Drahtig und fast spitzbübisch steht Michael Stöcker mit verschränkten Armen in einem Garten in Krefeld-Verberg. Ein Klettergurt schlackert um seine Hüften, einen Helm mit offenem Visier trägt er auf dem Kopf. Verwegen richtet er den Blick nach oben – sein Modus: Abenteuer. Als Berufskletterer und Berufstaucher hat sich der 45-Jährige gleich zwei Jobs der Extreme ausgesucht: einen in der Höhe und einen in der Tiefe. Damit ist Michael Stöcker der perfekte Kandidat für unsere monatliche Reihe „Wie wird man eigentlich …?“
Nach dem Schulabschluss absolvierte der Krefelder eine Lehre zum Schreiner und Holzmechaniker bei der Deutschen Bahn in Krefeld-Oppum. Anschließend tingelte der junge Mann durchs Berufsleben, probierte Vieles aus und landete nach einem Zwischenstopp bei der Bundeswehr letztendlich als Rettungsschwimmer bei der Stadt Krefeld. „Ich war schon immer sportlich, mochte den Kampfsport, Klettern, Unterwasser-Rugby, bin aber auch großer Fan von Alpinsport“, erzählt der zweifache Familienvater. „Irgendwann, in einer geselligen Runde beim Bier, erfuhr ich vom gewerblichen Tauchen.“ Ein Freund, Handwerker im Vermessungswesen, erzählte dem jungen Mann, dass auf Baustellen immer wieder Berufstaucher für Unterwasserarbeiten gebraucht würden. Der Job sei abwechslungsreich und die Nachfrage steigend. „,Warum nicht?’, fragte ich mich“, erinnert sich Stöcker. „Ich hing den Rettungsschwimmer an den Nagel und entschied mich kurzfristig, einzusteigen.“ Immerhin blieb sein Element das gleiche: Wasser.
Das war 1998. Zwei Jahre dauerte Stöckers Ausbildung zum Berufstaucher. Als Voraussetzung, den Job überhaupt machen zu dürfen, wurde seine handwerkliche Lehre anerkannt. Bereits in der Lehrzeit leistete Stöcker die klassischen Aufgaben eines Unterwasserhandwerkers: Ob Schweißarbeiten, Montage, Betonieren oder Schiffsarbeiten – all das, was auf einer „normalen“ Baustelle gemacht werden kann, wird auch unter Wasser gemacht. „Es war der buchstäbliche Sprung ins kalte Wasser, denn ich lernte direkt am Objekt“, beschreibt er. „Schonzeit gab es nicht.“ Stöcker reiste dafür durch ganz Deutschland, installierte zum Beispiel Lichtanlagen in Bremerhaven, rüstete Talsperren im Ruhrgebiet auf oder tauchte bis zu 50 Meter tief, um Schweißarbeiten durchzuführen.
Dabei ist das Berufstauchen ein richtiger Knochenjob. Allein sein Helm, der aussieht wie der eines Astronauten und mit dem er Druckluft bezieht, wiegt fast 13 Kilogramm. Die Weste, die er trägt, um unter Wasser die Balance steuern zu können, noch einmal fast 25 Kilogramm zusätzlich. Und weil auf seine Augen aufgrund der Dunkelheit in der Tiefe kaum Verlass ist, ist es oft der Kopf, der die Arbeit steuern muss. „Das ist schon heftig, wenn du die Schweißnaht eigentlich nicht siehst“, beschreibt er. „Du musst außerhalb des Wassers ein guter Handwerker sein, um die gleiche Leistung auch unter der Wasser- oberfläche durchführen zu können.“
Stöcker liebt, was er tut. Aber – und diese Eigenschaft begleitet den heute 45-Jährige schon seit seiner Jugend – neue Abenteuer üben eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Als der Berufstaucher 2011 an einem Offshore-Windpark arbeitete und die Bootsanleger in der Tiefe installierte, fragte sein Auftraggeber den Extremarbeiter, ob er auch jemanden kennen würde, der an der Windanlage in der Höhe arbeiten würde. Es gäbe Probleme, kurzfristig Industriekletterer zu finden. „Das war fast wie damals beim Biertrinken“, erinnert sich Stöcker und lacht erneut. „Meine Liebe zur Höhe war schon da. Ich entschied kurzfristig, mich auch hier ausbilden zu lassen.“
Durch seine alpine Erfahrung verfügte Stöcker zwar schon über einige erforderliche Grundkenntnisse, aber die Ausbildung als Industriekletterer ist bedeutend umfassender. Drei Scheine können die Höhenarbeiter beim Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken absolvieren. Jeder Schein qualifiziert sie für einen anderen Verantwortungsbereich. Stöcker entschloss sich, alle drei Level abzuschließen, um auch als Chef und Auf- sichtführender auf Baustellen wirken zu dürfen und damit seinen eigenen Betrieb, ms-seiltechnik, eröffnen zu können. Dabei lernte der Krefelder nicht nur, seine Kletterfähigkeiten zu verbessern, sondern vor allem auch, Rettungsmaßnahmen durchzuführen und Prozesse zu steuern. „Sicherheit ist ein großes Thema“, beschreibt er. „Arbeitest du zum Beispiel als leitender Kletterer in einem Kraftwerk, dann ist es an dir, die Mitarbeiter zu briefen.“ Kommt Stöcker an eine Baustelle im industriellen Bereich, versucht er deswegen, einen Ansprechpartner zu finden, der ihn über branchenspezifische Risikostellen aufklärt. Findet er diesen nicht, muss er die Prozesse mit handwerklichem Verständnis und Berufserfahrung selbst bewerten. „Ich bin weder Elektriker noch Spannungsmechaniker oder Verfahrensingenieur, muss aber oft ähnliche Aufgaben erledigen“, erklärt er und ergänzt grinsend: „Kopf einschalten ist da schon von Vorteil.“
Während Stöcker unter der Woche häufig auf Montagearbeiten in ganz Deutschland unterwegs ist, gehören die Wochenenden in der Regel seiner Heimatstadt. Vor allem samstags ist er mit seinem offenen Lieferwagen in Krefeld unterwegs, fällt Bäume oder führt Schneidearbeiten in der Höhe durch. Die wenige Zeit, die da noch bleibt, verbringt er mit seiner Frau, seinen zwei Kindern und dem Hund. „Mein Job erfordert Ausdauer und Fitness, sowohl im Kopf als auch im Körper“, sagt er. „Ich könnte mir aber nichts anderes für mich vorstellen.“