal und Turnieren wirklich aussieht, erzählte uns die 29-jährige Dressurreiterin buchstäblich zwischen Tür und Angel.
In Deutschland reiten schätzungsweise anderthalb Millionen Menschen regelmäßig oder gelegentlich und kennen das Glück der Erde, das nach dem bekannten Sprichwort auf dem Rücken der Pferde liegt. Um dieses Hobby zum Beruf zu machen, braucht es nicht nur Pferdeliebe und gute Reitkenntnisse, sondern auch ein tiefes Verständnis für Pferdemenschen und vor allem körperliche Fitness. „Heute habe ich insgesamt zehn Pferde geritten“, berichtet Renèe Faatz am Ende eines langen Arbeitstages und wirkt dabei keineswegs erschöpft. Entspannt führt sie uns in die Stallgasse zu ihrem Meisterpferd und „echten Kumpel“ Vito Vitalis J., damit wir den 13-jährigen Wallach ebenfalls ablichten können. Der bildschöne Fuchs mit weißem Stern zeigt sich von seiner besten Seite und beeindruckt durch schier unendliche Geduld und Gelassenheit. Auch wenn seine Besitzerin für die Fotos schwarz glänzende Turnierstiefel und einen Glitzergürtel trägt, dürfte man sie nie als typisches, vielleicht sogar verträumtes Pferdemädchen bezeichnen. „Schon als Teenager habe ich statt Bandagen Gamaschen bevorzugt, weil sie eben easy im Handling sind. Und mit Zöpfe flechten oder einem Abo der Zeitschrift Wendy musste man mir nicht kommen“, lacht die gebürtige Kempenerin, die überwiegend im ländlichen Hüls aufgewachsen ist und ihr Abitur am Gymnasium Horkesgath ablegte.

„Zum sechsten Geburtstag bekam ich meine erste Reitstunde geschenkt“, taucht sie mit uns in ihre langjährige Reiterlaufbahn ein. Ihre Mutter habe aus Solidarität gleich mitgelernt und früh das erste Pferd gekauft. Rasch folgen weitere Anschaff ungen, und Vito Vitalis J. zieht beispielsweise als ganz junges Fohlen auf den Hof, um dort bis zur S***-Dressur (sprich Grand Prix) ausgebildet zu werden. Dank starker Unterstützung der Familie bleibt Renée dem Pferdesport treu, sammelt Erfahrungen als Springreiterin, landet dann bei der anspruchsvollen Dressur, auch wenn diese wohl „Liebe auf den zweiten Blick“ ist, und verwirft schließlich erste Überlegungen, Medizin oder Tiermedizin zu studieren. „Das wäre ja viel zu weit weg von zu Hause und den Pferden gewesen“, sagt sie mit ernster Miene und verschränkt wie zur Bestätigung die Arme. Ihre eher burschikose wie pragmatische Art macht deutlich, dass die 29-Jährige es gewohnt ist, körperlich hart zu arbeiten, Verantwortung zu übernehmen und als Chefi n des Dressurstalls Entscheidungen zu treffen. Konsequent und ehrgeizig verfolgt sie ihre Ziele: Obwohl Renée Faatz direkt nach dem Schulabschluss als Bereiterin jobben kann, will sie lieber „einen richtigen Wisch in der Hand haben“ und absolviert eine Ausbildung zur Pferdewirtin. Dieser Beruf ist härter, als viele denken: Man verbringt täglich etliche Stunden im Sattel und bildet Pferde aus. Dazu kommen Tätigkeiten wie Ausmisten, Füttern, Putzen und Verarzten – Pferdewirte sind rundherum verantwortlich für die Tiere und versorgen sie von früh bis spät.

Auch Renées Arbeitstag beginnt zwischen 6:30 und 6:45 Uhr (so genau gibt sie es an) und endet, wenn alle Aufgaben auf dem Reiterhof zur Zufriedenheit von Mensch und Tier erledigt sind – das gilt auch am Wochenende und an Feiertagen. Oder wenn Turniere anstehen. Gefragt nach ihrer Faszination am Dressurreiten muss sie nicht lang überlegen: „Bei dieser Disziplin ist das Ziel, die höchstmögliche Harmonie zu schaff en zwischen Pferd und Reiter. Bei Vito kenne ich alle Knöpfe, die ich drücken muss. Ich reite ihn schon seit zehn Jahren.“ Mit beeindruckender Bilanz: So erhielt das eng verbundene Duo 2022 das Goldene Reitabzeichen, den „Traum eines jeden Reiters“ und eine Auszeichnung, die nicht durch das Ablegen einer Prüfung, sondern allein durch sportliche Erfolge verliehen wird. Auf dem Instagramprofil des Dressurstalls kann man nachvollziehen, dass es Renée Faatz und ihrem Team nicht nur um gute Ergebnisse, sondern in erster Linie um das Wohlergehen von Pferd und Reiter geht. Arroganz oder Missgunst, wie teilweise im Hochleistungssport üblich, gehören hier nicht dazu. Auch in der imposanten Reithalle mit kleiner Tribüne und großer Spiegelwand fällt der ungezwungene Umgangston untereinander auf. „Ich bin immer auf dem Ponyhof“, sagt die junge Chefin augenzwinkernd und erklärt, dass ein Pony nur ein Stockmaß bis zu 148 Zentimetern haben darf. Die insgesamt 30 untergebrachten Pferde, davon drei eigene und drei Sponsorpferde, fallen also korrekt betrachtet nicht in diese Kategorie.

Auf dem reinen Abschluss als Pferdewirtin ruht sich eine energiegeladene Frau wie Rénee natürlich nicht aus; im Alter von nur 22 Jahren macht sie weitere Pläne, die viel Einsatz verlangen: „Wenn ich hier in Kempen eine Baugenehmigung für eine komplette Reitanlage bekomme, setze ich den Meister noch obendrauf!“ Gesagt, getan – sie gräbt sich ein in die Tücken des Baurechts im Außenbereich, beschafft Gutachten, stellt Anträge oder pflanzt auch mal Bäume, wenn es gefordert wird. Fast nebenbei legt sie die Meisterprüfung in der Fachrichtung Klassische Reitausbildung ab, versprüht tiefe Dankbarkeit für den Support von „Family und Ehemann Friedrich“ und freut sich über langfristige Perspektiven: „Meister ist schon geil. Dann kann ich später vom Boden aus noch Reiter und Pferde ausbilden und in den Turniersport begleiten, falls ich es aus körperlichen Gründen nicht mehr aufs Pferd schaffen sollte!“ Dann eben mehr Büro- und Verwaltungstätigkeiten sowie Mitarbeiter- und Teamgespräche über die Tages- und Wochenplanung. Noch reitet Renée aber deutlich mehr als sie unterrichtet und hält für angehende Pferdewirte einen grundlegenden Tipp parat: „Ein Realitätscheck vorab ist absolut unverzichtbar, denn wir führen kein romantisches Leben auf dem Ponyhof, sondern leisten sauharte Arbeit, 24/7. Man trägt viel Verantwortung für wunderbare Lebewesen.“ Und doch würden keine zehn Pferde sie davon abhalten, sich für ein anderes Leben zu entscheiden. Die Bucket List ist schließlich lang und enthält große Reiterträume wie die Teilnahme als Einzelreiterin beim CHIO Aachen und das Pfingstturnier in Wiesbaden. Denn wie schrieb schon der polnische Lyriker Stanislaw Jerzy Lec: „Ein Pferd ohne Reiter ist immer ein Pferd. Ein Reiter ohne Pferd nur ein Mensch.“
Fotos: Felix Burandt