„Ich bin ganz Ohr“, sagen wir, wenn wir besonders aufmerksam zuhören wollen. Tatsächlich ist das Gehör ein komplexes Sinnesorgan, das uns viel ermöglicht: von der Orientierung im Raum über Musikgenuss bis hin zu Gesprächen mit Freunden bei einem Cappuccino im Café. Wenn das Hörvermögen jedoch nachlässt oder Ohren vor Lärm geschützt werden müssen, kann der Weg zum Hörakustiker sinnvoll sein. Paul Krobbach hat dieses vielseitige Handwerk von der Pike auf gelernt und sorgt als Bassist und Produzent auch privat für guten Sound. In seinem Musikzimmer in Bockum lernten wir, dass Akustik mehr ist als die Lehre vom Schall. Und warum es trotz innovativer Technik immer um Menschen geht.
Es ist ein Männertraum, den wir an diesem Donnerstag betreten dürfen: Familienvater Paul Krobbach hat sich im Eigenheim ein kleines Studio als „Man Cave“ eingerichtet, mit selbstgebautem Schallschutz an den Wänden, vielen Monitoren und Lautsprecherboxen sowie insgesamt neun Bässen und einer Gitarre. „Ich muss heute noch ein paar Songs für die Coverband üben“, verrät der Hobbymusiker mit einem breiten Grinsen und sucht einen himmelblauen Bass aus. Eigentlich sei er ja kein Sänger, doch der 39-Jährige lässt trotzdem die ersten Töne des Rocksongs „I Want To Know What Love Is“ von Foreigner anklingen. Viele Krefelder werden ihn als Mitglied der Indie-Band „Minor Cabinet“ kennen, sie feilt derzeit an einer neuen Single. „Hör mal, an dieser Stelle müssen wir nacharbeiten“, demonstriert Paul und verschiebt gezielt diverse Regler am Mischpult. „Audiomastering ist voll mein Ding, ich mache gern Musikstücke klarer und fetter.“ Seit einiger Zeit spiele er außerdem in „Die neue Superband 22“ – genauso geschrieben, inklusive Artikel vorneweg, wie er trocken anmerkt. Keine Frage, dieser unglaublich ruhig wirkende Mann, der während des Interviews geduldig seine Kinder mit einer Zwischenmahlzeit versorgt, hat Humor. Und ein Faible für guten Klang, arbeitet er doch hauptberuflich als Hörakustiker.
Um ganz korrekt zu sein, hat Paul Krobbach vor siebzehn Jahren eine anerkannte duale Ausbildung zum Hörgeräteakustiker abgeschlossen. 2015 wurde die Ausbildungsverordnung in Deutschland angepasst, um nicht das Gerät an sich, sondern die individuelle Dienstleistung in den Vordergrund zu rücken. Die Bundesagentur für Arbeit präsentiert in einem Steckbrief eine eher nüchterne Beschreibung des Berufs: „Sie beraten Kunden hinsichtlich unterschiedlicher Arten von Hörsystemen bzw. Gehörschutz. Dabei gehen sie auf die Bedürfnisse ihrer Kunden ein. Um ein Hörgerät optimal anpassen zu können, führen sie Tests zur Hörleistung durch. Auch stellen sie Otoplastiken für Hörgeräte oder als Gehörschutz her.“ Ach so, bei Paul klingt das doch emotionaler, als er einen Stethoclip zum Testen von Funktion und Klang sowie zwei winzige Hörgeräte auf den Tisch legt. Er erklärt kurz, dass sich die Ohrenform von Mensch zu Mensch unterscheidet, sodass Silikonabformungen für das spätere Hörgerät angepasst werden, bevor wir tief in seinen Joballtag eintauchen.
„Das ist so ein toller Beruf“, schwärmt der gebürtige Münsteraner mit glänzenden Augen. „Die Arbeit ist sehr facettenreich, sie verbindet Handwerk, Technik und Medizin – und wir tragen täglich zur Verbesserung der Lebensqualität bei. Allerdings muss man sich auch immer wieder auf unterschiedliche Menschen einstellen, was nicht jedem leicht fällt. Bei Senioren braucht es beispielsweise viel Geduld, weil sie vielleicht erst von der neuen Hüfte oder Geschichten aus der Familie erzählen. Und um auf die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen einzugehen, gibt es eine eigene Fortbildung zum Pädakustiker.“ Diese habe er im Jahr 2009 absolviert und seitdem viele „schöne Erfahrungen“ gesammelt. Am jetzigen Standort in Tönisvorst sei das Publikum jedoch „meist 60 plus“. Die Verbindung aus modernster Technik und intensiver persönlicher Beratung sei für ihn das Faszinierende am Job, resümiert der erfahrene Hörakustiker, ohne Fachchinesisch zu verwenden. „Hörgeräte sind heute digital, man kann alles Mögliche einstellen. Ich habe total Spaß an der Feinjustierung, denn ich will den Kunden helfen, damit sie das Gerät nutzen und nicht in die Schublade legen. Manchmal sehe ich den Hörtest und weiß schon genau, wie das Gerät klingen soll.“ Seine Begeisterung lässt sich auch unter dem Vollbart ablesen.
Paul mag die vielen Beratungsgespräche im Laden, sie seien manchmal traurig, wenn von Krankheiten oder Todesfällen berichtet werde, oft lustig, weil es wegen der Schwerhörigkeit auch zu Missverständnissen komme. „Das Menschliche ist mir wichtig, viele Kunden kenne ich seit Jahren. Sie kommen aus Hüls, Linn oder sogar aus Oberhausen. Ich kann mich gut auf mein Gegenüber einstellen. Das ist einfach so.“ Die ausgeprägte humanistische Ader führt er auf sein Elternhaus zurück. Sprachlich ist Paul eher lässig unterwegs, auch sein Kleidungsstil passt dazu. Anzug oder Krawatte? Auf keinen Fall, für Kompetenz und Zuwendung brauche es schließlich keinen Dresscode. Der Akustikprofi lacht freundlich und schiebt eine typische Anekdote aus dem Alltag ein: „Ich habe selbst erlebt, dass Kunden ein Gerät zum Reinigen ins Geschäft bringen und schnell noch den Ohrenschmalz abnuckeln. Damit sollte man klar kommen.“ Er führt es uns wie ein Schauspieler vor, und alle im Raum kichern in sich hinein. Was denn der häufigste Satz im Laden sei? „Ich höre das, aber ich verstehe es nicht.“ Denn mit zunehmendem Alter höre man hohe Töne nicht mehr gut und könne Sprache schlechter verstehen, vor allem in einer lauten Umgebung. Das Problem: „Viele wollen es nicht wahrhaben: Eine altersbedingte Hörminderung kann früher einsetzen, als man vielleicht annimmt, denn der Prozess verläuft schleichend. Daher ist ein Hörtest bereits ab 50 Jahren sinnvoll.“ Dieser werde in der Regel kostenlos angeboten und schaffe schnell Klarheit, weiß der Hörexperte.
Nach der Mittleren Reife in Krefeld sei er zunächst unschlüssig gewesen, welche berufliche Richtung er einschlagen sollte: „Ich hatte viele Interessen, mochte Wandern und Zeichnen – also bewarb ich mich als Kartograph beim Geologischen Landesamt, schaffte aber den Eignungstest nicht.“ Kein großes Drama, Paul entscheidet sich auf seine bodenständige Art, erst mal den Zivildienst im Uerdinger Krankenhaus abzuleisten. Dann kommen ein paar sprichwörtliche Steinchen ins Rollen: Der begeisterte Hobbymusiker, der schon als Kind seine erste Gitarre mit der Stichsäge aussägte und in der Schulband spielte, lässt sich in einem Krefelder Fachgeschäft auf der Friedrichstraße einen Gehörschutz anfertigen. „Den habe ich nicht nur bei den lauten Bandproben im Bunker getragen, sondern auch im Zivildienst ausprobiert, weil ich neugierig war, wie es sich anfühlt, schwerhörig zu sein“, erinnert er sich mit zugewandtem Blick. Beim Durchgehen der Narkoseprotokolle im Krankenhaus fällt ihm die Frage „Tragen Sie ein Hörgerät?“ auf – ein bürokratischer Vorgang mit Folgen. „Ich habe mich immer mehr mit dem Thema beschäftigt und am Ende drei Bewerbungen für die Ausbildung zum Hörgeräteakustiker geschrieben. Ein Praktikum, bei dem ich gleich mit anpacken durfte, gab schließlich den Ausschlag. Und es hat sich gelohnt.“
Inzwischen blickt Paul Krobbach auf ganze 20 Jahre im Traumberuf zurück und hat mit Feingefühl und mindestens einem guten Ohr sogar Politikern und Prominenten zum passenden Hörgerät verholfen. Zum Abschied gibt es noch einen ernstgemeinten Profitipp: „Nach dem lauten Konzertbesuch kann man auch mal einen ruhigen Tag ohne Lärm einschieben.“ Das sollte man sich am besten gleich „hinter die Ohren“ schreiben!