Heroes in Krefeld

Annika Hopp: Als Muzungu in Kisozi

Junge Leute sind faul, egoistisch, desinteressiert, haben keine Ideale und nur ihr Vergnügen im Kopf. Aussagen, die schon immer über die „Jugend von heute“ formuliert wurden, die aber gegenwärtig wieder verstärkt zu vernehmen sind. Annika Hopp, Masterstudentin im Fach Sozialmanagement, fungiert als schlagkräftige Antwort auf solche Vorurteile. Nach dem Abitur legte sie sich keineswegs auf die faule Haut, sondern absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr in sozialen Projekten in Uganda. Die Erfahrungen, die sie als Lehrerin in einer Dorfschule sowie in der Betreuung von Waisenkindern und Witwen machte, prägten sie so stark, dass sie nach ihrer Rückkehr beschloss, ihr Engagement fortzusetzen. Mit einigen Mitstreiterinnen gründete sie den Verein Balilwana e. V., der sich seit sechs Jahren dafür einsetzt, benachteiligten Gruppen in Ostafrika Chancen auf Bildung, Gesundheitsförderung und Selbstentfaltung zu eröff nen. Für dieses ehrenamtliche Engagement wurde Annika im vergangenen Jahr unter anderem mit dem mitBedacht-Ehrenamtspreis des katholischen Hochschulnetzwerks LAKUM der Hochschule Niederrhein ausgezeichnet.

Stolz zeigt Annika die Fotos ihrer glücklichen Patenkinder in Uganda.

Ein bisschen ist es so, als hätte Annika die Sonne aus Afrika ins winterliche Deutschland gebracht, als sie den Raum betritt. Sie grüßt mit einem offenherzigen, ansteckenden Lächeln und festem Händedruck, erzählt im Folgenden lebendig und mitreißend von ihren Erlebnissen. Neben dem Mut, die Dinge anzupacken, sowie beträchtlichem organisatorischen Talent ist es sicher nicht zuletzt dieser spürbare Enthusiasmus, der sie – zusammen mit ihren Mitstreitern – dazu befähigt hat, ihren Verein zu gründen und aufzubauen, dabei die dauerhafte Unterstützung von rund 60 Patenkindern und einer Schule in Uganda zu sichern sowie allein 2024 etwa 160.000 Euro an Spendengeldern einzusammeln. Alles neben dem Studium und einem Job als Sozialarbeiterin in einer stationären Jugendwohngruppe für unbegleitete Geflüchtete, wohlgemerkt. Faulheit? Bequemlichkeit? Mangel an Interessen und Idealen? Fehlanzeige!

„Den Wunsch, nach der Schulzeit ein FSJ zu absolvieren, hatte ich schon früh“, erzählt die Mönchengladbacherin. Ihre Eltern – der Vater Pastor, die Mutter gelernte Krankenschwester – hatten ihr und ihren beiden älteren Schwestern von Kindesbeinen an Offenheit, Nächstenliebe und Neugier für andere Menschen und Kulturen vermittelt und sie in ihren Bestrebungen und Vorhaben stets liebevoll unterstützt und bekräftigt. Auch die nicht ganz alltägliche Entscheidung, ins ostafrikanische Uganda zu reisen, um sich dort zu engagieren – ein Land, das die Älteren noch mit der Schreckensherrschaft Idi Amins assoziieren – wurde von den Eltern mitgetragen. „Bei meiner Vorauswahl war Uganda gar nicht mit dabei, aber die Global Volunteer Services, die als Vermittler fungierten, fanden diese Tätigkeit für mich, die optimal zu meinen Fähigkeiten und Wünschen passte“, erzählt Annika. Statt Ängsten vor dem schwarzen Kontinent, der bei uns fast ausschließlich mit humanitären Katastrophen in die Medien gelangt, überwog bei ihr immer nur die Vorfreude auf eine fremde Kultur und die spannenden Aufgaben. „Ich konnte es nicht erwarten, endlich in Uganda anzukommen und die Kinder, die ich unterrichten und betreuen sollte, kennenzulernen“, lächelt sie. Mit ihr zusammen reiste auch Leah nach Uganda, die im Laufe des Jahres zu einer guten Freundin und Mitbegründerin des Vereins werden sollte.

„Ich weiß noch, dass mir sofort die unglaubliche Menge an Menschen auf der Straße auffiel“, ruft die Sozialarbeiterin sich die ersten Eindrücke ins Gedächtnis. Fußgänger, Tiere, Autos, dazu die oft mit drei oder mehr Menschen beladenen Boda-Bodas, kleine Motorradtaxis, füllen die staubigen Buckelpisten, in der Luft liegen fremde Gerüche und Lärm, das Auge wird geradezu überwältigt von der farbenfrohen Kleidung, in die sich die Ugander hüllen. Die kleine Schule, an der Annika in den kommenden 12 Monaten leben und arbeiten sollte, liegt im Dörfchen Kisozi im Kamuli-Distrikt, rund fünf Stunden von der Hauptstadt Kampala entfernt. Geleitet wird sie von James und seiner Organisation Global Life Ministries, die Kindern mittelloser Familien eine Schulbildung ermöglichen möchte, die sie auf den schlechten Staatsschulen nicht bekommen. Ihrem ausgezeichneten Ruf folgen 800 Kinder und nehmen dafür bis zu eine Stunde Fußweg auf sich – oder sie leben als Internatsschüler direkt vor Ort.

Viel aus wenig machen: Fußbälle und Perlenketten fertigen die Ugander aus Bananenblättern und Papier.

Viele der Kinder haben noch nie einen Menschen weißer Hautfarbe gesehen: „Muzungu, Muzungu!“, rufen Sie aufgeregt, als sie Annika und Leah sehen – „Ein Weißer, ein Weißer!“ In den Holzhütten, die als Klassenzimmer dienen, unterrichtet Annika die Kinder, die zu Hause Lusoga oder eine der zahlreichen anderen Sprachen und Dialekte sprechen, in Englisch, der Amtssprache Ugandas. Der andere Teil ihrer Arbeit dreht sich um die Betreuung von Waisen, Halbwaisen und Witwen: Die Sterblichkeitsrate ist hoch, Männer haben nur eine Lebenserwartung von knapp 61 Jahren. Armut und Krankheit sind ein riesiges Problem in Uganda. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung verdienen ihr weniges Geld mit der Landwirtschaft. Das HIV-Virus, Tuberkulose, Malaria, Gelbfi eber, Hepatitis, Poliomyelitis, Typhus oder zuletzt das Mpox-Virus verbreiten sich beinahe ungehindert, da die Gesundheitsversorgung schlecht ist. Präsident Yoweri Museveni ist seit 35 Jahren im Amt, bei der letzten Wahl erhob die Opposition den Vorwurf des Wahlbetrugs, politische Gegner wurden unter fadenscheinigen Vorwürfen festgenommen. Das Land ist von Korruption gebeutelt, eine Pressefreiheit gibt es ebensowenig wie Gleichberechtigung. Homosexuelle werden verfolgt, Frauen leiden nicht zuletzt unter einem massiven Menstruationstabu: Der Zugang zu einfachsten Hygienemitteln fehlt, statt Tampons benutzen sie Stoffreste – oder sie bleiben während ihrer Periode zu Hause, weil sie sich schämen.

Trotzdem sind die Menschen voller Zufriedenheit und Lebensfreude: „Mich hat es immens beeindruckt, was die Ugander aus dem wenigen, was sie haben, machen. Und wie sie immer bereit sind, es mit Fremden zu teilen“, berichtet Annika. Um ihre Worte zu unterstreichen, holt sie einen Fußball hervor, den Kinder aus Bananenblättern gebastelt haben. Wunderschöne Perlenketten fertigen die Frauen aus buntem Papier, um sie zu verkaufen. Eine alleinerziehende Mutter namens Sarah hat es Annika besonders angetan: „Sie wohnte in einer winzigen Lehmhütte, aber immer, wenn wir sie besuchten, lud sie uns zum Essen ein. Und sie legte allergrößten Wert darauf, dass ihre Kinder vor dem Eintritt die Schuhe auszogen oder sich die Füße abwischten, obwohl ihre Behausung nur einen Lehmboden hatte.“ Für Annika gibt es gar keinen Zweifel: Diese Menschen haben ein besseres Leben verdient.

Auch dieses Bild entstand aus Bananenblättern.

Bei der Rückkehr nach Deutschland flossen Tränen, aber der Entschluss, den Kontakt nicht abreißen zu lassen, war schnell gefasst. Seit ihrem ersten Aufenthalt 2016 waren Annika und Leah bereits zwei weitere Male in Uganda, um sich nach dem Befinden ihrer Patenkinder zu erkundigen. Im Sommer wird Annika zum vierten Mal die Reise nach Kisozi antreten. Freudig zeigt sie mir die Bilder „ihrer“ Kids – alle mit breitem Lächeln und leuchtenden Augen –, berichtet von ihren schulischen Fortschritten und ihren Zukunftsambitionen. „Dass jemand sich in Deutschland für sie einsetzt, motiviert sie: Sie wollen ihre Paten stolz machen“, weiß Annika und die tiefe, herzliche Bindung, die sie zu diesen Menschen aufgebaut hat, wird greifbar.

Aktuell hat Annika keine Pläne, ganz nach Uganda zu gehen: „Zurzeit sehe ich meinen Platz in Deutschland. Ich habe das Gefühl, dass ich die Menschen mit meinen Stärken besser und nachhaltiger von hier aus unterstützen kann“, sagt sie. Dem Verein gehe es um Empowerment: die Menschen dazu zu befähigen, selbst für sich zu sorgen. Wöchentlich investiert sie bis zu 15 Stunden in die Vereinsarbeit, in Organisation, Koordination, Korrespondenz, die Bearbeitung von Förderanträgen oder die Spendenakquise. Über die Auszeichnung hat sie sich riesig gefreut, aber als Heldin sieht sie sich nicht: „Die wahren Helden sind für mich Menschen wie Sarah oder James, von denen ich so viel gelernt habe“, sagt sie. Und dann wird auch klar, warum Annikas Einsatz ganz einfach richtig ist. Es braucht keine Argumente, um das einzusehen. Nur die Erkenntnis, dass jeder die Chance verdient hat, diesen Planeten in seiner Einzigartigkeit als Mensch zu bereichern.


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Fotos: Niklas Breuker, Grafik: Michael Strogies

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