Sechs Millionen Menschen, darunter zwei Millionen Kinder, leiden in Deutschland an Hunger. Wie viele Menschen auch in ihrer Heimatstadt tagtäglich hungern müssen, wusste Elisabeth Ploenes nicht genau, als sie 1996 die Idee hatte, sich ehrenamtlich für die Versorgung Bedürftiger einzusetzen. Auf ihre Initiative hin wurde 1996 die Tafel Krefeld e. V. ins Leben gerufen. Bis 2018, über 20 Jahre lang, engagierte sich Elisabeth Ploenes für die Ärmsten der Armen, versorgte mit ihrem Verein in der Spitze 3.000 Familien und erlebte viel Elend – aber sie erfuhr auch, was möglich ist, wenn Menschen aufeinander zugehen, sich zuhören und gemeinsam an einem Strang ziehen.
Am Anfang, in der ersten Zeit nach ihrem Rückzug aus dem Verein vor einigen Jahren, sei es ihr schwergefallen, loszulassen, gesteht Elisabeth Ploenes. Aber mittlerweile genieße sie es, zu lesen, ein bisschen im Garten zu arbeiten oder einfach Zeit mit ihrem Ehemann zu verbringen. „Ich könnte diese Arbeit heute nicht mehr machen, das würde ich gar nicht mehr schaffen“, räumt sie freimütig ein. Sie ist stolz auf das, was sie geleistet hat, aber sich selbst auf die Schulter zu klopfen, ist nicht ihre Art. Immer wieder betont sie, wie viele Menschen ihr damals dabei geholfen haben, ihre Idee in die Tat umzusetzen: Man könne ein solches Projekt ja gar nicht allein aufziehen. Aber Menschen zu gewinnen, zu begeistern und ihnen ein gutes Gefühl zu geben, ist etwas, dass die gebürtige Krefelderin ausgezeichnet versteht – und sie muss sich dafür nicht anstrengen oder gar verstellen. Sie ist einfach so. Man fühlt sich sofort wohl in ihrer Gegenwart, weil sie einem mit ihrer offenen und herzlichen Art ehrlich vermittelt, willkommen zu sein. So hat sie es jahrelang geschafft, ehrenamtliche Helfer um sich zu scharen und bei Laune zu halten.
„Ich bin in einer großen, glücklichen Gemeinschaft groß geworden“, erinnert sich die 78-Jährige dann auch an ihre Kindheit. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ganz sicher keine Selbstverständlichkeit. Ihr Vater war wenige Monate vor Kriegsende gefallen und hatte ihre Geburt nicht mehr miterlebt. Die kleine Elisabeth wuchs mit ihrer fünf Jahre älteren Schwester inmitten der Ruinen einer zerstörten Stadt auf, deren Düsternis ihr bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Aber eben auch die Einfachheit der Dinge, der große Zusammenhalt in der Familie, die gemeinsamen, ausgelassen gefeierten Feste. Nach der Schule absolvierte Elisabeth Ploenes die Ausbildung zur Zahntechnikerin in Geldern, arbeitete anschließend in Düsseldorf und Genf, bevor es sie zurück nach Krefeld verschlug. Hier lernte sie dann auch ihren Ehemann kennen, im Café Küpper auf dem Ostwall, wo heute ein Pfandhaus seinen Sitz hat. „Er hatte mich dort mit einer gemeinsamen Freundin gesehen und fragte sie nach meinem Namen. Eines Tages stand er vor unserer Haustür und ludt mich ein, mit ihm auszugehen“, erzählt Elisabeth Ploenes mit einem Lächeln. Das war 1964. Die Ehe mit dem Textilvertreter namens Hajo, die aus dem Jugendflirt hervorging, hat bis heute Bestand hat und brachte zwei Töchter hervor: Claudia und Christiane. Für die ehrgeizige Zahntechnikerin war die Mutterschaft aber kein reines Glück: „Es war nicht leicht für mich, meinen Beruf aufzugeben, aber früher war das halt so: Die Frau blieb zu Hause, wenn das Kind kam. Als unsere Töchter dann aus dem Haus waren, brauchte ich eine neue Beschäftigung. Und dann sah ich diese Reportage im Fernsehen …“
Der Bericht über ehrenamtliche Vereinigungen, die in den USA Essen an Obdachlose verteilten, brachte sie auf die Idee, etwas ähnliches in Krefeld zu organisieren. Vielleicht lieferte auch das soziale Verantwortungsbewusstsein, das ihr im Elternhaus mitgegeben wurde, einen Impuls: „Es war, als würde ein Schalter umgelegt werden. Ich wusste: Das ist es, was ich machen möchte!“, beschreibt sie den Effekt der Reportage. „Ich stellte dann Recherchen an und wandte mich an Pfarrer Karl-Heinz Teut von der Herz-Jesu-Gemeinde, der sofort bereit war, mitzuhelfen. Auch die Caritas, Kiwanis und der Bürgerverein waren von Anfang an dabei. Den Kern bildeten zehn Menschen, die den Verein schließlich 1996 gründeten, als 35. Tafel in Deutschland.“ Zunächst bezog die Tafel eine Wohnung, die die Pfarrkirche kostenfrei zur Verfügung stellte. Einnahmen gab es zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht. Nach einer Pressekonferenz begann die motivierte Gründerin, fleißig Klinken zu putzen: „Oberbürgermeister Dieter Pützhofen gab mir wichtige Tipps und Kontakte und auch die Sparkasse wurde zu einem wichtigen Unterstützer.“ Und natürlich half auch Ehemann Hajo tatkräftig mit: Seine Firma stiftete den ersten Lieferwagen. Neben der Gewinnung von Partnern, die die Lebensmittel spendeten, mussten schließlich auch Transport und Lagerung organisiert werden, was mit dem stetigen Wachstum der Tafel zunehmend anspruchsvoller wurde. „Allein die Stromkosten, die wir zu zahlen hatten …“, seufzt Elisabeth Ploenes einmal. Die für die Lagerung nötigen Kühlschränke wurden von den ersten Spendeneinnahmen angeschafft und im Kirchturm der Herz-Jesu-Kirche aufgestellt. „Irgendwann mieteten wir dann Räumlichkeiten im Bunker an der Schönwasserstraße, was bei der Kühlung eine immense Erleichterung darstellte“, erzählt die Krefelderin vom nächsten Entwicklungsschritt. Mit Schrecken erinnert sie sich allerdings an einen Tag, als die Bunkertür mit dem draußen steckenden Schlüssel hinter ihr zufiel: „Erst nach zwei Stunden gelang es mir, den steckenden Schlüssel aus dem Schloss zu schieben und auf dem Boden liegend durch den Türspalt zu angeln. Danach bin ich nie mehr allein in den Bunker gegangen.“
Zu Beginn verteilte die Tafel eingesammelte Lebensmittel an bedürftige Familien, einige Monate später organisierte sie zum ersten Mal den Mittagstisch, mit einer wöchentlichen Ausgabe warmer Speisen an Obdachlose. Zur Premiere standen die wichtigsten Partner und die Presse bereit. Doch es kam einfach keiner. „Enttäuscht warteten wir ein, zwei Stunden, dann setzte sich Frau Kojen von der Firma Cerestar ins Auto, fuhr in die Stadt, sprach die Obachlosen, denen sie begegnete, persönlich an und fuhr sie dann mit ihrem Wagen zur Essensausgabe“, hat Elisabeth Ploenes eine Anekdote mit Happy End parat. Zu den Obdachlosen pflegte sie immer ein gutes Verhältnis, war bei „den Jungs“, wie sie sie kumpelhaft nennt, gut bekannt und beliebt. Doch sie musste auch Lehrgeld zahlen, etwa wenn es zu handgreiflichen Streitereien unter den Bedürftigen kam, oder als sie von ihnen einmal um eine Spende gebeten wurde: „Sie wollten einen Kranz für einen verstorbenen Freund kaufen. Ich gab ihnen das Geld, doch danach sah ich sie zwei Wochen lang nicht. Sie gestanden mir später kleinlaut, dass sie für das Geld lieber auf ihren Freund angestoßen hatten. Manchmal war ich vielleicht etwas zu naiv“, gesteht sie zwinkernd.
2007 entstand schließlich die Kindertafel, um sich des wachsenden Problems der hungernden Kinder anzunehmen. „Jedes dritte Kind in Krefeld leidet Hunger, das muss man sich einmal vorstellen“, schildert die Pensionärin die immer noch bittere Lage. „Wir kontaktierten die Stadt, die uns die Schulen nannte, bei denen der Bedarf besonders groß war, und bereiteten dann dort gemeinsam mit den Kindern Mahlzeiten zu. Manchmal gingen wir mit ihnen auch zum Markt, um einzukaufen. Wir wollten erreichen, dass sie nicht nur satt werden, sondern vielleicht auch etwas Selbstständigkeit lernen und Wertschätzung für Lebensmittel, damit sie ihr Geld nicht nur für Fastfood ausgeben.“ Denn eines hat Elisabeth Ploenes in ihrer langjährigen Tätigkeit gelernt: Armut schlägt sich nicht nur in Hunger nieder, er nimmt Einfluss auf die gesamte Lebensführung – und natürlich auch auf die Kindererziehung. „Menschen, die keine Beschäftigung mehr haben, verlieren mit der Zeit den Antrieb und die Selbstdisziplin. Wichtiger, als ihnen Geld zu geben, wäre es meiner Meinung nach, sie zurück in eine Beschäftigung zu bringen. Hier müsste der Staat viel mehr tun“, mahnt sie. Ihre Kritik wendet sich auch explizit an die Stadt Krefeld: „Bedürftige werden von der Stadt zur Tafel geschickt, als handele es sich um eine städtische Einrichtung. Aber das ist sie nicht. Wir haben sicherlich viel für das öffentliche Bewusstsein für die Notlage vieler Menschen getan, aber wirklich etwas an den Zuständen ändern, kann die Tafel nicht. Es ist eine Aufgabe ohne Ende.“
Trotz solcher leicht resignativer Töne überwiegen jedoch die positiven Erinnerungen, die Gewissheit, vielen Menschen geholfen zu haben. „Man könnte das nicht so lange machen, wenn man keine Freude dabei empfände“, sagt sie. Elisabeth Ploenes wird ganz ernst und ruhig, als sie sich an einen Malwettbewerb erinnert, der zum zehnjährigen Jubiläum der Kindertafel mit insgesamt 24 Grundschulen und KiTas ausgerichtet wurde. „Die Kinder sollten ihre Empfindungen darstellen, wie es ist, wenn man etwas zu Essen geschenkt bekommt. Die Ergebnisse waren überwältigend.“ Auch eine krebskranke Mutter von acht Kindern ist ihr lebhaft im Gedächtnis geblieben, „Sie lag in ihrem Krankenbett im Wohnzimmer, die Kinder kamen vom Spielen rein und gaben ihr ein Küsschen. Sie war trotz ihrer Krankheit so integriert, immer gut gelaunt und malte wunderschöne Bilder in hellen Farben. Die Tafel engagierte sich in diesem Haushalt über ihre eigentliche Tätigkeit hinaus, half etwa beim Abwasch, weil die Familie damit überfordert war. Als einer unserer Ehrenamtlichen wieder einmal vor der Tür stand, fragte eines der Kinder, ob er der Weihnachtsmann sei. So etwas vergisst man nicht.“ Und ganz sicher werden auch Elisabeth Ploenes viele, viele Menschen in Krefeld immer in guter, warmer Erinnerung behalten.
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Fotos: Luis Nelsen, Grafik: Michael Strogies