Luke Borgwardt

Wie wird man eigentlich… Winzer?

Luke Borgwardt bricht als Winzer vom Niederrhein gängige Klischees.

„Wer genießen kann, trinkt keinen Wein mehr, sondern kostet Geheimnisse.“ Dieser Philosophie des Malers Salvador Dalí folgt auch der Winzer Luke Borgwardt, der seine Rieslingweine bereits bei EDD und auf dem Westwall-Markt präsentiert hat. Ohne vorher jemals mit Verstand Wein probiert oder gar eine Rebsorte bestimmt zu haben, beschloss der unbekümmerte Krefelder, ausgerechnet eine Ausbildung im Weinbau zu absolvieren und auch noch ein kleines Weingut an der Mosel zu gründen. Welche Herausforderungen er gemeistert hat, warum guter Wein Zeit braucht und was Familie und Heimat für ihn bedeuten, erzählte uns der 22-Jährige vor einem Kunstmuseum. Natürlich in Krefeld.

Wenn Luke Borgwardt von der Weinlese spricht, leuchten seine Augen und er findet mehr Worte, als man es von einem vielleicht schweigsamen Weinbauern erwartet. Der gebürtige Krefelder wird heute einige Klischees brechen: So stammt er nicht aus einer traditionellen Winzerfamilie, wie es in diesem Beruf üblich ist, und seine Heimatstadt liegt zwar am Rhein, gehört laut Weingesetz aber nicht zu einem der 13 Anbaugebiete wie Ahr, Baden, Mosel, Nahe oder Pfalz. Das soll ihn aber nicht davon abhalten, eine kreative Lösung zu finden und Krefelder Qualitätsweine auf den Markt zu bringen, die das Lebensgefühl des Niederrheins mit der typischen Mineralität des Schieferbodens an der Mosel vereinen. Auch harte Zeiten wie der anstrengende Frühherbst schrecken Luke nicht ab – als ehemaliger Leichtathlet kennt er sich mit Ausdauer und Tempo aus. „In nur wenigen Tagen müssen alle Trauben vom Stock, das ist Handarbeit und oft ein wahrer Knochenjob“, erinnert er sich an seine erste Weinlese. „Immer schräg am Hang, mal sengende Sonne und 30 Grad, mal Schietwetter mit Regen und Wind. Die Steilstlage geht schon sehr auf den Körper.“ Zum Glück sei die Traubenlese stets auch Teamarbeit, freut sich der Winzer: „Da packen alle mit an: Verwandte, Freunde, Nachbarn. Trauben zu ernten ist ja kein Hexenwerk. Und am Ende eines langen Tages sitzen wir bei Wein oder Pressbier zusammen, genießen die geile Zeit und den Blick über die Weinberge.“ Seine Freude am Handwerk steht ihm quer ins Gesicht geschrieben, auch wenn wir an diesem kühlen Morgen nur vor dem Kaiser-Wilhelm-Museum stehen und über Berufswege philosophieren.

„Ich wollte nach der Schule nicht nur im Büro hocken, sondern etwas erschaffen, vielleicht Tischler werden oder Landwirt, weil ich gern draußen arbeite“, nimmt uns Luke mit in die Anfänge seiner Laufbahn. Als die Schulen wegen Corona geschlossen werden, sucht sich der Gymnasiast aus Langeweile einen Job bei Gemüsebauer Heiner Korff in Hüls und lernt, Salat und Sellerie anzubauen. Er bleibt zwei Jahre dort, wird Vorarbeiter, erlangt nebenbei den Traktorführerschein und beginnt während der Abiturphase, sich um einen Ausbildungsplatz in der Gemüseproduktion zu bewerben. Bis er zufällig in einem Internetportal über den Winzerberuf stolpert und „just for fun“ eine Online-Bewerbung an die Mosel schickt. Es folgen ein genauso spontaner Anruf des studierten Önologen Martin Kerpen und eine „harte Woche“ Probearbeiten im Regen, die Luke eher abschreckt. Noch auf dem Rückweg über die A61 erklärt er seiner Mutter am Telefon, dass Winzer wohl nicht sein Weg sein werde. Oder doch? Nur Monate später, er hat das Abi endlich in der Tasche, schließt er einen Ausbildungsvertrag ab, weil es ihn nicht losgelassen hat, sich auf das Abenteuer Weinbau einzulassen. Und weil er kein Typ sei, der schnell „in den Sack haue“.

Sein erster Riesling war schon nach kurzer Zeit ausverkauft.

Den Satz „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ habe er zu Beginn oft gespürt, gibt der fröhliche Niederrheiner zu. „Ich war der Azubi ohne Vorkenntnisse, kannte nicht mal die Rebsorten, und mein ganzer Freundeskreis lebte in Krefeld.“ In der Berufsschule in Bernkastel-Kues kann er allmählich Kontakte knüpfen, er schätzt die familiäre Atmosphäre auf dem Weingut, und auch die körperliche Arbeit macht ihm Spaß: der Schnitt, das Biegen und Binden der Reben, die Bearbeitung des Bodens, der Schutz der Pflanzen, der Laubschnitt – nicht zuletzt die Lese. Dazu komme die Weiterverarbeitung der Weintrauben im Keller, die den Beruf so abwechslungsreich und anspruchsvoll mache. Irgendwann packt es Luke richtig, und er will seinen eigenen Wein kreieren, wie er auf seiner Webseite schreibt: „Während meines ersten Lehrjahres in den Steilhängen rund um die Wehlener Sonnenuhr lernte ich die Mittelmosel und den Riesling lieben. Nach vielen Verkostungen stellte ich mir immer wieder die Frage, wie der perfekte Wein schmecken sollte.“ Eine Antwort findet er schneller als gedacht.

Sein Winzerfreund Johann Jostock, den Luke auf einem DEULA-Lehrgang näher kennenlernt, bestärkt den Quereinsteiger: „Warum machst du eigentlich keinen eigenen Wingert?“ Auch seine Eltern unterstützen ihn moralisch und finanziell, obwohl sie branchenfremd sind und Luke noch mitten in der Ausbildung steckt. Unter einer Bedingung: Er soll einen Businessplan schreiben und sein Projekt genau kalkulieren. Gesagt, getan: „Ich habe mich in die Sache hineingefuchst und Excel-Tabellen erstellt“, sagt der Winzer selbstbewusst. „Für das Startkapital in Höhe von 4.000 Euro fand ich begeisterte Geschäftspartner aus meinem Krefelder Umfeld. Sie helfen bei ausgewählten Saisonarbeiten auch mit – als Ausgleich zu ihren Bürojobs.“ Er kann sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Seit zwei Jahren baut Luke auf einem gepachteten Weinberg „untypische“ Moselrieslinge aus, die frisch, lässig und mineralisch schmecken, aber mit einer sehr moderaten Säure auskommen. „Alles in qualitätsbedachter Handbewirtschaftung.“ Dies werde gut angenommen, vermeldet er mit einem Mix aus Stolz und Überraschung in der Stimme: „Der erste Jahrgang mit rund 500 Flaschen ist komplett ausverkauft, nur über Mundpropaganda!“ Und das, obwohl Weine von Borgwardt mit Preisen ab 10 Euro deutlich über dem Betrag liegen, den Deutsche im Schnitt für eine Flasche heimischen Weins ausgeben, nämlich 4,50 Euro nach Angaben des Deutschen Weininstituts. Der Jungunternehmer ruht sich auf diesem Erfolg nicht aus, er positioniert sich klar in seiner Heimat und bietet seine Rieslinge auf Märkten wie Eäte.Drenke.Danze an. „Für April 2025 suche ich noch eine nette Location, um den neuen Jahrgang zu präsentieren“, wirft Luke einen Blick in die nähere Zukunft. Auch die Teilnahme am nächsten Krefelder Weinfest sei bereits angedacht, schließlich liegt der Betriebssitz in der Seidenstadt, obwohl an der Mosel abgefüllt wird. Wer Winzer Luke länger zuhört, erlebt einen zielstrebigen wie eloquenten Mann, der nicht nur reden, sondern auch zupacken und durchhalten kann – und der trotz seiner 22 Jahre überraschend viel Wissen, Sorgfalt und Liebe zum Produkt vorweist.

Nach einem Jahr Lehrzeit und noch mitten in der Gründungsphase beschließt Luke, den Ausbildungsbetrieb zu wechseln. Nicht weil er beim ersten Lehrmeister schlechte Erfahrungen gemacht hätte, im Gegenteil – es ist der Reiz eines renommierten VDP-Prädikatsweinguts, der ihn zu Top-Winzer Philipp Wittmann nach Rheinhessen zieht. „Unter Kellermeister Georg Rieser habe ich eine ganz andere Art Weinbau kennengelernt“, schwärmt Luke in den höchsten Tönen von kompromissloser Qualität, perfekten Maschinen und ausbalancierten Weinen, die Verkaufspreise von 80 Euro und mehr pro Flasche erzielen können. Mittlerweile hat er die Winzer-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und sich im letzten Jahr an der Hochschule Osnabrück für Wirtschaftsingenieurwesen mit Vertiefung Agri-Food Management eingeschrieben.

Sein großes Ziel behält der sympathische Krefelder weiterhin fest im Blick: „Ich will Weine machen für Normalos – in guter Qualität und für einen fairen Preis. Es geht beim Weintrinken nicht ums Besaufen, sondern ums gemeinsame Kochen, respektvollen Genuss von Alkohol und einen gemütlichen Abend mit Freunden. Die Franzosen beherrschen diese Kunst übrigens sehr viel besser als die Deutschen. Aber was ist denn großartiger als geile Nudeln und dazu ein guter Wein?“ Falls es darauf eine passende Antwort geben sollte, wird sie wohl ein Geheimnis bleiben. Prosit!

Fotos: Niklas Breuker
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