Nafez Omar

Angekommen

Nach seiner langen Fluchtgeschichte hat Nafez Omar in Krefeld eine neue Heimat gefunden.

„Geduld und Humor sind zwei Kamele, die dich durch jede Wüste bringen“, sagt ein arabisches Sprichwort. Als Nafez Omar seine syrische Heimat verlassen musste, war ihm nicht bewusst, dass genau diese Eigenschaften ihn bis an den Niederrhein verschlagen würden. Der damals 18-jährige Kurde brach wegen des Bürgerkriegs sein IT-Studium ab und begab sich auf eine lange Reise mit großen Herausforderungen. Eine ihm fremde Kultur, die unbekannte Sprache und neue gesellschaftliche Normen haben es ihm nicht immer leicht gemacht. Aufgeben? Keine Option. Dann lieber Augenzwinkern und Optimismus. Nafez ergatterte über ein Praktikum einen Ausbildungsplatz bei der Stadt Krefeld und fand ein neues Zuhause. Hier kommt seine Geschichte.

Seit 2011 herrscht in Syrien Krieg. Schätzungen zufolge haben die heftigen Kämpfe in weiten Teilen des Landes mehrere Hunderttausend Todesopfer und über eine Million Verletzte gefordert. Rund 13 Millionen Syrer, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, mussten aus ihrer Heimat flüchten. Mit diesen unvorstellbaren Fakten im Kopf treffen wir heute auf einen jungen Mann, der vor neun Jahren sein Heimatland Syrien verließ und soeben eine Ausbildung zum Vermessungstechniker abgeschlossen hat. Wird es ein emotionales, vielleicht trauriges Gespräch werden? Oder erleben wir Mut und Zuversicht? Der nüchterne Besprechungsraum der Stadtverwaltung vermittelt geschäftige Arbeitsstimmung – bis sich die Tür öffnet und Nafez Omar uns herzlich begrüßt, in fast akzentfreiem Deutsch, mit einer grünen Mütze auf dem Kopf und tiefen Lachfalten um die Augen. Schon als er sein offizielles Geburtsdatum erläutert, spüren wir den feinen Humor, der den 27-Jährigen ausmacht: „Der 01.01. ist einfacher zu merken für Schule oder Militärdienst.“ Er feiere aber erst Ende März. Nafez lächelt verschmitzt und berichtet unaufgeregt über Aufbruch und Veränderung in seinem Leben, als wäre nichts Dramatisches passiert.

„Die Universität war zerstört, also wechselte ich zunächst in eine andere Stadt. Dann sorgte die Terrormiliz IS dafür, dass ich gar nicht mehr studieren durfte, weil ich Kurde bin. In deren Augen sind wir keine richtigen Muslime.“ Es folgt ein Schulterzucken, mehr nicht. Sein Vater habe den jüngsten Sohn bewogen, angesichts fehlender Perspektiven sein Glück außerhalb Syriens zu suchen: „Hier hast du keine Zukunft mehr.“ Nafez, gerade 18 Jahre alt, macht sich allein auf einen ungewissen Weg. Mithilfe von Schleusern flüchtet er aus dem kleinen Ort Amude in die Türkei, findet Arbeit in einem Hostel und lernt Englisch. „Das ist mittlerweile aber etwas eingerostet“, gesteht er augenzwinkernd. Eine Tante spielt auf seiner beschwerlcihen Weiterreise nach Deutschland eine wesentliche Rolle, und sie wird ihn nicht nur begleiten, sondern auch finanziell unterstützen: „Rund 7.000 Euro mussten wir an diverse Schlepper bezahlen. Es ging 22 Stunden lang zu Fuß nach Bulgarien, von dort reisten wir über Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland weiter, teils mit dem Auto oder per Lkw. Am Ende landete ich in Moers in einem Heim, in dem rund 1.500 junge Flüchtlinge verschiedener Kulturen auf eine Aufenthaltsgenehmigung hofften. Wir waren sieben Syrer.“ Wieder fällt die sachliche Art auf, mit der Nafez auf das Leben blickt. Aber auch sein Humor blitzt regelmäßig durch, und so lacht er fröhlich, während er sich an die zehn erfolglosen Versuche der Tante erinnert, illegal über die Grenze zu kommen. Erst mit ihm als Mitfahrer und Glücksbringer habe sie es geschafft. Wie hält man das aus, so fern von Heimat und Familie zu sein? „Ich lebe im Moment und habe einfach keine Angst vor der Zukunft“, erklärt er seine innere Haltung und führt diese auch auf den Glauben zurück. „Obwohl, beten kann ich nicht so gut“, ergänzt er bescheiden. Und wieder bilden sich Lachfältchen um die Augen.

Trotz Sprachbarriere schloss Omar die Ausbildung zum Vermessungstechniker erfolgreich ab.

Die Präzision, mit der der frischgebackene Vermessungstechniker seinen Fluchtweg schildert, kann er auch im neuen Job gut einsetzen. Gerade erst hat er einen Arbeitsvertrag in der Abteilung 620 unterzeichnet. Ausbilder und Chef Marvin Byrasch aus dem Fachbereich Vermessung, Kataster und Liegenschaften ist beim Interview dabei und stolz auf den erfolgreichen Abschluss: „Es sind ja nicht nur exaktes Arbeiten, gute Mathematik- und Computerkenntnisse, Geschick für optische Geräte oder Wetterfestigkeit und körperliche Belastbarkeit, die in der Ausbildung zählen. Nafez musste beispielsweise für ihn doppelt schwierige Begriffe des Verwaltungswesens und Gesetzestexte pauken und bei der Abschlussprüfung eine Präsentation auf Deutsch halten. Das hat er gut gemeistert!“ Denn die Sprachbarriere, die im vorangegangenen Jahrespraktikum noch eine der größten Hürden für den syrischen Neukrefelder war, ist längst überwunden – mit Fleiß, Geduld und der Unterstützung durch Kollegen. Sperrige Wörter wie „Katasterkoordinatenqualität“ oder „Geobasisdatenbearbeitung“ gehen ihm überraschend leicht über die Lippen, genauso wie das typisch deutsche „Mahlzeit“. Obwohl es für ihn in Syrien so gut wie keine Berührungspunkte mit Verwaltung oder Behörden gab, hat er doch seinen Platz gefunden. „Mir gefällt der Beruf, weil er trotz mancher bürokratischer Abläufe sehr abwechslungsreich ist. Wir arbeiten immer im Team, mal im Büro, mal im Außendienst. Ich bin oft unterwegs und lerne nicht nur meine Kollegen, sondern auch Krefeld besser kennen“, schwärmt Nafez. Sein allererstes Projekt? Der „Plan der Religionen“ – ein spezieller Krefeld-Stadtplan, in dem alle christlichen Gemeinschaften und Kirchen, Moscheen und islamische Gebetshäuser, die Synagoge sowie sonstige religiöse Gemeinschaften geografisch gekennzeichnet sind. Im Rahmen eines vorangegangen Praktikums hatte er Volker Steinbeck im Team Geodaten beim Zusammentragen der Daten und bei der Gestaltung des Plans unterstützt, „um Menschen, die nach ihrer Flucht an einem neuen Ort angekommen sind, Halt und Trost zu geben“, wie in einer Presseinformation zu lesen ist.

Nafez Omar will weiterhin in Deutschland bleiben und „vielleicht noch“ studieren, verrät er uns seinen eigenen Lebensplan. Doch da der syrische Schulabschluss hier nicht anerkannt werde, muss er mindestens drei Jahre Berufserfahrung sammeln. Wir plaudern noch eine Weile über deutsche Kultur und Gewohnheiten („den Begriff Bio für Lebensmittel gibt es nur hier“ und „Deutsche halten sich häufig an Vorschriften“), syrische Gastronomie („ganz klar das Familienhaus auf der Rheinstraße“), einen Lieblingsort in Krefeld („die Rennbahn, weil es so grün ist“) und seinen größten Wunsch („dass der Krieg endet und alles in Syrien so wird wie früher“). Nach langen Jahren der Unsicherheit und des Lernens hat der ehemalige Asylbewerber das gefunden, was für viele selbstverständlich ist: Arbeit, Wohnung und Freunde. Der Duden definiert Heimat als Land, Landesteil oder Ort, in dem man geboren und aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt. Nafez spielt in seiner Freizeit gern Schach, fährt mit dem Fahrrad durch die City und besucht morgen eine Hochzeitsfeier in Dortmund. „Mit dem Bestehen der Abschlussprüfung ist mir ein großer Stein vom Herzen gefallen. Ich weiß jetzt, dass ich etwas habe und mache“, sagt er ruhig zum Abschied. Die sprichwörtlichen Kamele haben ihn sicher in eine neue Heimat gebracht, und er ist endlich angekommen.

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