
Seit 1994 steht im deutschen Grundgesetz der Satz: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Inklusion ist somit ein Grundrecht und auf dem Papier ein politisches Ziel. Doch in Wirklichkeit verbleibt die Aufgabe, behinderte Kinder in der Gesellschaft zu integrieren, noch immer in großen Teilen bei den Eltern, deren Kräfte jedoch durch Lohnarbeit und die erhöhte Fürsorgearbeit oft überbeansprucht sind. Die Vorsitzende des DownVerein e.V., Dr. Nina Sottrell, setzt sich dennoch unermüdlich dafür ein, ihrem Sohn und anderen Kindern mit Trisomie 21 die Teilhabe am ganz normalen Leben zu ermöglichen.

Clemens Sottrell ist ein Wunder. Er kam nicht nur mit Down-Syndrom auf die Welt, sondern auch mit einer schweren Autoimmunerkrankung, bei der sich Eisen im Blut anreichert. Kaum einen Monat alt, prognostizierten die Ärzte bereits sein unmittelbares Lebensende, aber Clemens schaffte es, entgegen aller Wahrscheinlichkeit. „Die Wochen auf der Intensivstation waren traumatisch“, blickt Nina Sottrell auf die Zeit zurück, als sie in einem Berliner Krankenhaus um das Leben ihres Neugeborenen bangte. Heute lebt die 53-jährige mit Clemens, inzwischen zehn, seinem zwei Jahre älteren Bruder Felix und ihrer Mutter wieder im Elternhaus in Traar; von einem Heimatbesuch während der Elternzeit kehrte sie kurzentschlossen nicht mehr in die Hauptstadt zurück. „Ohne die Unterstützung meiner Eltern hätte ich nicht gewusst, wie ich das schaffen soll“, räumt sie offen ein. Denn wenn für nicht-behinderte Kinder gilt, dass es ein Dorf braucht, um sie großzuziehen, ist dies doppelt wahr für Kinder mit Behinderung. Medizinische und pädagogische Versorgung sind ein Teil des Netzwerkes, doch soziale Kontakte machen einen ebenso entscheidenden Teil aus; ein Aspekt, der für Kinder wie für Eltern leicht hintenüberfällt. Deshalb befürwortet Nina Sottrell durchaus Förderschulen als Raum für Begegnung: „Die Klassen sind kleiner, es gibt mehr Personal, und die Kinder kommen mit anderen Kindern in Kontakt, bei denen sie Anschluss finden. Auf einer Regelschule bleiben sie am Ende dann doch Außenseiter.“

Eine Gemeinschaft zu schaffen, in der Kinder mit Down-Syndrom Freundschaften und deren Eltern gegenseitige Unterstützung finden, ist das Ziel des DownVerein Niederrhein e.V., dessen Vorsitz die alleinerziehende Mutter vor vier Jahren übernahm. Vor allem soll der Verein Freude ins Leben bringen. „Gespräche über die Belastungen sind wichtig, aber wir sind keine typische ‚Selbsthilfegruppe‘. Wir wollen als Down-Syndrom-Familien gemeinsam Freizeit gestalten“, betont Sottrell. So veranstalten die Mitglieder des Vereins regelmäßige Treffen im Jump XL, Halloweenpartys und Paddeltouren auf der Niers. Die Angebote richten sich an alle Altersgruppen, von Kleinkindern bis zu Jugendlichen, erklärt die Vereinsvorsitzende: „Selbst ein Fünfzehnjähriger mit Down-Syndrom kann meist nicht einfach auf ein Fahrrad steigen, um zu Freunden zu fahren.“ Sport als Freizeitbeschäftigung stellt oft eine weitere Hürde dar, bedauert Sottrell: „Das Problem ist, dass behinderte Kinder nicht in das gesellschaftliche Leistungsdenken passen. In Vereinen geht es meist darum, an Wettbewerben teilzunehmen – unsere Kinder wollen einfach dabei sein.“ Aus diesem Grund haben einige Mitglieder des DownVereins in ihren jeweiligen Sportvereinen inklusive Gruppen eröffnet, wie etwa im FTV Fischeln 1905 und dem SV Oppum. Dort können Kinder und Jugendliche mit Behinderung ihren sportlichen Leidenschaften nachgehen, aus reiner Freude an der Bewegung.

Während Nina Sottrell diese Angebote aus den eigenen Reihen selbstverständlich schätzt, für ausreichend hält sie dies noch lange nicht. „Inklusion bleibt ein Wunschdenken“, führt sie aus, „so lange Menschen mit Behinderung immer noch ‚exklusive‘ Gruppen haben und viel zu wenig präsent sind.“ Um das zu verändern, hat sich der DownVerein Niederrhein e.V. die Mission gesetzt, Sichtbarkeit zu erzeugen. Dazu gehört auch ein Aufklärungsangebot für werdende Eltern, um Ängste zu nehmen. „Ein behindertes Kind ist nicht das Ende des Lebens“, unterstreicht Sottrell, „das wissen die Menschen vorher leider nicht.“ Je mehr nicht-behinderte und behinderte Menschen sich im täglichen Miteinander begegnen, desto deutlicher würde diese Tatsache. Um derartige Gelegenheiten zu schaffen, hat die freischaffende Kulturmanagerin eine besondere Idee. „Ein eigenes Waffelmobil wäre unser Traum“, verrät sie. Mit dem könnten Mitglieder des Vereins und ihre kleinen und großen Kinder bei Veranstaltungen in der Stadt zum Vergnügen und zur Gemeinschaft beitragen. Ein Mensch wie Clemens kämpft sich schließlich nicht ins Leben, um dann am Rand zu stehen – Menschen wie er gehören mitten in die Gesellschaft.

Am 21. 3. ist der Welt-Down-Syndrom-Tag – das Datum symbolisiert das dreifache Vorhandensein des 21. Chromosoms. An diesem Tag werden die World Down Syndrome Awards verliehen, außerdem tragen in manchen Ländern die Menschen zwei verschiedene Socken, um darauf hinzuweisen, dass jeder anders, aber alle gleich viel wert sind.
ds-int.org/world-down-syndrome-day
Derzeit zählt der Verein 44 Mitglieder – ein Kind mit Down-Syndrom zu haben ist keine Voraussetzung. Sonntags finden offene Treffen statt, wer dazustoßen möchte, kann sich über die Webseite anmelden!
down-syndrom-niederrhein.de
Spendenkonto: IBAN DE14 3205 0000 0000 0962 14

Fotos: Felix Burandt und DownVerein Niederrhein e.V.