
„Dreck ist nur Materie am falschen Platz“, sagt Schauspieler Bjarne Mädel als Tatortreiniger Schotty in der 2018 eingestellten Kultserie. Oder „Meine Arbeit fängt da an, wo sich andere übergeben“. Muss man wirklich täglich literweise Blut von Mordschauplätzen entfernen? Oder sieht der berufliche Alltag eines Tatortreinigers ganz anders aus? Christian Hampel hat eine anspruchsvolle Profession gewählt, hinter der viel mehr steckt als Blut, Fäkalien, üble Gerüche und Einsamkeit. Der staatlich geprüfte Desinfektor säubert Orte von Verbrechen oder Todesfällen und entrümpelt zugemüllte Messie-Wohnungen. Das erfordert technisches Wissen, Empathie und eine hohe psychische Belastbarkeit. Und macht offensichtlich sehr zufrieden.
Ein Spoiler vorab: Trotz des morbiden Themas wird der Humor heute nicht auf der Strecke bleiben. Christian Hampel empfängt uns an diesem Freitag so lässig wie der Inhaber einer familiären Marketingagentur. Mitten im Besprechungsraum steht ein Kickertisch, es gibt Mineralwasser aus der großen Flasche, und er trägt dunkle Jeans und Kapuzenpulli wie sein ebenfalls anwesender Bruder Robert. Nur ihre Augen verraten, dass beide in ihrem Berufsleben schon deutlich mehr in menschliche Abgründe geblickt haben als vielleicht ein Bankmanager oder eine Tanzlehrerin. Doch sie haben Wege gefunden, mit Tod und Ekel umzugehen, erklärt Firmengründer Christian Hampel mit einer Stimme, die große Ruhe ausstrahlt: „Ich habe eine Frau und vier Kinder, zu Hause tobt das pralle Leben. Da vergesse ich alles, was ich tagsüber erlebt habe!“ Dass er abends gut einschlafen könne, führt der 40-Jährige vor allem auf seine mentale Stärke zurück, die es neben Sorgfalt und Fingerspitzengefühl für diesen herausfordernden Beruf brauche. „Man sollte auch seine Sinne im Griff haben und einen festen Magen besitzen“, wirft der drei Jahre ältere Bruder lächelnd ein. „Wir reinigen und desinfizieren Orte, an denen Menschen verstorben sind. Manche Leichen werden wochenlang nicht entdeckt. Auch sogenannte Messie-Wohnungen oder Fäkaliennotfälle gehören zu unseren Aufgaben. Dementsprechend sehen, riechen und fühlen wir täglich Dinge, die starke körperliche Reaktionen hervorrufen können.“ Blut, Körperfett, verflüssigte Organe, Urin, Kot, Reste von Kopfhaut und Maden zählt er als Beispiele auf, ohne mit der Wimper zu zucken. Und macht damit ziemlich deutlich, dass nicht jede oder jeder für den Beruf des Tatortreinigers gemacht ist.

Beide Männer haben ursprünglich einen anderen handwerklichen Beruf ausgeübt, bevor es sie eher zufällig ins Feld der angesagten „Crime Scene Cleaner“ verschlug, wie es im englischsprachigen Raum heißt. „Tatsächlich bin ich gelernter Metzger“, offenbart Christian augenzwinkernd, und wir müssen angesichts der spontanen Bilder im Kopf alle lachen. Nach der Bundeswehrzeit habe ihm ein Nachbar erzählt, dass Bestatter gesucht würden. Ob er nicht Lust dazu habe? Der gebürtige Oppelner lässt sich übergangsweise auf die Herausforderung ein, er sattelt beruflich um, verliert über die Jahre die Berührungsängste mit dem Thema Tod und stellt sich bei der Abholung von Leichen immer wieder die gleichen Fragen: „Wer reinigt eigentlich den Leichenfundort?“, „Wer beseitigt alle Spuren und macht die Wohnung wieder bewohnbar?“ und „Wer desinfiziert die Räume anschließend?“ Bereits damals wird ihm bewusst, dass Angehörige wie Immobilienbesitzer häufig mit der Gesamtsituation überfordert sind. Doch er macht noch einen kurzen Abstecher in den Vertrieb, was überhaupt nicht sein Ding ist, bis er im Jahr 2011 die Idee hat: „Ich mache mich in dieser Nische selbstständig.“ Zupacken kann er schließlich, zuhören auch – also liest er sich in die Materie ein und bildet sich zum staatlich geprüften Desinfektor und Hygienebeauftragten weiter. Hier lernt er alles über den Umgang mit Desinfektionsmitteln und Chemikalien, über Hygienevorschriften und Schutzmaßnahmen und über Viren, Schädlinge und Bakterien. Zwei Jahre später gründet er in Düsseldorf das Unternehmen „Spezialreinigung NRW“ und fokussiert sich auf Leichenfundortreinigung, Desinfektion und Geruchsneutralisation.
„Wir sind viel mehr als eine Putzfirma“, blickt Hampel selbstbewusst auf seinen Beruf, in dem er und ein kompetentes wie diskretes Team Menschen in Ausnahmesituationen helfen. „Wegwischen reicht nicht, wenn sich Mikroorganismen tief in die Materie hineingegraben haben. Man braucht Fachwissen und einen Plan, in welcher Reihenfolge was und wie gereinigt wird.“ Desinfektionsmittel, ein Ozongerät, das die Luft reinigt, und Schädlings- beziehungsweise Seuchenbekämpfungsmittel sind unverzichtbar für die Tatortreiniger, um die hartnäckigen Spuren des Todes zu beseitigen. Möbelstücke, Tapeten, Böden und andere Dinge, die verunreinigt wurden, müssen in speziellen Kunststoffsäcken oder -boxen entsorgt werden. „Insofern muss man auch körperlich fit sein“, bekräftigt Christian Hampel, der sich mehr Frauen für seine Mannschaft wünscht, wenn sie denn stark genug sind. Am Ende jedes Auftrags stehe eine gründliche Endkontrolle durch ein zweites Teammitglied – das erklärte Ziel: „Der Einsatzort soll keine Anzeichen oder Rückschlüsse auf den Vorfall aufweisen, absolut geruchsfrei und hygienisch sein. Es reicht uns nicht, wenn der Kunde bei der Übergabe nur ‚ist okay‘ statt ‚wow‘ antwortet, er muss richtig begeistert sein!“

Wie tief die Tatortreiniger in das Leben der Menschen eintauchen, wird auch beim Rundgang mit Vorarbeiter Önder Kormaz durch die Räumlichkeiten deutlich. In einer Vitrine sind diverse Erinnerungsstücke versammelt: Kleine Figuren aus Bronze, eine antike Tischuhr, Filmrollen und sogar eine echte Übungshandgranate der Bundeswehr sind Zeugen teils skurriler Erlebnisse. „Wenn wir eine überfüllte Messie-Wohnung entrümpeln, finden wir unter den Müllbergen oft persönliche Fotos und Briefe. Da müssen wir emotional schon auf Distanz gehen“, berichtet der erfahrene Tatortreiniger und angehende Desinfektor aus dem Berufsalltag. Sein Chef beschreibt ihn nicht nur als besonders peniblen Mitarbeiter von der Ablaufplanung bis zur Qualitätskontrolle – Kormaz schrecke auch nicht vor besonders schweren Fällen zurück. „Hinter unseren Aufträgen können sich psychische Krankheiten, Schicksalsschläge und Einsamkeit verbergen. Wir haben gelernt, sensibel mit den Angehörigen umzugehen.“ Umso humorvoller klingen die Spitznamen, mit denen das erfahrene Team jeden einzelnen Auftrag bezeichnet: Im Geisterhaus habe beispielsweise eine gruselige Atmosphäre geherrscht, weil dort riesige Statuen im Dunkeln herumgestanden hätten, erinnert sich Christian. Eine Katzenfrau hielt mehr als 30 Stubentiger in ihrem Apartment, während ein Schlangenmann plötzlich verschwand und seine Tiere einfach verhungern ließ. Dass die Küche der schlimmste Ort in einer Wohnung sein kann, weiß Robert aus eigener Erfahrung: „Im Kühlschrank lagen abgelaufene Eier aus dem Jahr 1998.“ Diesen Geruch mag man sich nicht wirklich vorstellen. Das Wochenende startet für die Tatortreiniger mit der obligatorischen Rufbereitschaft für Notfälle im öffentlichen Raum. Wenn Blutspuren in Einkaufszentren, an Bahnhöfen oder in Mehrfamilienhäusern zu beseitigen sind, rücken die Experten im weißen Schutzanzug aus. Wir genießen den Feierabend lieber entspannt bei einer Folge „Bones – Die Knochenjägerin“. Und hoffen, dass wir die von Entomologe Jack Hodgins so geliebten Maden nie wirklich zu sehen bekommen.
Wer Interesse hat, mit einem familiären Team in diesem Beruf zu arbeiten, kann sich gern hier melden: spezialreinigung.de

Fotos: Lucas Coersten