
In vielerlei Hinsicht scheint der Schaufensterbummel ein Relikt einer vergangenen Epoche zu sein. Einer Zeit, in der der Einzelhandel florierte und Konsum noch gänzlich unschuldig war. Doch welche Wirkung liebevoll dekorierte Schaufenster auch heute immer noch auf uns ausüben, merken wir, wenn uns die Leerstände anstarren wie die Augen des schlechten Gewissens. Der Blick durch verdreckte oder mit vergilbtem Zeitungspapier beklebte Scheiben auf ausgeräumte Ladenlokale ist in vielen Teilen Krefelds leider zum integralen Bestandteil des Einkaufserlebnisses geworden. Auch in Uerdingens Fußgängerzone, der Nieder- und Oberstraße. Der traurige Anblick leerstehender Geschäfte war für den ehemaligen Teppichhändler und Inneneinrichter Karl-Heinz Eiberg nur schwer zu ertragen. Und so kam er auf eine ebenso einfache wie geniale Idee, mit der er half, das Gesicht seines Wohnorts nachhaltig zu verändern.
Der 71-Jährige Karl-Heinz „Kalle“ Eiberg wird fast ein wenig wehmütig, wenn er an die Zeit zurückdenkt, in der er von Hannover nach Krefeld kam. Es war 1979, als er im Schwanenmarkt sein erstes eigenes Geschäft eröffnete, nachdem er zuvor als Angestellter in der Einrichtungsbranche tätig gewesen war. „Damals waren noch alle Ladenlokale im Schwanenmarkt belegt, kein Vergleich zu heute“, erinnert er sich. Mit seinem Orientteppich-Geschäft verdiente er gutes Geld, heute ebenfalls völlig undenkbar. Aber schon damals hatte er die Idee, mit der er sich nun im wohlverdienten Ruhestand die Zeit vertreibt. „Einmal stand dann doch ein großes Geschäft leer und ich fragte den Vermieter, ob ich das traurige Schaufenster nicht dekorieren könne. Er war einverstanden und ich hängte darin einen großen Orientteppich für 5.000 DM auf. Das Fenster sah toll aus — und ich verkaufte innerhalb kürzester Zeit den teuren Teppich. Eine klassische Win-win-Situation!“, schmunzelt er.

Jahrzehnte später, im Jahr 2016, erinnerte er sich an die Idee von damals: Der Ruheständler lebte mittlerweile mit seiner zweiten Ehefrau in Uerdingen, unweit der Oberstraße, und beim Spaziergang durch die Innenstadt blutete dem ehemaligen Kaufmann regelmäßig das Herz: „In der Oberstraße gibt es 36 Einheiten und zeitweise standen elf davon leer. Das war ein schlimmer Anblick.“ Neben dem rein ästhetischen Makel stellen Leerstände für die benachbarten Geschäfte aber auch ein handfestes wirtschaftliches Problem dar. „Der Publikumsverkehr lässt nach und damit geht auch der Umsatz zurück“, erläutert Eiberg. „In der Oberstraße drehten die Menschen ab einem bestimmten Punkt einfach um, weil sich die Leerstände häuften. Die Inhaber am Ende der Straße hatten das Nachsehen.“
Eiberg ergriff die Initiative und machte nach und nach die Vermieter der leerstehenden Ladenlokale ausfindig. „Ich schlug Ihnen vor, dieFenster für sie zu dekorieren — kostenlos. Als Inneneinrichter hatte ich ja einige Erfahrung damit und außerdem verfügte ich über ein großes Netzwerk an Künstlern, die immer nach Ausstellungsflächen suchten“, blickt der Ostwestfale zurück. „Trotzdem war es am Anfang nicht leicht, sie von meiner Idee zu überzeugen. Viele schienen geradezu beleidigt, dass ihre Räume leerstanden, oder sie zweifelten daran, dass meine Idee etwas zum Positiven verändern würde.“ Doch Eiberg ließ nicht locker und hatte schließlich Erfolg. Mit der von ihm ins Leben gerufenen „Aktion Uerdinger Schaufenster“ dekorierte er im Laufe der Jahre um die 20 Schaufenster, zeitweise drei bis vier gleichzeitig, und erreichte damit 15 Neuvermietungen. Die leeren Flächen stellte er besagten Künstlern zur Verfügung, Sport- und Karnevalsvereinen, Schulen, Kleingewerben, der Gastronomie oder auch kreativen Privatpersonen, die damit zum Nulltarif auf sich aufmerksam machen konnten. „Für jemanden, der durch die Fußgängerzone schlendert, ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob er in einen Leerstand schaut oder in ein dekoriertes Schaufenster. Aber auch bei der Vermietung ist der psychologische Effekt nicht von der Hand zu weisen. Ein belebt wirkendes Geschäft findet auch schneller einen neuen Mieter“, erklärt er. Um diesen Eindruck von Leben aufrechtzuerhalten, wechselt Eiberg regelmäßig die Belegung der von ihm betreuten Fenster: „Alle drei Monate muss was Neues rein!“, sagt er mit Nachdruck. Willige Aussteller zu finden, ist für ihn längst ein Selbstläufer. Er ist in Uerdingen gut bekannt, darüber hinaus eng verknüpft mit lokalen Einrichtungen wie dem Uerdinger Kümmererkreis, dem Quartiersmanagement und der Wirtschaftsförderung oder überregionalen wie dem „Netzwerk Zwischennutzung (NZN)“. Lachend erinnert sich Eiberg an den Kontakt zur alten Geschäftsfrau Rademacher, deren leeres Schaufenster er schon lange ins Auge gefasst hatte. Doch die resolute Pensionärin war einfach nicht zu überzeugen. Bis er im Gespräch mit ihr erfuhr, dass in ihrem Hinterhof immer noch der Wagen eines verschollenen Bratwurstverkäufers lagerte. „Ich machte ihn ausfindig, brachte ihn dazu, Frau Rademacher die säumige Miete zu bezahlen und den Wagen abzuholen. Dafür war sie mir so dankbar, dass ich endlich auch ihr Schaufenster dekorieren durfte“, lacht Eiberg.

Sein derzeit größtes Projekt ist die ehemalige Filiale der Deutschen Bank mit insgesamt 11 Schaufenstern an der Ecke Alte Krefelder und Kurfürstenstraße. „Diese Räumlichkeiten zu vermieten, wird kein Selbstläufer“, gesteht er. Aber an ihm soll es nicht liegen: Die meisten Fenster sind von Uerdinger Unternehmern belegt, darunter auch Eibergs Tochter, die Feiern mit individualisierten Candybars ausstattet. Auf die Dekorationen angesprochen, fängt Eiberg sofort Feuer. Er gerät ins Fachsimpeln, spricht von der Bedeutung der Beleuchtung und freut sich, dass immer wieder Menschen stehenbleiben und ihm beim Dekorieren zuzuschauen. Man merkt, dass er ein Händchen dafür hat, aber die meisten Aussteller übernehmen die Schaufensterdeko selbst, während sich Eiberg auf den organisatorischen Teil der Arbeit konzentriert. Mehr als 80 Prozent der Kontaktaufnahmen mit Vermietern und Ausstellern gehen laut eigenem Bekunden auf seine eigene Initiative zurück.

Trotz dieser erheblichen Mühen und Anstrengungen handelt es sich bei der „Aktion Uerdinger Schaufenster“ um ein rein ehrenamtliches Engagement. „Meine Frau und ich möchten unseren Lebensabend einfach in einer schönen, lebendigen Stadt verbringen“, sagt er. „Das ist meine Motivation. Mir geht es nicht ums Geld.“ Und dass die schon mehrfach totgesagte Oberstraße heute wieder fast vollständig mit hübschen kleinen Geschäften belegt ist, ist für den Ruheständler Lohn genug.
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Fotos: Felix Burandt, Grafik: Michael Strogies