Heroes in Krefeld

Funda Schneider: Die Kraft von innen

Funda Schneider, eine von acht KrefelderInnen, die 2024 mit dem Preis für Mut und Zivilcourage ausgezeichnet wurde.

Jährlich vergibt die Stadt Krefeld den Preis für Mut und Zivilcourage an Bürger, die sich zum Wohl der Allgemeinheit und ihrer Mitmenschen eingesetzt haben: Menschen, die Straftaten verhindert, Opfern geholfen oder die Polizei bei der Ergreifung der Täter unterstützt haben. In diesem Jahr wurden acht Krefelder mit dem Preis geehrt. Einer von ihnen ist Funda Schneider. Die junge Frau und Mutter zögerte keine Sekunde, als sie Zeugin eines Falls von Kindesmisshandlung im Straßenverkehr wurde. Ihr Einsatz war für sie ganz selbstverständlich – und tatsächlich ist die Motivation für ihr Handeln tief in ihrer eigenen Biografie verankert.

Es ist ein Herbsttag im vergangenen Jahr. Funda Schneider ist mit ihrem VW Bus auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Auf der Nordtangente fällt ihr der Wagen vor ihr auf. Er fährt in Schlangenlinien, weil die Fahrerin wild auf ihren Beifahrer einschlägt: ein Kind, wie die damals 42-Jährige erkennt, als sie sich neben das verdächtige Fahrzeug setzt. Sekunden später schützt sie nur eine Notbremsung vor einer Kollision mit dem erneut von der Fahrbahn abkommenden Wagen. Funda wählt sofort die Nummer der Polizei, wissend, dass sie die Frau vorerst weiter verfolgen muss, um den Beamten den genauen Standort durchgeben zu können. Auf dem Parkplatz des MediaMarkts bemerkt die Verkehrssünderin ihre Verfolgerin und tritt erneut aufs Gaspedal, bevor die Polizei ihre Amokfahrt schließlich an der Kreuzung Blumentalstraße/Nassauerring stoppen kann. Es kommt zur Anzeige, unter anderem wegen Trunkenheit am Steuer, Kindesmisshandlung und Beamtenbeleidigung. Bei der Gerichtsverhandlung im Februar dieses Jahres macht Funda ihre Zeugenaussage, doch welche Strafe die Fahrerin ereilt, weiß sie nicht. Für sie ist das auch nicht entscheidend. Wichtig ist ihr, dass ihr Eingreifen Schlimmeres verhindern und das Leid des Kindes beenden konnte.

„Ich hatte schon immer einen guten Draht zu Kindern“, lächelt die Chemietechnikerin freundlich. „Ich verstehe sie und sie verstehen mich. Aber woran das liegt, kann ich nicht erklären. Es scheint da einfach eine emotionale Verbindung zu geben.“ Wie eine Mutter völlig enthemmt auf ihr eigen Fleisch und Blut einschlagen kann, ist ihr völlig unbegreiflich: Als sie versucht, ihre Gefühle zu beschreiben, schießen ihr Tränen in die Augen. Verständlich, wenn man die Geschichte der Schneiders kennt, denn Funda und ihr Ehemann Thorsten führen seit acht Jahren ein Leben im ständigen Auf und Ab zwischen tiefen existenziellen Sorgen und unbeschreiblichen Glücksmomenten. Damals kam ihre Tochter Charlotte mit einer schweren Behinderung auf die Welt: „Schon bei einer frühen Ultraschalluntersuchung wurde eine Corpus-Callosum-Agenesie diagnostiziert“, erinnert sich die gebürtige Rheinbergerin. Bei der Genmutation ist die Nervenbrücke, die die beiden Hirnhälften miteinander verbindet, unterentwickelt. „Man sagte uns damals voraus, dass Charlotte in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung beeinträchtigt sein würde, doch nach der Geburt wurden weitere Schäden festgestellt: eine Choanalatresie, eine Verknöcherung der hinteren Nasenwand, sodass Charlotte einen Luftröhrenschnitt brauchte. Sie ist außerdem blind und schwerhörig auf dem linken Ohr. Mit zwei Monaten erlitt sie einen Schlaganfall und besitzt seitdem einen VP-Shunt, damit das Hirnwasser ablaufen kann“, zählt die Mutter mit bemerkenswerter Sachlichkeit auf.

Tochter Charlotte kam vor acht Jahren mit einer schweren Behinderung auf die Welt. Sie ist Dreh- und Angelpunkt der Familie.

Für andere Menschen völlig alltägliche Handlungen, wie ein einfacher Lebensmitteleinkauf, sind für die Schneiders ein medizinischer Großeinsatz. „Charlotte kann nicht laufen, außerdem führen wir immer eine Sauerstoffflasche, ein Absauggerät und eine Notfalltasche mit für den Fall, dass sie sich ihr Tracheostoma herausreißt. Zum Glück unterstützt uns seit ihrer Geburt ein 24-Stunden-Kinder-Intensivpflegedienst“, gibt Funda Einblick in ihr Familienleben. Verständlich, dass ein widerrechtlich blockierter Behindertenparkplatz sie schier zur Weißglut bringt. Die Entscheidung, Charlotte trotz ihrer Behinderung auf die Welt zu bringen, haben die Eltern dennoch nie bereut, zu keiner Sekunde: „Charlotte gibt uns unendlich viel. Sie lacht, ist munter, hat einen ganz eigenen Humor und zeigt enormen Kampfgeist“, berichtet die Mutter stolz. Als sich ihre Tochter vor einigen Monaten zum ersten Mal auf ihre eigenen Füße stellte, war das einer jener Glücksmomente, der alle Sorgen und Anstrengungen für einen Augenblick vergessen macht. „Wir leben für diese Momente, die kleinen Ziele, die Charlotte erreicht und die uns mit Stolz erfüllen“, gesteht Funda und ihre Augen leuchten voller Glück und Dankbarkeit. „Aber ich habe Angst, was mit Charlotte passiert, wenn ich einmal nicht mehr da bin.“ Im Moment ist Funda, Tochter türkischer Einwanderer, krankgeschrieben. So stark die zierliche Frau auch sein mag, irgendwann ist jede Ressource verbraucht. Zur Care-Arbeit für Charlotte kommt aktuell auch noch die Pflege ihrer allein lebenden, an Krebs und Demenz erkrankten 76-jährigen Mutter. „Wir sind aktuell auf der Suche nach einem Pflegedienst, der uns einen Teil der Arbeit abnehmen kann“, berichtet sie. „Doch das ist gar nicht so einfach.“ Fundas Vater starb zu Beginn des Jahres, genau einen Tag nach der Gerichtsverhandlung um die alkoholisierte Fahrerin. Als sich Funda daran erinnert, wird sie erneut von Tränen übermannt. „Ich wollte doch nicht weinen“, lacht sie über sich selbst. Man erahnt, wie anstrengend es für Funda ist, immer stark sein zu müssen. Oft vergisst sie sich selbst aus Sorge um ihre Liebsten.

Gemeinsam mit ihrem älteren Bruder sei sie liebevoll erzogen worden und habe eine glückliche Kindheit erlebt. Ihr Vater war Sprengmeister in einer Duisburger Zeche, in den Sommerferien wurde regelmäßig der Mercedes vollgeladen und die Verwandtschaft in der Türkei besucht. Es war ein einfaches Leben, aber wahrscheinlich hat Funda genau in diesem Umfeld gelernt, dass Glück und Zufriedenheit nichts mit Luxus und materiellen Gütern zu tun haben, sondern aus der Verbindung zu Menschen erwächst, die einem etwas bedeuten. Die einem Kraft geben, um die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen. Und einem mit ihrer bedingungslosen Liebe das Selbstbewusstsein vermitteln, das es braucht, seinen Platz in der Welt einzunehmen. Die Rolle der fürsorglichen Kämpferin hat sich Funda nicht ausgesucht, aber sie füllt sie mit einer gewissen Kompromisslosigkeit aus. Sie kann einfach nicht anders. Sie ist so ein Mensch.

Die Ehrung durch die Stadt Krefeld war Funda zunächst unangenehm, erst ihr Mann überredete sie dazu, an der Veranstaltung teilzunehmen: „Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt. Und ich hatte auch nicht das Gefühl, etwas Besonderes gemacht zu haben. Ich halte es für ganz normal, dass man in einer Gemeinschaft aufeinander achtet und Menschen hilft, die in Not sind. Ganz besonders, wenn es Kinder sind, die sich nicht wehren können. Ich habe das so gelernt.“ Erst die Reaktion von Freundinnen habe ihr gezeigt, dass ihr geistesgegenwärtiger Einsatz keineswegs eine Selbstverständlichkeit war. „Ich habe in dem Moment keine Angst gehabt“, blickt Funda zurück. „Ich wusste, ich muss jetzt einen ruhigen Kopf bewahren und handeln, damit keine anderen Menschen zu Schaden kommen.“ Auch wenn sie sich niemals als Vorbild bezeichnen würde, ist ihr die Anerkennung, die mit der Auszeichnung verbunden ist, doch wichtig. „Es wäre schön, wenn wir unsere Scheuklappen verlören und mehr Rücksicht auf unseren nächsten nähmen“, sagt sie. Wer weiß schon, welche Last er täglich zu Schultern hat?


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 Fotos: Niklas Breuker // Grafik: Michael Strogies
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