Schiedsfrau Carla Walther

Gelbe Karte für Streithähne

Feierabend auf der Couch. Die Vorfreude auf den Spätfilm steigt. Doch dann dringt trotz vorgerückter Stunde erneut laute Musik aus der Nachbarwohnung – und an Entspannung ist nicht mehr zu denken. Wochenlang wurde die Konfrontation gemieden, der Ärger runtergeschluckt, doch jetzt reicht’s. Jetzt wird man diesem Typen mal so richtig die Meinung geigen. An der Wohnungstür des Nachbarn kommt es wenig später zur verbalen Auseinandersetzung … Dieses Szenario spielt sich wahrscheinlich wöchentlich dutzendfach in Krefeld ab und bildet dann nicht selten den Ausgangs- oder aber Eskalationspunkt anhaltender Nachbarschaftsstreitigkeiten. Meist stehen ganz banale Ursachen hinter diesen Streits, die jedoch durch kommunikative Fehlleistungen, Missverständnisse, Intoleranz und gekränkte Eitelkeit zu unauflösbaren und mitunter hochexplosiven Konflikten geraten. Bevor sich die Parteien vor Gericht wiederfinden, lohnt es sich, eine der elf ehrenamtlichen Schiedspersonen Krefelds zu kontaktieren: Sie bringen die Konfliktparteien nach Antragstellung an einen Tisch und versuchen, mit ihnen gemeinsam einen rechtsgültigen Kompromiss zu erarbeiten. Eine dieser Schiedspersonen ist die pensionierte Lehrerin Carla Walther. In ihrem Bezirk Uerdingen absolviert sie bereits ihre zweite fünfjährige Amtsperiode. 

Walther hatte schon während ihrer Tätigkeit als Lehrerin eine Mediatorenausbildung absolviert und Schülerinnen und Schüler in Streitschlichtung unterwiesen. Als sie 2012 pensioniert wurde, suchte sie eine sinnvolle Beschäftigung für den Ruhestand. „Zu dieser Zeit schied der damals für Uerdingen zuständige Schiedsmann Karl Engels nach über 40 Jahren im Amt aus und seine Stelle wurde in der Zeitung ausgeschrieben“, erinnert sich Walther. „Frieden in der Nachbarschaft zu stiften, klang nach einer interessanten und sinnvollen Tätigkeit, von der ich wusste, dass sie mir liegt, also bewarb ich mich und wurde schließlich von der Bezirksvertretung gewählt.“ Auch wenn das Schiedsamt ein Ehrenamt ist, kann es nicht jeder bekleiden: Die Bewerber müssen zwischen 30 und 70 Jahren alt sein, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und ihre Qualifikation in einem Bewerbungsgespräch unter Beweis stellen, bevor sie dann vorgeschlagen und gewählt werden. Eine Schiedsperson benötigt Lebenserfahrung, rhetorisches Geschick und eine natürliche Autorität, gleichzeitig aber auch viel Empathie und soziale Kompetenz. Regelmäßig absolviert sie außerdem Fortbildungen zum Thema Mediation oder zu wichtigen Grundlagen aus dem Bürgerlichen Recht und Strafrecht.

Carla Walther bringt all diese Eigenschaften, Fähigkeiten und Qualifikationen mit. Sie spricht mit ruhiger, angenehmer, aber dennoch fester Stimme, formuliert wohlüberlegt, klar und sauber. Ihre Augen blitzen hellwach und scharfsinnig hinter ihren Brillengläsern. Sie trägt ein hellblaues Langarmshirt mit farblich dazu passendem Schal, um ihren Hals eine einfache, elegante Kette mit Anhänger. Ihr ganzes Auftreten wirkt beruhigend und sanft, aber sie ist dabei absolut standfest, weiß genau, wann sie im Gespräch die kommunikativen Zügel in die Hand nehmen und durchgreifen muss. Das ist auch nötig, denn wenn sie die Konfliktparteien in ihrem Wohnzimmer – der Amtsstube – an einen Tisch bringt, kann es schon einmal turbulent werden. „Manchmal stellt mein Mann im Anschluss fest, dass es ja in der Amtsstube wieder hoch hergegangen sei“, lacht sie. Um hochkochende Gemüter zu beruhigen, setzt sie schon mal die aus dem Sport bekannten gelben und roten Karten ein. „Das funktioniert oft sehr gut, denn jeder versteht sofort, was gemeint ist“, schmunzelt sie.

Das Schiedsamt ist eine dem Amtsgericht vorgeschaltete Institution mit der Funktion, Konflikte beizulegen, bevor es zu einer Gerichtsverhandlung kommt, und sie kann von jedem Bürger in Anspruch genommen werden. In Fällen des Nachbarschaftsstreits oder bei Beleidigung muss das Schiedsamt eingeschaltet werden. Wer die gütliche Einigung mit einem Nachbarn sucht oder in einen anderen Konflikt verwickelt ist, etwa mit seinem Vermieter, meldet sich bei seiner zuständigen Schiedsperson, die die Konfliktparteien dann zu einem Schlichtungsgespräch einlädt. Die Einladung ist bindend und muss wahrgenommen werden, sonst droht in Strafsachen ein Ordnungsgeld. Ziel ist es in der Regel, einen Kompromiss zu erarbeiten, der dann in einem von beiden Parteien zu unterzeichnenden, rechtskräftigen Vertrag festgehalten wird. Der Vertrag ist 30 Jahre lang gültig und seine Nichteinhaltung kann juristisch geahndet werden. Die anfallenden Kosten für die Vermittlung durch die Schiedsperson belaufen sich in der Regel, je nach Aufwand, auf 40 bis 70 Euro, die – meist ein Bestandteil des Vertrags – paritätisch auf beide Seiten aufgeteilt werden können. Bevor Walther die Streithähne zu sich einlädt, versucht sie, beide in einem Einzelgespräch kennenzulernen, um die Vorgeschichte und den Kern des Konflikts besser zu verstehen. „Bei den meisten Fällen handelt es sich tatsächlich um Nachbarschaftsstreits, bei denen es um Lärm geht, aber oft auch um Grundstücksbebauung oder Bepflanzung, die über die Grundstücksgrenze hinaus wuchert“, fasst sie zusammen. „Manche dieser Konflikte brodeln schon seit langer Zeit und befinden sich kurz vor der Eskalation. Die Fronten sind dann schon so verhärtet, dass manche Parteien ihren Anwalt mitbringen. Da ist es dann mitunter kaum noch möglich zu vermitteln und alles läuft auf eine Gerichtsverhandlung hinaus. Leider.“ 

Aber oft gibt es auch eine echte Chance, Frieden zu stiften. „Ein Grundproblem liegt darin, dass die Streitenden nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander sprechen. Die eine Partei versteht überhaupt nicht, woher der Ärger der anderen rührt. Und die fühlt sich durch diese vermeintliche Ignoranz noch weiter provoziert. Bringt man beide an einen Tisch und lässt sie die Sache aus ihrer persönlichen Sicht schildern, kann der entstehende Perspektivwechsel bereits ein erster Schritt zur Versöhnung sein“, erläutert Walther und erinnert sich an ein Beispiel: „In einer Wohnung war das Laminat schlecht verlegt und jeder Schritt dröhnte in der Wohnung darunter wie Donnerhall. Erst während der Verhandlung bei mir begriffen die Verursacher, die sich ja in ihrer Wohnung ganz normal verhielten, welchem Leidensdruck die Nachbarn ausgesetzt waren, die rund um die Uhr mit dem Lärm konfrontiert waren. Doch leider ist im Streit an der Wohnungstür, wenn die Nerven blank liegen und mit der Polizei gedroht wird, kein Platz mehr für eine solche Verständigung.“ Walther betont, dass sie in den Sitzungen keine unparteiische, sondern eine überparteiliche Rolle einnimmt: Sie signalisiert Verständnis für die Positionen beider Parteien gleichermaßen, schließlich ist ihr Ziel der Kompromiss, mit dem beide leben können. „Ich muss die Ruhe bewahren, gut zuhören, zur Sachlichkeit mahnen, wenn es beleidigend wird, die richtigen Fragen stellen oder auch mal eine überraschende Feststellung treffen“, beschreibt sie ihre Rolle. „Einmal sprach ein Mann über die Beleidigungen, die er über sich hatte ergehen lassen müssen. Als er mit den Worten rang, setzte ich für ihn fort: ,Das hat sie enorm gekränkt, nicht wahr?‘ Das war ein Augenöffner, ein Moment der Klarheit. Oft geht es darum, die Dinge konkret zu benennen, um beim anderen Verständnis zu erzielen.“ 

Wenn sie spürt, dass sie den Punkt erreicht, an dem sich eine Einigung zwischen den Streitenden anbahnt, beginnt sie, das Protokoll aufzusetzen, den Vertrag, der dann später von beiden unterzeichnet werden muss. Er könnte zum Beispiel regeln, dass an einem bestimmten Tag etwas länger Musik gehört werden darf. Aber nicht immer bedeutet dieser Kompromiss das Happy End, wie die Schiedsfrau weiß: „Oft ahne ich, dass der Frieden nur von kurzer Dauer sein wird. Viele wollen gar keine echte Lösung, sie klammern sich förmlich an ihren Konflikt. Wie der Mann, der von seinem Nachbarn, den er offensichtlich nicht leiden konnte, verlangte, die Hecke zwischen ihren Grundstücken radikal zurückzuschneiden. Als ich ihn fragte, ob ihm klar sei, dass er diese ungeliebte Person dann ja ständig vor Augen hätte, stutzte er nur.“ Carla Walther ist mit Engagement bei der Sache, aber es gelingt ihr auch, die nötige Distanz zu halten: Sie weiß, dass sie nicht mehr tun kann, als zu versuchen, mit den Parteien einen Kompromiss auszuarbeiten. Ob das angenommen wird, hängt von den Streitenden ab. Angesichts der Fälle himmelschreiender Unvernunft und Verbohrtheit, die sie schon miterlebt hat, kann sie nur lächelnd den Kopf schütteln. Um den Schlaf bringt sie das aber nicht. „Manchmal muss ich mich nach einer anstrengenden Verhandlung in meinen Garten zurückziehen oder ganz schnell radfahren, um durchzuatmen,“ gibt sie zu. 

Nicht immer treffen sich Nachbarn in Walthers Amtsstube. In einem Fall vermittelte sie zwischen zwei Müttern, deren Kinder gemeinsam in die KiTa gingen. Es bestand der Verdacht der Kindesmisshandlung, keine Kleinigkeit, der Tatbestand der Verleumdung stand im Raum. „Aber die beiden Mütter führten ein sehr respektvolles Gespräch, in dem klar wurde, dass allein die Sorge um das Wohl des Kindes hinter dem Verdacht stand“, berichtet Walther. Dieser gegenseitige Respekt und die Empathie, die nötig sind, um sich in die Rolle des anderen hineinzuversetzen und ihn zu verstehen, sind heute vielen abhanden gekommen, wie die ehemalige Lehrerin mit Bedauern zur Kenntnis nimmt. „Die Fälle sind in den fast zehn Jahren, in denen ich mein Amt ausfülle, die gleichen geblieben. Aber ich merke, dass der Ton schärfer geworden ist.“ Im vergangenen Corona-Jahr verhandelte die Uerdingerin, die auch für Gellep und Stratum zuständig ist, auch in der Grundschule und in den Räumen des Heimatbundes Uerdingen – und hatte nicht ganz so viel zu tun wie zu Beginn ihrer Amtszeit: Die Zahl der Fälle halbierte sich von rund 20 auf zehn, jeweils mit einem zeitlichen Aufwand von acht bis zehn Stunden. „Aber wer weiß, was sich während der Pandemie alles aufgestaut hat“, lacht sie. „Die Menschen saßen in ihren Wohnungen fest und hatten wenig Kontakt mit Freunden oder Abwechslung außerhalb der eigenen vier Wände. Meine Kollegen und ich sind sehr gespannt, was da auf uns zukommt.“ Wenn auf etwas Verlass ist, dann sicher auf die Streitlust und Unvernunft der Menschen. Machen Sie doch einfach den Unterschied: Wenn die Nachbarn mal wieder Lärm schlagen, fahren Sie nicht aus der Haut, sondern übernehmen Sie die Rolle der Vernunft. Atmen Sie tief durch, klingeln Sie bei Ihrem Nachbarn und fragen Sie ganz besonnen, ob es nicht möglich wäre, die Lautstärke zu drosseln. Freundlichkeit kann Wunder wirken. Niemand weiß das besser als Carla Walther.

Die Erfolgsquote der Schiedsverhandlungen im Nachbarrecht liegt bundesweit bei 60 Prozent.

Wer in Krefeld die Hilfe einer Schiedsperson in Anspruch nehmen möchte, findet auf der Website www.krefeld.de/de/recht/schiedsaemter Namen und Kontaktdaten seiner Bezirksvertreter. 

Schiedsamt Uerdingen
Carla Walther
Tel.: 02151/475266 
E-Mail: carla.walther@schiedsfrau.de

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