Die Traumfabrik Hollywood lässt unsere kühnsten Fantasien auf der Leinwand für zwei Stunden Wirklichkeit werden. Visionäre Erzähler halten in farbenfrohen, übergroßen und greifbaren Bildern für die Ewigkeit fest, was viele sich kaum vorstellen können. Einer dieser Visionäre ist der Krefelder Harald Belker: Der studierte Automobildesigner erhielt vor knapp 25 Jahren die einmalige Gelegenheit, das Batmobil zu gestalten. Seitdem ist er der Mann, wenn es in Hollywood gilt, futuristische Rennwagen, Helikopter und Raumschiffe, Rüstungen oder technologische Gadgets zu entwerfen.
„Ich hatte eigentlich vor, dieser Tage nach Krefeld zu kommen, denn meine Mutter feiert ihren 80. Geburtstag“, erklärt Belker gut gelaunt am anderen Ende der Leitung nach Kalifornien. „Wegen Corona musste ich das leider absagen, aber schreibt unbedingt in den Artikel, dass ich ihr herzlich gratuliere, dann freut sie sich.“ Er telefoniere noch regelmäßig mit seinen Eltern, ein- bis zweimal in der Woche, aber persönlich war er vor drei Jahren zum letzten Mal hier. Man kann es ihm kaum verübeln: Belker lebt unweit der Metropole Los Angeles nur zehn Minuten von der Pazifikküste entfernt, wo der „Indian Summer“ das Thermometer aktuell noch einmal auf bis zu 40 Grad Celsius steigen lässt. Fast 40 Jahre ist es her, dass er den Sprung von Krefeld über den großen Teich wagte. Er hat ihn nie bereut. Mehr noch, er hat in den USA gefunden, wonach er immer gesucht hat.
Alles beginnt 1983 mit dem Tipp eines Freundes, sich auf ein Tennis-Stipendium zu bewerben. „Ich spielte damals in der ersten Mannschaft von Blau-Weiß“, erinnert sich Belker. „Ich bin heute noch erstaunt darüber, wie einfach das alles ging: Ich erhielt den Zuschlag, ohne dass die mich auch nur einmal hatten spielen sehen.“ Im US-Bundesstaat Georgia spielt Belker fortan Tennis in einem bunt gemischten Collegeteam und studiert nebenbei Engineering mit Schwerpunkt Design. Nach Abschluss des Studiums kommt der Impuls für den weiteren Karriereweg erneut von einem Bekannten aus Deutschland: „Mein Freund Rhett Grammatik schickte mir eine Ausgabe der ,Auto, Motor, Sport‘ mit einem Artikel über Automobildesign-Schulen in Pforzheim, London, Detroit und Los Angeles. Pforzheim kam nicht in Frage“, lacht Belker, „und weil ich Lust hatte, in den kalifornischen Lifestyle reinzuschnuppern, bewarb ich mich in L.A.“ Wenige Wochen später trifft die Zusage zur Aufnahme am Art Center College of Design in Krefeld ein und er begibt sich zum zweiten Mal auf die Reise in die USA.
Belker hat keine Mühe, das Telefoninterview auf Deutsch zu führen, aber der amerikanische Akzent hat sich ebenso unverkennbar in seine Muttersprache geschlichen wie der American Way of Life seine Persönlichkeit geprägt hat. Er geht gleich zu Beginn entspannt und selbstverständlich zum „Du“ über, nimmt sich Zeit, plaudert locker und entspannt, gibt selbstbewusst, aber mit sympathischem Understatement Antworten auf die gestellten Fragen. Kalifornien hat es ihm ohne Zweifel angetan: Wind- und Kitesurfen gehören zu seinen Hobbys, auch wenn er zugibt, den nahegelegenen Strand eigentlich nur aufzusuchen, wenn Besuch aus Deutschland da ist. „Ich lebe hier, ich gehe nicht an den Strand“, schmunzelt er. Belker hat ein Zuhause weit abseits seiner ursprünglichen Heimat gefunden. Der große Kulturschock seines Lebens ist dann auch nicht der Umzug nach Georgia im Alter von 20 Jahren, sondern sein kurzes Gastspiel im Schwabenländle, wo er Anfang der Neunzigerjahre nach dem Zweitstudium kurzzeitig für Porsche arbeitet: „Als gebürtiger Rheinländer bin ich mit den Schwaben einfach nicht warm geworden“, gesteht er. Zum Glück gibt es zeitgleich noch ein Angebot der Mercedes-Niederlassung in Kalifornien, sodass er das schwäbische Missverständnis schnell wieder beenden kann. Für den Automobilgiganten designt er unter anderem das „Smart Car“, doch er merkt nach einigen Jahren, dass die Karriere in einem Großkonzern nichts für ihn ist. „Ich hätte zurück nach Deutschland und ins Management gehen müssen, um bei Mercedes weiterzukommen“, fasst er seinen Entscheidungsprozess zusammen, „aber ich wollte in den USA bleiben und einfach nur designen.“
In die Findungsphase, die mit kleineren Aufträgen gefüllt wird, platzt erneut die Nachricht eines Studienfreundes, der mittlerweile für eine Spezialeffekte-Firma tätig ist. „Er hatte gehört, dass die Produzenten des neuen Batman-Films nach einem Automobildesigner suchten, weil der Vorgänger bereits für ein anderes Projekt gebucht war. Also habe ich kurzerhand eine Mappe zusammengestellt und mich vorgestellt.“ Wenig später erhält Belker einen Anruf: „Es war die Produzentin und sie sagte nur: ,Am Montag fängst du an!‘“ Der Wahlkalifornier bezeichnet diese Wendung zwar adäquat als „unfassbare Chance“, aber er redet ganz unaufgeregt darüber. Natürlich ist seit diesem lebensverändernden Telefonat mittlerweile ein Vierteljahrhundert vergangen und Belker längst ein alter Hase im Business, trotzdem scheint er immer noch nicht so recht in Worte fassen zu können, was damals eigentlich passierte. Vielleicht liegt es auch daran, dass er sich in seinen Designträumen wohler fühlt als in der schnöden Realität.
An der Arbeit für Hollywood schätzt er dann auch die Möglichkeit, „rumspinnen“, dem inneren Kind freien Lauf lassen zu können, völlig frei von Kriterien wie Machbarkeit oder Wirtschaftlichkeit. „Beim Batmobil gab es natürlich einige Anforderungen, die ich erfüllen musste“, erinnert er sich. „So wünschten sich die Produktionsdesigner eine an den Autos der Fünfzigerjahre angelehnte Form, aber mehr als solche Vorgaben sind die strengen Zeitpläne die Herausforderung. Man hat selten die Zeit, sich allen Details zu widmen, die einem wichtig sind, und muss oft auf Dinge verzichten oder andere umsetzen, die einem selbst nicht gefallen: Von meinem großen Spielzeugmodell des Batmobils habe ich die typischen Fledermausflügel entfernt.“ Mit dem Engagement für „Batman & Robin“ – über den der Familienvater diplomatisch sagt, er sei „schwer anschaubar“ – ist die Tür nach Hollywood weit offen. Bis heute arbeitet er an zahlreichen namhaften Filmen mit, darunter Titel wie „Edge of Tomorrow“ mit Tom Cruise, „Spider-Man“, Spielbergs „Minority Report“ oder das aktuelle Projekt von Roland Emmerich. Er kreiert Hightech-Waffenanzüge, Helikopter, futuristische Autos und Rennwagen, Raumkapseln oder die kleinen Kürbisbomben, mit denen der Green Goblin seinen Erzfeind Spider-Man in Bedrängnis bringt. Diese Dinge für ein Millionenpublikum entwerfen zu dürfen und dann auch noch zu sehen, wie sie Realität werden, beschreibt Belker mit augenzwinkerndem Understatement als „schon ganz cool“, aber noch mehr fasziniert es ihn, wenn ihm die Fiktion die Möglichkeit bietet, ein Stück Zukunft zu erdenken.
Das in dieser Hinsicht spannendste Projekt ist wahrscheinlich Spielbergs düsterer Science-Fiction-Film „Minority Report“, für den Belker ein Fahrzeug designen darf, das hinsichtlich des Komforts, Antriebs und der Sicherheitssysteme den Anforderungen des Jahres 2054 entspricht. Der Dreh beschert dem Krefelder auch eine Anekdote, die er immer wieder gern erzählt: „Es gab eine Szene, bei der Tom Cruise mit dem Wagen in seine Wohnung fahren und dort aussteigen sollte. Es war vorgesehen, dass der Autositz sich dafür dreht. Aber am Set funktionierte der Drehmechanismus nicht. Weil ich der einzige Anwesende war, der sich mit dem Fahrzeug auskannte, wurde ich zur Hilfe gerufen – obwohl ich mir der Konstruktion des Fahrzeugs ja eigentlich gar nichts zu tun hatte. Ich fand recht schnell heraus, dass sich der Sitz nur drehte, solange niemand auf ihm saß. Tom Cruise – ein netter Kerl übrigens – nahm es sportlich: Er sagte, er würde improvisieren, den Sitz selbst drehen und es so aussehen lassen, als sei ein Automatismus am Werk. Aber Spielberg war überhaupt nicht glücklich: Er ließ vor versammelter Mannschaft eine fünfminütige Schimpftirade auf mich niederprasseln. Ich stand sprachlos da und ließ es geschehen. Ich weiß gar nicht mehr, was er sagte, und später war das auch wieder vergessen, aber das ist meine große Spielberg-Geschichte.“ Belker weiß die Anekdote genau richtig einzuordnen: Welcher Krefelder kann schon von sich behaupten, jemals vom großen Hollywood-Regisseur zusammengefaltet worden zu sein. Dass ihn der Zorn völlig unberechtigt traf, macht die Geschichte eigentlich nur noch besser. Als er die Geschichte erzählt, kommt der Fan durch, der immer noch nicht ganz fassen kann, was er erreicht hat.
Doch angesichts der großen Zahl von Erfolgen, Auftraggebern, Kunden und Projekten hat der Mann, der in Krefeld aufwuchs, auch allen Grund, mit einem Lachen auf diese Geschichte zurückzublicken: Neben der Arbeit für die Automobil- und die Filmbranche kreiert er Sonnenbrillen für Kaenon, Spielzeugrennautos für das Robotik-Start-up Anki oder auch Möbelstücke, vor allem Stühle und Sessel – von denen einige prämiert werden. „Mit meiner Größe von zwei Metern habe ich immer Probleme, bequem zu sitzen“, erklärt er die Motivation. „In keines der von mir entworfenen Autos habe ich selbst reingepasst.“ Dass der Trend zu größeren Autos geht, begrüßt er, dennoch hängt sein Herz an schnellen Flitzern und futuristischen Rennwagen, denen er auch sein Buch „Pulse“ gewidmet hat. „Gutes Autodesign ist, wenn ein Wagen schon im stehenden Zustand so aussieht, als würde er gleich losfahren“, beschreibt er seine Philosophie. „Die größte Schwierigkeit sind immer die Räder: Im Prinzip entwirft man eine homogene Form, in die man dann hässliche Aussparungen schneidet und Reifen hineinsteckt. Man muss es hinbekommen, diese Aussparungen organisch in den Gesamtentwurf zu integrieren“, beschreibt er eine Besonderheit des Automobildesigns. „Ohne die Arbeit von Produktdesignern schmälern zu wollen: Ich glaube, wenn man es als Designer schafft, ein Auto zu entwerfen, kann man auch alles andere entwickeln. Ein Auto ist ein enorm komplexer Gegenstand, der den Designer schon aufgrund seiner Größe vor eine solche Vielzahl von Schwierigkeiten stellt, dass sich andere Produkte nur schwer damit vergleichen lassen“, sagt Belker. Hollywood profitiert nicht nur von seiner Kreativität, sondern auch davon, dass er weiß, wie man Autos entwirft, die tatsächlich fahren.
Ein noch größeres Designprojekt könnte vielleicht die Planung einer Stadt sein – zum Beispiel der Entwurf eines zukünftigen Krefelds, aber Belker lässt sich nicht locken. „Davon lasse ich lieber die Hände“, wehr er ab. Den letzten Besuch hier empfand er angesichts der bekannten Bausünden als eher ernüchternd, vor allem im Vergleich mit der Stadt, die er vor 40 Jahren verließ. Aber es ist ja nicht so, als gäbe es in seiner kalifornischen Heimat keine Probleme: „Der Verkehr auf den Stadtautobahnen von L.A. ist mörderisch und die vielen Menschen können unmöglich alle auf dem Weg zu einem Interview sein“, lacht er. „Autofahren macht ja nur Spaß, wenn man dabei die Freiheit genießen kann, aber das ist angesichts der Zustände auf den Straßen längst nicht mehr möglich.“ Schon länger denkt er darüber nach, wie die Zukunft des Personenverkehrs aussehen könnte: „Meiner Meinung nach kommt man in den Metropolen um die Technologie des automatisierten Fahrens kaum noch herum, wenn man weiterhin Sicherheit und fließenden Verkehr gewährleisten möchte. Aber daran knüpfen sich viele andere Fragen: Was passiert etwa mit Ampelanlagen, die hinfällig werden, wenn Autos irgendwann von allein fahren? Wir müssen Städte künftig ganz anders organisieren.“ Wer weiß, woher die entscheidende Idee kommen mag? Selbst Belker kann die Quelle seiner Inspirationen nach vielen Jahrzehnten der Designarbeit immer noch nicht genau festmachen. „Es beginnt meistens mit einer spontanen, zufälligen Eingebung“, rätselt er selbst. Irgendwann hat er nach etlichen Grobskizzen den Entwurf, mit dem er weiterarbeiten kann. Die Vision schält sich aus ihm heraus wie die Erinnerung an einen Traum, den man in den frühen Morgenstunden noch vergessen zu haben glaubt. Ein Traum von schwarzen Rennautos mit Flügeln und brennenden Reifen.