Crähenfelder Custom Cycles

Verrückt nach schweren Bikes

Das Reich der Crähenfelder Custom Bikes: Hinterhof-Werkstatt, Fahrradladen und Underground-Club in einem.

Krefeld hat zwar viel zu bieten, aber über eine Strandpromenade verfügt die Stadt leider nicht. Doch auch hier im Binnenland haben die Fans der sogenannten Beach Cruiser viel Spaß an ihren Hingucker-Gefährten. Die „Cruiser Bikes“, oder Cruiser-Fahrräder, fallen durch ihr Retro-Design und die bequeme Sitzhaltung auf. Ihren Ursprung haben die Räder – einmal mehr – in den USA. Nicht von ungefähr erinnern sie an legendäre Motorräder aus den Vereinigten Staaten. In Krefeld hat sich in den vergangenen Jahren eine kleine, aber sehr lebendige Community entwickelt. In einem Keller nahe der Innenstadt wird regelmäßig mit Herzblut geschraubt.

Upcycling: aus alten, abgelegten Materialien entstehen echte Fahrrad-Schätze.

Der Treffpunkt der Cruiser-Fans ist gar nicht so leicht zu finden. Die Hausnummer am Bleichpfad scheint nicht zu existieren. Auch Nachfragen im Umfeld hilft zunächst nicht weiter – bis zur Erwähnung der Schrauber-Jungs. Das sorgt für ein großes Hallo, denn sie sind in der Nachbarschaft bekannt und offenbar auch wohlgelitten. Schnell und freundlich wird der Weg zu ihnen erklärt – und kurz darauf steht man verdutzt vor einem typischen Krefelder Altbau mit Stuckverzierung in der Nähe der Rheinstraße. Wo sollen denn hier die voluminösen Bikes entstehen? Aber auch dieses Rätsel klärt sich schnell auf.

Durch die offen stehende Haustür geht es ein paar Stufen hinab in den Keller. Früher soll hier mal ein Fotostudio gewesen sein, heißt es. Davon ist nichts mehr zu sehen. Dafür liegt hinter einer weiteren Tür das Reich der Crähenfelder Custom Cycles. Und diese Räume haben es in sich: Sie wirken wie eine skurrile, aber durchaus sympathische Mischung aus Hinterhof-Werkstatt, Fahrradladen, Underground-Club und Partykeller. Die Wände sind mit grellbunten Bildern im Comic-Stil verziert. Ein großer Spiegel mit Kranichen, der vermutlich aus einem aufgegebenen China-Restaurant stammt, reflektiert die Beleuchtung. In einer Ecke steht ein Computer, auf dessen Bildschirm gerade ein Hip-Hop-Video läuft.

In diesen Räumen läuft seit rund zehn Jahren ein ebenso ungewöhnliches wie erfolgreiches Sozialprojekt der „Griechischen Brüderschaft 1974″ unter Leitung ihres Präsidenten Iraklis Karousiotis. „Herkules“, wie er auch genannt wird, hatte 2021 für Furore gesorgt: Der Krefelder mit griechischen Wurzeln machte sich mit einem extra für ihn gefertigten Bike auf den Weg von der Fabrik Heeder bis zum Olymp – tatsächlich schaffte er die mehr als 2.000 Kilometer lange Reise, mit der er ein Zeichen für den Klimaschutz setzen wollte.

Alexander Enke, Eleftherios Moldovanis und Marcin Motyl (kniend).

Karousiotis, heute Mitte 60, unterstützt die Cruiser-Szene in Krefeld von Anfang an, so wie die gesamte „Griechische Brüderschaft 1974“. Auch Generalsekretär Eleftherios Moldovanis schaut regelmäßig bei den Cruisern vorbei. „Sie sind eine tolle Gemeinschaft, die wir gerne fördern“, sagt er. Dazu gehört unter anderem die Bereitstellung der Kellerräume. Anfang Juni fand eine 10-Jahres-Feier mit einem kleinen Cruiser-Festival auf dem Außenareal neben der Werkstatt statt: Die Fahrräder wurden ausgestellt und man kam bei Bratwurst und Souvlaki zusammen.

Im Keller dreht jetzt Alexander Enke die Musik ein bisschen leiser, damit die Unterhaltung einfacher wird. Enke ist 44 Jahre alt, gelernter Kfz-Lackierer – und dem Cruiser-Bike-Virus erlegen. Seit mehreren Jahren kommt er regelmäßig aus Mülheim in den Krefelder Keller. „Früher habe ich in diesem Haus gewohnt, so habe ich Marcin kennengelernt.“ Gemeint ist Marcin Motyl, ebenfalls 44 Jahre alt. Er ist – zusammen mit „Herkules“ – sozusagen Gründer der Crähenfelder Custom Cycles. Sein erstes Rad dieser Art baute er noch in seiner alten Heimat Polen und brachte es mit an den Niederrhein. In Krefeld sollten dann noch viele weitere Räder entstehen. „Wir betreiben Upcyling: Aus alten Materialien, die nicht mehr gebraucht werden, machen wir etwas völlig Neues“, sagt Motyl, dem im vergangenen Mai durch den Präsidenten der Brüderschaft ein „Meisterbrief“ für sein handwerkliches Können überreicht wurde.

Generalsekretär Eleftherios Moldovanis

Einige Exemplare, teils fertig, teils im Anfangsstadium, befinden sich im Keller. Ihr Kennzeichen ist der massive, geschwungene Rahmen aus Stahl. Breite Lenker und stark gepolsterte Sättel ermöglichen eine aufrechte Sitzposition mit den typisch nach vorne ausgestreck-ten Armen – „Easy Rider“ lässt grüßen. „Bis zu 40 Kilo bringen unsere Räder auf die Waage“, sagt Enke. Mit E-Antrieb, auch das gibt es, sind es noch ein paar Kilo mehr.

Zwischen sieben und zehn aktive Schrauber frönen ihrer Leidenschaft in Krefeld. Drei bis fünf Stunden verbringen sie jeweils in der Werkstatt, um zu schneiden, zu schleifen und zu formen. Alles ist handgemacht, eben „Custom Cycles“. Es ist ein aufwändiges Hobby. Bis zu anderthalb Jahre kann es dauern, bis ein Hingucker-Bike fertig auf seinen dicken Reifen steht.

Der Community geht es nicht ums Geldverdienen, betont Motyl. „Wir verkaufen unsere Räder nicht, sondern cruisen selbst mit ihnen durch die Gegend.“ Im vergangenen Jahr haben sie vier Räder auf einen Auto-Hänger geladen und sind mit einer kleinen Gruppe nach Polen gefahren. „Das war ein toller Trip, die Leute dort waren total begeistert“, sagt Enke.

Fotos: Felix Burandt
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