Michelle Engel

Wie wird man eigentlich… Gemeindereferentin?

Nachrichten beantworten, Rat geben, Trost spenden: Ein Job zwischen Seelsorge, Lifecoaching und Influencer.

Bei vielen Berufen haben wir schnell eine Vorstellung, worum es geht: Piloten fliegen, Feuerwehrleute löschen, Lehrende unterrichten und Pfarrer predigen. Doch was macht eigentlich eine Gemeindereferentin? Michelle Engel, bei Instagram besser bekannt als „Frengels“, blickte mit uns hinter die Kulissen ihrer katholischen Kirchengemeinde in Krefeld. Dort verriet sie nicht nur, dass sie gern mal mit Bastian Pastewka und Anke Engelke Kaffee trinken möchte oder wie cool ihr Chef jenseits der sozialen Medien ist. Zwischen Seniorenfrühstück, Kitabesuch und Gottesdienst im Hospiz trafen wir eine pragmatische und positive junge Frau, die bereits ihren Traumjob gefunden hat. Weil er vielseitig und nah an den Menschen ist.

„Blues Brothers? Kenne ich nicht!“ Die 31-jährige Michelle Engel hebt bei dieser Frage die Schultern und lächelt. Vielleicht haben wir doch den Altersunterschied unterschätzt, denn der Beruf der jungen Frau weckte bei uns direkt Assoziationen zur Filmkomödie von 1980 – schließlich sind die Hauptfiguren Jake und Elwood Blues im Auftrag des Herrn unterwegs. Und dafür gibt es in der römisch-katholischen Kirche einen Fachbegriff: die Missio canonica. Wer beispielsweise als Religionslehrer, Dozent an einer Hochschule oder Gemeindereferent die christliche Lehre verkünden möchte, braucht einen Auftrag des Bischofs. Dieser wird in Form einer Urkunde überreicht, wie Fotos des Bistums Aachen auf Facebook belegen. Aber keine Sorge: Auch wenn wir an diesem Dienstagmittag einige kirchenrechtliche Begriffe zu hören bekommen, die ziemlich flott aus der gut gelaunten Rheinländerin heraussprudeln, wird es nicht langweilig oder gar „churchy“ werden.

„Kirche kann modern, jung und lustig sein, aber eben auch an Traditionen und Festlichkeiten festhalten“, schreibt „Frengels“ im Pfarrjournal der Gemeinde Papst Johannes XXIII., das wie ein hochwertiges Printmagazin gestaltet ist. Und verrät damit das Erfolgsgeheimnis der Dionysiuskirche auf Instagram: Mehr als 42.000 teils kirchenferne Menschen folgen inzwischen dem Account, weil sie sich angesprochen fühlen von einem gelungenen Mix aus Spontaneität und Alltagsszenen, flapsigen Sprüchen, empathischen Predigten oder tiefsinnigen Gebeten, täglich gepostet von Michelle Engel und dem Krefelder Pfarrer David Grüntjens alias „Chef“. Die zwei sind ein eingespieltes Team und kabbeln sich zuweilen wie ein altes Ehepaar – mit dem „nervigen“ Effekt, dass sie die am häufigsten gestellte Frage nach dem Beziehungsstatus ganz offiziell in einem Reel verneinen.

„Menschen brauchen Verkündigung, brauchen Ansprechpartner, brauchen Ohren, die ihnen zuhören“, erklärt die Gemeindereferentin das Konzept und freut sich in Zeiten von Kirchenaustritten und Negativ-Schlagzeilen besonders über den Zuspruch in den sozialen Medien. Denn nicht nur die reinen Nutzerzahlen, sondern auch begeisterte Kommentare wie „Sehr cool gemacht“, „Toller Content“ oder „Ihr seid ja ganz normal“ zeigen: Frengels und Chef haben offenbar einen Nerv getroffen. Sie bedienen die Sehnsucht vieler Menschen nach einem Sinn im Leben und spielen eine Vorreiterrolle für weitere Bistümer, wie Engel ausführt. „Hier steckt viel Potenzial drin: Durch unseren Instagram-Auftritt haben die Menschen nicht mehr die große Hemmschwelle, um nach einem Gesprächstermin zu fragen, in die Kirche zu kommen oder eine Messe mitzufeiern. Wir können Vorurteile abbauen.“

Michelle Engel beantwortet jeden Tag Hunderte von Nachrichten persönlich, sie kann vermitteln, Trost spenden oder Halt geben. „Einer muss das ja machen“, sagt sie mit einem Schulterzucken und nimmt lässig einen Schluck aus der kleinen Wasserflasche. „Da ist viel Seelsorge dabei, das lässt sich nicht einfach an Ehrenamtler abgeben.“ So nimmt sie auch gern in Kauf, nicht mehr unerkannt einkaufen gehen zu können und extrem wenig Freizeit zu haben. „Eigentlich wäre Influencerin bei dieser Menge an Followern schon ein Vollzeitjob“, lacht die engagierte Gemeindereferentin und schwärmt von der Vielfalt eines fast unbekannten Berufs. „Beerdigungen, Seelsorgegespräche, Trauerarbeit, Gottesdienste im Hospiz oder Kitabesuche stehen regelmäßig an. Zudem organisiere ich Events wie das Seniorenfrühstück, arbeite in Gremien mit und bin für die ganze Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich“, beschreibt Engel ihren bunt gemischten und lebensnahen Joballtag. „Wir sitzen alle unter einem Dach, was die Dienstwege schön kurz macht. Morgens um 9 Uhr trudeln alle im Pfarrbüro ein, um sich auszutauschen und dann ihrer Wege zu gehen. Kein Tag ist wie der andere!“ Die dezent geschminkten Augen leuchten jetzt ununterbrochen, während sie uns fast ohne Atempause in die Anfänge ihrer Vita mitnimmt.

1993 geboren und mit drei Geschwistern in der Nähe von Heinsberg aufgewachsen, schlägt sie früh den klassischen Weg ein und wird Messdienerin. Ein Grund: „Die fuhren ins Phantasialand!“ Sie engagiert sich in der Jugendarbeit, baut ihr Fachabitur an einem Berufskolleg und überlegt, nach einem Praktikum in einem integrativen Kindergarten Heilpädagogik zu studieren. „Ich wollte beruflich auf jeden Fall etwas mit Menschen – egal welchen Alters – machen, vielleicht Krankenpflegerin lernen, um später nach Afrika zu gehen“, erklärt Engel. Doch mit dem Studienplatz klappt es nicht, dafür springt sie als Integrationshelferin für einen Autisten ein. Den Ausschlag gibt dann ein Gespräch mit einer Ordensschwester im Berufungspastoral: „Die wusste nach drei Minuten: Gemeindereferentin, dat wär wat für mich. Zack, so bin ich an der Katholischen Hochschule in Paderborn gelandet. Dabei hatte ich vorher nie von diesem Beruf gehört.“ Viele würden eher an einen Bürojob in der Stadtverwaltung denken, was zu ihrer zupackenden Persönlichkeit, die Freiheit und Abwechslung sucht, nicht gepasst hätte.

Das dreijährige Studium der Religionspädagogik (heute: Angewandte Theologie) muss eine intensive Zeit gewesen sein, denn jetzt bricht der rheinische Singsang häufiger durch, und Michelle Engel lächelt bei der Erinnerung tief in sich hinein. „Das erste Jahr am Pauluskolleg fühlte sich an wie Klassenfahrt: Alle wohnten unter einem Dach, es gab einen Pub und eine eigene Kapelle“, bestätigt sie den Eindruck. Und widerlegt gleich ein Klischee: „ Man trifft dort nicht nur betende gläubige Menschen.“ Die Studienfächer reichen von Bibelkunde über Psychologie und Seelsorge bis zur Pastoraltheologie, Fremdsprachenkenntnisse in Griechisch oder Hebräisch braucht es im Gegensatz zum Theologiestudium nicht. Dem Bachelorabschluss folgen drei weitere Jahre der praktischen Ausbildung in der Gemeindeassistenz, die Michelle Engel in Aachen-Brand verbringt. Bei der schon erwähnten Urkundenüberreichung trifft sie auf Domkapitular Pfarrer Heiner Schmitz, der ihr die Stelle im Krefelder Pastoralteam vermittelt. 2019 wird David Grüntjens sein Nachfolger – und zwei authentische Menschen treffen aufeinander, die nicht nur den gleichen Humor haben, sondern auch ähnliche Ziele und Wünsche für die Kirche verfolgen: „Wir möchten nicht auf der Stelle treten, sondern Menschen und unsere Gemeinde voranbringen.“ Die Nachfrage ist da, auch wenn 1.098 Krefelder im Jahr 2023 die katholische Kirche verließen.

Die Blues Brothers wussten vor über vier Jahrzehnten: „Everybody needs somebody to love.“ In der Originalfassung des Songs ruft Solomon Burke, im Stil eines Predigers, nach Menschen, die die Macht der Liebe bezeugen. Vielleicht wird es Zeit für eine Neuauflage mit einer weiblichen Sängerin, die als Gemeindereferentin arbeitet. Sie ist bereits auf einem guten Weg.

Fotos: Felix Burandt
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