Heroes in Krefeld

Karin Mast: Streiten regt den Geist an

Karin Mast hat sich in ihrem umweltpolitischen Engagement mit viel Leidenschaft gestritten.

Sinkende Wahlbeteiligung, Politikverdrossenheit, Ohnmachtsgefühle, Verschwörungstheorien, Klagen darüber, dass „die da oben“ doch nur machen, was sie wollen: Der Anteil der Menschen, die sich von den gewählten Repräsentanten gar nicht mehr oder nur unzureichend repräsentiert sehen, wächst. Wir erleben global eine handfeste Krise des demokratischen Systems. Vom Idealzustand, den Platon einst erdachte, einem Staat, an dem jeder Bürger als „zoon politikon“, als politisches Wesen, aktiv teilnimmt, sind wir weit entfernt. Was Demokratie bedeutet, hat die Krefelderin Karin Mast über 30 Jahre lang vorgemacht. Die Sängerin wollte sich irgendwann nicht mehr drauf verlassen, dass andere die richtigen Entscheidungen für sie treffen. Sie setzte sich ein gegen Atomkraft, für den Umweltschutz, gegen den Krieg im Irak, für Tierrechte und für verkehrsberuhigte Innenstädte. Im vergangenen Jahr beendete sie ihr ehrenamtliches Engagement. Leise wird sie dennoch nicht werden.

Schon ihr Wohnsitz spricht Bände: Die Wohnung mitten im Stadtzentrum lässt auf einen Menschen schließen, der gern am Leben teilnimmt, auch mit nunmehr 79 Jahren nicht daran denkt, sich zurückzuziehen. „Ist das nicht wunderbar hier?“, fragt sie mit einem herzlichen Strahlen. „Hier ist immer was los. Manchmal dringt sogar die Musik von unten herauf.“ Ihr Auto parkte sie bis vor kurzem im Parkhaus gegenüber, doch seit einiger Zeit ist sie nur noch zu Fuß oder mit dem ÖPNV unterwegs. „Manchmal gehe ich einfach zur Haltestelle und entscheide dann ganz spontan, wo ich hinfahre. Krefeld hat so viele schöne Ecken und Parks!“, gerät sie ins Schwärmen. Dass sie nicht mehr selbst mit dem Pkw herumfährt, führt sie vor allem auf die horrenden Kosten für den Stellplatz zurück, aber die Entscheidung passt zu einer Frau, die sich seit Jahren dafür einsetzt, den Autoverkehr in der Innenstadt deutlich zu reduzieren. „Es ist einfach unheimlich laut geworden“, sagt sie. „Und gerade für unsere Kinder ist viel zu wenig Platz. Schauen Sie sich den Spielplatz am Südwall an: Damit Kinder dort sicher spielen können, musste man einen Zaun errichten. Das kann es doch nicht sein!“ Als Höhepunkt ihrer Tätigkeit für den BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz e.V.) benennt sie dann auch die Aktion „Manche mögen’s leis“, die sie 1997 mit dem damaligen Oberbürgermeister Pützhofen als Schirmherr durchführte und mit der sie für ein ruhiges und vor allem rücksichtsvolleres innerstädtisches Miteinander warb. Noch heute erinnert sie sich gern daran zurück: „Die Menschen brachten tolle Ideen ein, die Aktion wurde fast zu einem Selbstläufer. Es war schön zu sehen, wie die Idee einer lebenswerten Innenstadt verborgenes kreatives Potenzial freisetzte“, erinnert sie sich.

Jazz, Gesang und Umweltschutz: Karin Mast kann auf ein ausgefülltes Leben zurückblicken.

„Kreativität“ ist ein Schlüsselwort, wenn man sich mit Karin Mast beschäftigt. Ihre Mutter war Tänzerin, ihr Vater imitierte Mario Lanza, wenn er durch die Wohnung ging, wie die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin und Sekretärin mit leuchtenden Augen erzählt. Die Kindheit war von Musik erfüllt, die einen Gegenpol zu den Härten des Lebens nach dem Krieg bildete. Während der Vater noch an der Front kämpfte, floh die Mutter mit der kleinen Karin im Arm aus Oberschlesien Richtung Düsseldorf, wo die Eltern ihres Ehemannes lebten. „Meine Mutter aß unterwegs Schnee, um mich stillen zu können“, berichtet die Sängerin. „In Düsseldorf arbeitete mein Vater bei der Stadtsparkasse. Meine Mutter gab ihren Beruf als Tänzerin auf, um mich und meinen Bruder zu versorgen. Ich habe nie verstanden, wie sie diese Leidenschaft so einfach aufgeben konnte.“ Wie es zu ihrem ersten Engagement als Sängerin kam, weiß sie hingegen noch ganz genau: „Ich war 16 und auf eine Fete eingeladen, doch auf mein Klingeln öffnete dort niemand die Tür. Wenig später kam ein Junge, der auch eingeladen war. Weil uns immer noch niemand aufmachte, schlug er spontan vor, zu einer anderen Fete zu gehen. Während wir dort tanzten, flüsterte er mir ins Ohr: ,Ich habe eine Band. Kannst du singen?’“ Die Kapelle nannte sich Collegium Jazzicum und spielte Dixieland. „Die Musik war mir recht schnell zu laut und auch zu fröhlich, vor allem, weil ich immer gegen die Bläser ansingen musste. Aber ich liebte den Blues!“, lacht die Frau mit den weißen Haaren und der markanten Brille. Am Anfang sei sie auf der Bühne sehr schüchtern gewesen, berichtet sie. Vor allem die Ansagen und Kommunikation mit dem Publikum seien ihr unheimlich schwer gefallen, ganz anders als das Singen. „Ich bin glücklich, wenn ich singe“, sagt sie. „Und noch glücklicher bin ich, wenn ich merke, dass ich mit meinem Gesang andere glücklich mache!“

Doch das Glück und die Unbeschwertheit wurden ihr an einem schicksalsträchtigen Tag im Jahr 1986 genommen. Die Reaktorka- tastrophe von Tschernobyl am 26. April veränderte das Leben der damals 42-Jährigen, wurde ihr politisches Erweckungserlebnis. Noch heute schießen ihr die Tränen in die Augen, wenn sie sich daran erinnert, wie sie ihrem Sohn trotz der ungewissen Bedrohung erlaubte, im Garten zu spielen. „Mein komplettes Weltbild brach damals zusammen“, resümiert sie. „Ich verlor an diesem Tag meine Wissenschaftsgläubigkeit, da sich die vermeintliche Sicherheit der Atomkraftwerke als Trugschluss entpuppt hatte. Ich wusste, dass ich selbst aktiv werden musste. Auch aus Verantwortung vor unseren Kindern.“ Sie engagiert sich beim BUND, bei dem sie bis zur Bundesebene tätig wurde, und absolvierte eine zusätzliche Berufsausbildung als Ernährungs- und Gesundheitsberaterin, die ihr bei ihrer Tätigkeit als Sprecherin des Arbeitskreises Gesundheit zugutekam. Die Liste der Aktionen, an denen sie mitwirkte oder die sie selbst in Leben rief, füllt mehrere eng beschriebene Seiten. Aber Karin Mast führt in ihrer Tätigkeit nicht nur Gespräche mit Politikern, hält flammende Reden gegen den Irak-Krieg oder entwickelt Positionspapiere zu Ernährungs- und Gesundheitsthemen, sie wird auf lokaler Ebene auch ganz konkret aktiv. So engagiert sie sich 2013 bei der Aktion „Suspended Coffee“ oder auch am „March against Monsanto“. 2019 nimmt Krefeld auf ihr Bestreben hin zum ersten Mal an der Europäischen Mobilitätswoche teil. Auch den Widerstand gegen den Surfpark hat sie als Vorstandsmitglied beim BUND mitgetragen. Angesichts des Klimawandels hält sie ihn nicht mehr für zeitgemäß – über eine maßvolle Aufwertung des Naherholungsgebietes würde sie sich aber freuen.

„Ich streite mich gern – streiten hält frisch! – aber ich bin eigentlich ein harmoniebedürftiger Mensch. Es ist enorm anstrengend, Widerstand zu leisten und gegen etwas zu sein. Mir war immer lieber, Menschen für etwas zu begeistern.“ In den über 30 Jahren ihres ehrenamtlichen Engagements hat Karin Mast manchen Erfolg erzielt, aber natürlich auch bittere Niederlagen erlebt. „Am meisten hat mir immer missfallen, dass eine politische Haltung stets auch persönliche Anfeindungen nach sich zog, wenn es doch eigentlich um die Sache ging. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich aus den Parteien, in denen ich Mitglied war, nach kurzer Zeit wieder ausgetreten bin“, räumt sie ein. Karin Mast ist offen, ehrlich und geradeaus – aber sie wirkt damit keinesfalls streng oder streitsüchtig: In ihrer Begeisterungsfähigkeit und Menschenliebe ist sie tatsächlich sehr verwundbar. Auch deshalb ist der Kampf gegen die Windmühlen für sie stets kräftezehrend gewesen. Souveräne Distanziertheit war ihr immer unmöglich, die Erkenntnis, dass leider nicht immer das beste Argument ausschlaggebend ist, umso frustrierender. Wenn sie über die Gräuel der Massentierhaltung spricht, über die gegenwärtige Renaissance der Aufrüstung, über Genmanipulation und Klimawandel, ist ihre Frustration fast mit den Händen greifbar. Warum können wir nicht in Frieden miteinander leben und den Planeten, der uns geschenkt wurde, mit Respekt behandeln? „Auf dieser Erde geht nichts verloren. Die Materie verwandelt sich nur. Eigentlich sind wir alle Brüder und Schwestern. Es ist schade, dass wir das nicht erkennen können“, fasst die Künstlerin ihre Gefühle zusammen.

Aber wenn sie auf die nähere Zukunft blickt, kehrt das Strahlen in ihr Gesicht zurück: „Ich möchte gesund bleiben und noch ganz viel Musik machen“, antwortet sie auf die Frage nach ihren Wünschen und Zielen, bevor sie zahlreiche anstehende Projekte aufzählt. Zurzeit arbeitet sie an einem Programm mit Liedern von Chet Baker. Zur 650-Jahr-Feier ist sie an einer LP mit Schlagern des Krefelder Texters Kurt Feltz beteiligt. In Süchteln spielt sie ein Konzert mit Liedern der Knef und mit wechselnden Musikern erstellt sie derzeit ein Programm, in dem sie Lebensweisheiten aus den verschiedenen Erdteilen mit musikalischer Untermalung vorträgt. „Mein Leben soll mit Musik ausklingen“, wünscht sie sich mit einem Lächeln. Nachdem sie viele Jahre damit zugebracht hat, die sachliche Auseinandersetzung und den Streit zu suchen, könnte man die Rückkehr zur Musik als Rückzug bewerten. Aber das trifft es nicht. Karin Mast wechselt einfach nur die Tonart. Ihre Stimme wird auch weiterhin Gehör finden. Und mit Sanftheit in die Herzen ihrer Zuhörer dringen.


Sie haben einen persönlichen Krefelder Hero oder kennen jemanden, der sich ehrenamtlich engagiert und sich zum Wohle seiner Mitbürger einsetzt? Dann schicken Sie uns eine E-Mail und nominieren Sie Ihren Krefelder Hero! Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge!


Fotos: Luis Nelsen, Grafik: Mic Strogies
Artikel teilen: