Dem überwältigenden Glück über die Geburt eines Kindes folgt bei den meisten Eltern recht schnell die Ernüchterung darüber, dass sich das eigene Leben stärker verändert, als man es im Hormonrausch vermutet hat: Mit der Nachtruhe ist es ebenso vorbei wie mit dem langen Ausschlafen, eigene Hobbys müssen zurückgestellt werden und abends geht’s früh ins Bett. Aber muss das wirklich so sein? Globetrotter und Reisebuchautor Stefan Walter hat mit seiner Ehefrau Julia einen Weg gefunden, Familie und Reisen unter einen Hut zu bringen. Und damit alle glücklich zu machen.
Work and Travel in Australien, leben auf einer einsamen Karibikinsel, Tigersuche in Nepal: Stefan Walters Reisen sehen etwas anders aus als die des gemeinen Pauschaltouristen. Schon nach dem Schulabschluss erfüllte er sich den Wunsch, aus dem sicheren Alltag in Deutschland auszusteigen und dem nachzuspüren, was das Leben an Abenteuern und Erfahrungen zu bieten hat. Das Reisefieber hat ihn seitdem nicht mehr losgelassen: Auch weil seine Ehefrau Julia seine Leidenschaft und Begeisterung teilt. Die vielleicht größte Reise begann für beide jedoch erst im Jahr 2015, als ihre erste Tochter Hanna geboren wurde. „Julia und mir war klar, dass wir versuchen wollten, das Leben, das wir bis dahin gelebt hatten, auch mit unseren Kindern zu führen“, erinnert er sich. „Wir haben uns also von Anfang an nicht mit Hanna zu Hause verkrochen, sondern waren mit ihr viel unterwegs, hatten sie fast immer in der Trage und nur selten im Kinderwagen.“ Auch der erste Reise-Testballon, eine Flugreise nach Griechenland, verlief erfolgreich und ohne Komplikationen. „Viele sagen ja, man solle mit einem Säugling nicht fliegen, aber unsere Kinder haben an Bord eigentlich immer nur friedlich geschlafen“, lacht der Lehrer. „Wir verbrachten einen Teil dieses ersten Urlaubs im Hotel und waren dann mit einem Mietwagen unterwegs. Das hat erstaunlich gut geklappt.“ Heute ist Hanna 9 und hat mit ihren jüngeren Geschwistern Eva und Jonas bereits viel von der Welt gesehen. Der stolze Vater beschreibt seine Kinder als neugierig, offen und kontaktfreudig: Gut möglich, dass die Reiseerlebnisse zumindest einen Teil dazu beigetragen haben.
Ein besonderes Abenteuer erlebten die fünf Walters vor zwei Jahren während einer viermonatigen Reise durch Kanada, Mexiko, Guatemala und Belize. „Wir sind nach Kanada geflogen und haben uns dort einen Gebrauchtwagen gekauft, mit dem wir durchs Land gefahren sind“, erzählt Stefan. Die Familie schlief im Zelt an Orten, an denen es ihr gefiel, zwischendurch lebte und arbeitete sie auf Farmen. „Dafür gibt es eine eigene App namens ,Workaway’“, weiß Stefan. „Man hilft auf Farmen aus erhält dafür Kost, Logis und natürlich kanadische Gesellschaft.“ Mit dem Flugzeug ging es danach auf die mexikanische Halbinsel Yucatan und von dort mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch Guatemala und Belize. Während der vier Monate begegneten die Walters Bären in den kanadischen Wäldern oder beobachteten von ihrer Terrasse aus einen Vulkanausbruch in Guatemala. Für das einmalige Erlebnis, nachts im vom Plankton erleuchteten Meer zu baden, nahmen die fünf auch eine anstrengende Nachtwanderung über teilweise unter Wasser stehende Straßen in Kauf. „Das war ziemlich anstrengend und vor allem Eva war davon nur wenig begeistert. Ich habe sie den ganzen Weg tragen müssen“, lacht Stefan. „Aber am Ende hat sich die Mühe absolut gelohnt. Es war einfach magisch. Und das beschreibt auch ganz gut, was unsere Reisen auszeichnet. Sie sind ein bisschen wie Achterbahnfahrten: Die Tiefpunkte sind etwas tiefer als im Alltag, aber dafür sind auch die Höhepunkte höher. Das Leben ist einfach viel intensiver.“
Das schönste an der langen Reise war aber das umfassende Gefühl der Freiheit: Ohne Plan in den Tag zu leben, keinerlei Zwängen oder Pflichten ausgesetzt zu sein – und 24 Stunden täglich miteinander verbringen zu können. „Ich glaube schon, dass wir dadurch enger zusammengewachsen sind. Gemeinsam Herausforderungen zu meistern, schweißt zusammen!“, resümiert der Familienvater. Eine wichtige Erkenntnis, die er von seinen vielen Reisen mitgebracht hat und die auch seine Kinder fürs Leben mitnehmen: Es gibt für jedes Problem eineLösung. „Wir denken viel zu oft in Problemen und lassen uns von ihnen abhalten, etwas zu tun, anstatt sie einfach mit Optimismus anzugehen“, lächelt er. „Ich nehme mich davon gar nicht aus: Wir haben uns etwa im Vorfeld viele Gedanken darüber gemacht, ob es überhaupt gelingen wird, Hanna für vier Monate von der Schule zu befreien. Am Ende haben aber gute Argumente wie Homeschooling, Fremdsprachenerfahrungen und interkulturelle Kompetenzen dazu beigetragen, dass wir die Zeit zwischen den Sommer- und Herbstferien im Ausland nutzen konnten.“
Das Buch, das Stefan über die Familienreisen geschrieben hat, soll Eltern Mut machen, sich mehr zu trauen und auch ihre Kinder stärker zu fordern. „Wir nehmen bei der Planung natürlich Rücksicht auf die Bedürfnisse unsere Kinder“, kommt er Kritikern zuvor. „Für jedes Eltern-Event gibt es zum Ausgleich etwas für die Kinder. Und es gibt durchaus Unternehmungen oder Reiseziele, die wir ihnen nicht zumuten würden.“ Zum Glück gibt es genug sichere Länder auf der Welt: Im Sommer wanderten die Walters mit zwei Eseln durch die französischen Pyrenäen, nächstes Jahr steht Südostasien auf dem Plan. Bei der Reiseplanung kommen Stefan die langen Sommerferien natürlich entgegen. Aber er erinnert an die dreijährige Elternzeit, die auch jeder Vater bis zur Vollendung des achten Lebensjahrs seines Nachwuchses in Anspruch nehmen kann. „Ich finde, dass mehr Väter sich diese Zeit nehmen sollten. Außerdem stehen auch immer mehr Arbeitgeber dem aufgeschlossen gegenüber. Fragen schadet also nichts“, macht er Mut. Stefans jüngster Spross Jonas ist jetzt fünf, es bleiben also noch drei Jahre Zeit für ausgedehnte Reisen. Oder ist etwa neuer Nachwuchs in Planung? Stefan grinst. „Ich glaube, die Drei wirbeln unser Leben schon genug durcheinander!“
Stefan Walter: Wahnsinnig! Glücklich!– Vom Reisen mit Kindern. Ein Vater erzählt
194 Seiten
360° medien
16,95 EUR
backpacken.de/wahnsinnig-glücklich/
Instagram: @backpacken.de
backpacken.de
Fotos: Niklas Breuker, Stefan Walter