Versetzen wir uns zurück auf eine Baustelle im Oktober 1990 – irgendwo in Deutschland. Arbeitsbeginn ist sieben Uhr. Da es um die Tageszeit noch kühl ist, versammeln sich die Kollegen in einem geheizten Bauwagen. Bevor zu Hammer und Meißel gegriffen wird, muss noch geklärt werden, wie viel jeder bestellt: „Ich nehme vier, ich fünf, ich acht“, kommt es aus der Runde. Kurz darauf bringt der Bierholer die entsprechende Anzahl Flaschen, und bei der Frühstückspause gegen halb Neun wird die erste geöffnet. Als „unbedarfter“ Student bin ich damals mit einer Limoflasche zur Arbeit erschienen und war überrascht, was die Jungs so während der Arbeit konsumierten. Klar habe ich auch einmal ein Fläschchen mitgetrunken, aber unserem Kranführer konnte und wollte ich auf keinen Fall nacheifern, der sich in der Regel acht halbe Liter Pils pro Tag genehmigte. Einen Autoführerschein hatte er zwar nicht mehr, aber die Steinpakete bugsierte er anscheinend sicher von A nach B. Das Bild, wie mein Kollege „Manni“ mit je einer Flasche Bier links und rechts in der Hosentasche auf seinen Kran stieg, habe ich immer noch vor Augen.
Alkohol ist in Deutschland nach wie vor die „Volksdroge Nummer eins“ und fast überall legal erhältlich – eingeschränkt nur durch den Jugendschutz. Alkoholhaltige Getränke wie Bier und Wein gehören bei uns − wie vor dreißig Jahren − fest zum gesellschaftlichen Leben. Zum Geburtstag stößt man mit einem Sekt an, beim Bundesligaspiel gibt es ein Stadionbier, und der Wein zum guten Abendessen ist Teil unserer Kultur. Während die Mehrzahl der Menschen ihren Alkoholkonsum kontrollieren kann, gibt es leider eine große Gruppe, für die Alkohol zum Suchtmittel wird. Geschätzt etwa 1,3 Millionen Menschen sind in Deutschland alkoholabhängig – und die benötigen dann professionelle Hilfe, wie die von der Suchtabteilung der Klinik Königshof.
Gehört der Alkoholkonsum bei privaten Anlässen nach wie vor dazu, ist das Trinken am Arbeitsplatz heute nicht mehr akzeptiert und wird von Arbeitgebern meist strikt untersagt. Szenen, wie die auf der Baustelle im Jahr 1990 sollten daher dreißig Jahre später nicht mehr vorkommen. Tatsächlich sind die Bierkisten von den Baustellen weitgehend verschwunden, und der obligatorische Wein zum Geschäftsessen wird oft durch Mineralwasser ersetzt. Wer aber ein Suchtproblem hat, der kann auch während der Arbeitszeit nicht von seiner Droge lassen. „Das Trinken während der Arbeit findet heute eher heimlich statt“, weiß Dr. Jan Dreher, Chefarzt der Suchtklinik Königshof, „oft während der Mittagspause oder im Büro, wenn keiner zusieht.“ Neueste Studien aus den USA zeigen, dass das Problem durch die Verbreitung des Homeoffice zugenommen hat. Zuhause fehlt die soziale Kontrolle durch Chefs und Kollegen.“
Fällt Alkoholmissbrauch der Umgebung auf, kommt es darauf an, angemessen zu reagieren, und die Betroffenen zu überzeugen, sich ärztliche Hilfe zu holen. „Größere Unternehmen gehen mit dem Problem inzwischen meist professionell um“, weiß Dr. Dreher, „und empfehlen Beschäftigten mit Alkoholproblemen, sich behandeln zu lassen. Kleinere Betriebe haben manchmal ein Problem damit, weil sie Angst haben, dass ein Teammitglied länger ausfällt. Aber das Verdrängen ist natürlich auf Dauer keine Lösung. Denn Alkohol am Arbeitsplatz schädigt nicht nur die Gesundheit der Betroffenen, sondern kann auch erheblichen Schaden anrichten, vor allem wenn die Suchtpatienten mit Maschinen arbeiten.“ „Menschen, die zu uns in die Suchtambulanz kommen, werden oft von ihren Angehörigen oder auch von ihrem Unternehmen geschickt“, ergänzt Senem Acar, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. „Einige kommen jedoch auch aus eigenem Antrieb. Dabei ist es uns sehr wichtig, dass wir sofort Hilfe anbieten.“
Zusätzlich zur regulären Sprechstunde gibt es zweimal pro Woche, montags und freitags von 11 bis 12 Uhr in der Klinik Königshof eine freie Sprechstunde für Suchtkranke. „Im Notfall sind wir rund um die Uhr telefonisch erreichbar – und wenn Betten frei sind, ist auch eine Notaufnahme möglich“, erklärt Senem Acar. „Einen Termin bekommt man bei uns fast immer innerhalb von sieben Tagen, und das gilt für Menschen mit Alkoholproblemen genauso wie für solche mit anderen Suchterkrankungen. Bei der Suchtsprechstunde können die Betroffenen mit einer Ärztin reden, die Zeit für sie hat. Gemeinsam kann herausgefunden werden, welche Therapieform die Richtige ist – ambulant, zum Beispiel unter Einbeziehung von Selbsthilfegruppen oder eine stationäre Aufnahme für einen kontrollierten Entzug“, so die Fachärztin.
„Wenn man alkoholsüchtig ist, sollte man so schnell wie möglich etwas dagegen tun, betont der Chefarzt der Klinik Königshof. „Alkoholmissbrauch führt langfristig zu schweren Schäden an Hirn, Nerven und Leber. Ist das Stadium zu weit fortgeschritten, lässt sich zum Beispiel eine Leberzirrhose nicht mehr heilen. Ein Problem“, fährt der Mediziner fort“, ist die häufige Kombination von Alkoholsucht mit Depressionen oder Angsterkrankungen. Hier hilft der rein körperliche Entzug nicht. Diese Patienten benötigen ein umfassenderes Therapiekonzept. Aber auch das können wir in unserer Klinik leisten“, so Dr. Dreher. „Wichtig ist, dass man es gar nicht erst zur Gewöhnung kommen lässt, wie bei den Bauarbeitern aus Ihrem Beispiel. Dann ist nämlich oft nicht nur der Führerschein weg!“
Klinik Königshof
Am Dreifaltigkeitskloster 16
47807 Krefeld
Tel.: KR / 823300 – Für Notfälle: Tel.: KR / 5045684
www.klinik-koenigshof-krefeld.de