„die Welt ist so komplex geworden“, heißt es immer wieder. Mit dem Internet hat sich die Art und Weise, wie wir leben, in den letzten 25 Jahren stark verändert. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR vor nunmehr fast 35 Jahren ist die klare Einteilung in West und Ost (oder gar Gut und Böse) hinfällig geworden. Veränderungen im sozialen Miteinander, wie die Emanzipationsbestrebungen vieler vor wenigen Jahrenzehnten noch völlig marginalisierter oder gar kriminalisierter Gruppen, der demografische Wandel, die Herausforderungen des Klimawandels: Das sind alles Phänomene, die uns mehr oder wengier stark beschäftigen, die alte Gewohnheiten hinfällig machen und uns das Gefühl geben, nicht mehr Schritt halten zu können. Die Welt hat sich verändert, ohne Frage. Aber ist sie wirklich komplexer geworden?
Die Menschheitsgeschichte ist von Beginn an eine Geschichte des Wandels und der Anpassung an sich verändernde Umstände. Dieser Wandel vollzog sich mal natürlicher, mal schmerzhafter. Mal war er das Ergebnis menschlicher Bestrebungen, mal eher ungewollte Begleiterscheinung des Laufs der Dinge. Die Klage, dass die Welt zu komplex geworden sei, haben in diesen oder ähnlichen Worten schon unsere Vorfahren geäußert, immer und immer wieder. Der Mensch mag es gern einfach und ist deshalb von jeder Abweichung vom Gewohnten überfordert. Das zeigt sich auch in der deutlichen Unterkomplexität des öffentlichen Diskurses, der vorgefertigte Behauptungen gar nicht mehr hinterfragt und sich zu gern einfacher Kategorisierungen bedient. Wer nicht unserer Meinung ist, sich nicht so verhält, wie wir es erwarten, ist unser Feind. Wer A nicht mag, muss B gut finden.
Die Welt ist tatsächlich komplexer als das. Aber das ist nichts, was wir betrauern sollten. Was können wir etwa von unserem Hero Werner Kisters lernen, einem fast 100-jährigen Senior, der durch die Hölle des Zweiten Weltkriegs ging, in seiner Jugend in einem russischen Kriegsgefangenenlager einsaß, innerhalb eines Jahres Frau und Sohn verlor – und heute mit ungebrochenem Humor auf sein Leben zurückblickt? Oder von den Kindern und Jugendlichen in der Autismus-Wohngruppe der Lebenshilfe im „Haus am Berg“, die gängige Konzeptionen davon, was normal ist, auf eine schwere Probe stellen? In unseren Geschichten vermitteln wir einen Eindruck davon, was Komplexität im Extrem tatsächlich bedeutet. Und dass sie trotzdem gemeistert werden kann.
Die Welt und das Leben waren und sind nie einfach. Es lohnt sich, die Herausforderung anzunehmen.
Viel Spaß bei der Lektüre,
Ihr Michael Neppeßen, David Kordes und Torsten Feuring