Marco Rhode

Wie wird man eigentlich… Anti-Gewalt-Trainer?

Bewährungshelfer und Anti-Gewalt- und Deeskalationstrainer Marco Rhode mit Kollegin BIanca Weyers-Stroinsky.

Wut ist ein Gefühl, das uns dieser Tage häufig begegnet: in den Medien, auf dem Schulhof, im Straßenverkehr oder zu Hause. Manchen Menschen reicht schon ein banaler Anlass, um auszurasten, laut zu schimpfen und einen Gegenstand in die Ecke zu pfeffern. Oder gar ein Messer zu zücken. Dass verbale oder körperliche Gewalt keine Lösung ist, weiß Bewährungshelfer Marco Rhode, der täglich mit verurteilten Straftätern arbeitet. Gemeinsam mit Kollegin Bianca Weyers-Stroinsky geht der Anti-Gewalt- und Deeskalationstrainer jetzt an Schulen, um Jugendlichen zu zeigen, wie sie Regeln einhalten, über Emotionen reden und cool bleiben können. Die Maxime: Akzeptanz und Wertschätzung.

Marco Rhode fand seine Berufung nach Bundeswehr, Handwerk und Handel im Ambulanten Sozialen Dienst.

„Wer wird denn gleich in die Luft gehen?“ – das fragte bis 1984 ein Tabakwarenhersteller und ließ das HB-Männchen am Ende der Reklame entspannt zur Zigarette greifen. Marco Rhode ist nicht nur optisch das krasse Gegenteil zur cholerischen Werbefigur Bruno: Nichts scheint ihn aus der Ruhe zu bringen, er löst Probleme gern selbst, und wenn es mal schwierig wird, bleibt der diplomierte Sozialarbeiter besonnen. So auch vor wenigen Jahren, als Marco mit seiner Ehefrau unterwegs ist und ihnen ein PKW auffällt, in dem sich zwei mit Tüchern maskierte Männer tief in die Sitze drücken. Zwar kehren die Rhodes zunächst in ihre Wohnung zurück, lassen dann aber nicht locker und drehen eine Runde mit dem Hund, um sich das Kennzeichen zu notieren. Das Paar kann später der Polizei entscheidende Hinweise geben, und die Täter werden nach ihrem Kiosk-Überfall festgenommen. Zivilcourage, Helfen und Handeln sind für den Krefelder so selbstverständlich, dass er diese Geschichte und die Ehrung durch OB Meyer und Polizeipräsident Furth nur in einem Nebensatz erwähnt. Was auch an seinem Hauptberuf liegen könnte, in dem der 39-Jährige nach Umwegen über Bundeswehr, Handwerk und Groß- und Außenhandel gut angekommen ist. „Hier im Ambulanten Sozialen Dienst beim Landgericht Krefeld habe ich meine Erfüllung gefunden“, stellt er zufrieden fest und faltet wie zur Bestätigung die Hände.

Schon während des Studiums absolvierte er dort ein Praxissemester und hospitierte in der JVA Willich. Die Arbeit mit Straftätern fasziniert Marco spürbar, weil er „den Menschen etwas Gutes mitgeben kann“. Häufig auftretende Problemlagen sind Arbeitslosigkeit, Überschuldung, Suchtprobleme oder verringerte soziale Kompetenz. Der Job sei zwar teilweise belastend, aber auch sehr wertvoll, resümiert der Bewährungshelfer mit leuchtenden Augen. „Wenn Menschen den Warnschuss erkennen und ihr Leben um 180 Grad drehen, keine Drogen mehr nehmen, endlich eine Ausbildung beginnen oder die Kraft finden, sich von falschen Freunden zu trennen und ihren eigenen Weg zu gehen – das ist das Größte!“ Sein Lieblingssatz? „Das kriegen wir hin!“

Wer Wut und aufgestaute Emotionen in sicherem Rahmen, zum Beispiel beim Boxsport, herauslässt, bewahrt in anderen Situationen eher die Ruhe

Dieser pragmatischen Einstellung folgt Marco auch, als die Warteliste für Anti-Gewalt- und Deeskalationstrainings immer länger wird, weil die Nachfrage steigt. „Viele der meist jüngeren Klienten erhalten die Auflage, ein AGT zu besuchen. Doch es fehlt an Anbietern vor Ort, bisher gibt es nur den SKM (Katholischer Verein für soziale Dienste in Krefeld e. V.). Andererseits nimmt die Gewaltbereitschaft zu, auch im häuslichen Bereich. Also haben wir uns gesagt: Lass‘ mal gucken, wo wir selbst eine Ausbildung machen können. Dann bieten wir das Training im Rahmen der Bewährungshilfe an.“ Gesagt, getan: Seit der Zusatzqualifikation zum systemischen Anti-Gewalt-Trainer am Zentrum für Konfrontative Pädagogik leitet der Sozialarbeiter die Kurse gemeinsam mit seiner Kollegin Bianca Weyers-Stroinsky, die nicht nur Diplom-Sozialpädagogin, sondern auch Fachcoach für Mobbing ist. Auf das Adjektiv „systemisch“ legen beide großen Wert, denn das Ziel sei nicht die Gewaltfreiheit an sich, sondern das Erkennen und Bearbeiten von Eskalationsprozessen, das Erkennen und Akzeptieren von Grenzen sowie der Einsatz entsprechender Neutralisierungstechniken. „Die Ausbildung beinhaltet keine Rezepte, aber eine Werkzeugkiste mit erprobten Bausteinen und Vorgehensweisen, die je nach Bedarf und Angemessenheit eingesetzt werden“, erklärt Marco das Prinzip und zeigt anhand einer roten Pratze aus dem Boxsport wie praktisch die Übungen teilweise sind. „Sport, Bewegung, Austoben können alternative Ventile sein, um Wut und Aggression herauszulassen. Aber auch Selbst- und Fremdwahrnehmung, Kommunikationsübungen, Verständnis für den anderen zu entwickeln und über Gefühle zu sprechen gehören zum AGT dazu.“ Dann könne es auch passieren, dass Teilnehmer im Kurs zu weinen anfingen, berichtet der empathische Familienvater. Wertschätzung komme seiner Meinung nach in vielen Familien und auch in der Schule häufig zu kurz, und Sätze wie „Du bist toll, so wie du bist!“ oder „Du kannst etwas!“ würden viel zu selten fallen. Auf der anderen Seite sinke seit Jahren die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden – sei es physisch oder psychisch: „Gewalt fängt ja nicht bei einer blutigen Nase an“, sagt Marco. „Sie beginnt mit Beschimpfungen, peinlichen Fotos im Klassenchat und Ausgrenzung.“ Mit fehlender Impulskontrolle, Wut und dem Gefühl, nicht verstanden zu werden, zählen beide Anti-Gewalt-Trainer Ursachen auf, die zu Respektlosigkeit und schließlich Gewalt führen könnten. Man sollte meinen, diese geschieht im Schutz der Dunkelheit, nachts irgendwo hinter dem Hauptbahnhof oder in Nebenstraßen. Bei Kindern und Jugendlichen trifft dies laut der aktuellen Kriminalitätsstatistik nicht zu: „Eine typische Zeit ist die Mittagspause, der Schulschluss, da entladen sich Aggressionen“, betont beispielsweise Beate Ostertag von der Zentralstelle für Prävention des LKA Berlin.

Um das Thema „gegenseitige Akzeptanz und wertschätzende Beziehung“ in Krefeld aktiv anzugehen, hat das erfahrene Trainer-Duo daher ein Konzept für Schulen erarbeitet – und scheint damit einen Nerv zu treffen. Zwei Kooperationen, mit einer Gesamtschule und einem Berufskolleg, sind bereits vereinbart; Rückmeldungen aus der Lehrerschaft à la „endlich kommt da mal jemand“ bestätigen, dass der Bedarf an Prävention deutlich gestiegen ist. „Wir sind jedoch keine Psychologen oder Therapeuten“, macht Marco mit ruhiger Stimme deutlich. „Unser Ziel ist es, eine Möglichkeit anzubieten, wie Schüler sensibilisiert werden können, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen und sich für erlernte Handlungsalternativen zu entscheiden. Es kann sinnvoll sein, die Situation einfach zu verlassen, über mögliche Konsequenzen und auch Schäden nachzudenken oder eine Zigarette zu rauchen.“ Diese Empfehlung kommt übrigens interessanterweise von einem Nichtraucher, der viel Fahrrad fährt und lieber so seinen Kopf freibekommt. Insgesamt ist das Training auf 20 Schulstunden angelegt, beinhaltet viele praktische Übungen und findet im Beisein von Lehrpersonal oder Schulsozialarbeitern statt. Aus gutem Grund: „Wir wollen die Stärken der Jugendlichen aktivieren und holen das Drumherum immer mit dazu. Lehrer kennen ihre Pappenheimer und nehmen die positiven Veränderungen sehr schnell wahr.“ In sogenannten Befindlichkeitsrunden werde zu Beginn die Stimmung in der Gruppe oder Klasse abgefragt, und bei den Warm-up-Übungen sei tatsächlich „der gute alte Plumpsack“ sehr beliebt, verrät Marco schmunzelnd. „Je nach Thema geht es mit Rollenspielen, Körpersprachetraining und Selbstbehauptung weiter.“ Dass lange Schulzeiten mit viel Sitzen und wenig Sport sowie die starke Nutzung sozialer Medien die Konzentrations- und Konfliktfähigkeit junger Menschen stark beeinträchtigen, sei sicher nicht optimal, sind sich die pädagogischen Experten einig. Doch setzen sie in ihren Trainings lieber auf Zusammenhalt statt Zorn – und die ein oder andere Atemübung, um nicht gleich in die Luft zu gehen. Das geht sogar ohne Glimmstängel.

Fotos: Felix Burandt
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