wir sind Currywursthauptstadt! Nachdem Krefeld in diesem Jahr bereits überraschend zur fünftglücklichsten Stadt Deutschlands gekürt wurde, punktet unsere Niederrheinmetropole diesmal in einem fast noch emotionaler aufgeladenen Ranking. Was man davon halten mag, sei mal dahingestellt, interessant war der unerwartete Erfolg vor allem deshalb, weil er wieder einmal guten Anschauungsunterricht lieferte, wie Contentproduktion und Empörungsökonomie in Zeiten sozialer Netzwerke funktionieren.
Uns wurde die Nachricht über Krefelds angebliche Currywurst-Hoheit als erstes über den WZ-Account auf Facebook in den Stream gespült: Der verlinkte Artikel „Krefeld Deutschlands Currywurst-Hauptstadt: Was ist dran?“ referenzierte die Studie, laut der Krefeld noch vor den vermeintlichen Favoriten aus dem Pott oder Berlin auf Platz eins gelandet war. Die Kommentare zu dem Posting hätte man punktgenau vorhersagen können: die übliche Mischung aus Amüsement und Empörung, in die sich sehr schnell der bekannte Hohn und Spott des durchschnittlichen Krefelders über seine Heimat mischte – und die natürlich sicherstellte, dass der Beitrag weite Verbreitung fand. Das Posting heimste 101 Kommentare ein: Grund genug, den Artikel ein weiteres Mal zu posten (72 Kommentare) und ihm außerdem eine Reaktion folgen zu lassen: „Krefeld: Hier gibt es die beste Currywurst der ,Currywurst-Hauptstadt’“ enttäuschte allerdings mit nur noch 14 Antworten. Auch die RP reagierte mit einem Artikel auf das Ranking, der es sogar auf 139 Kommentare brachte. Zum Vergleich: Den Artikel zum Brandanschlag vor dem Kino kommentierten 13 Menschen.
Hinter der Studie verbarg sich übrigens das dubiose Online-Portal „spielbank.com.de“: Es hatte zur Datenerhebung nicht etwa Redakteure zum bundesweiten Currywurst-Test entsandt oder eine breit angelegte Verbraucherumfrage gestartet, sondern schlicht gegoogelt: Die Platzierung fußt auf einer Mischkalkulation aus Dichte von Currywurstbuden pro 100.000 Einwohner (10,6/Platz 11), Durchschnitts-Google-Bewertung (4,44 von 5/Platz 11), durchschnittlichem Preis (Platz 5) und günstigster Currywurst-Pommes-Kombi (5,44 EUR/Platz 1). Wenn man annimmt, dass diese kleine Recherchearbeit auch in anderen Orten ähnlich begeisterten Anklang fand, bedeutet das viel Aufmerksamkeit für ein Portal, dessen zweifelhafter Hauptzweck es ist, Menschen zum Onlinezocken zu verleiten. Und die Redaktionen machen dabei gern mit, weil es Klicks bringt.
Natürlich drehen wir mit diesem Artikel selbst am großen Rad der Aufmerksamkeit – wenn auch hoffnungslos verspätet. Und auf die Titelseite haben wir mit Hospizleiter Alexander Henes einen Menschen gehoben, der selbst polarisiert – und darüber hinaus ganz genau weiß, dass eine gezielte Provokation manchmal Wunder wirken kann, wenn man Aufmerksamkeit erreichen möchte – gerade wenn es um ein Thema geht, das Menschen nicht gerade magisch anzieht: Seit nunmehr acht Jahren leitet er die Geschicke der gemeinnützigen Einrichtung, die jedem Menschen – gleich welcher Herkunft – ein humanes Sterben ermöglicht und dafür auf Spenden angewiesen ist. Aber natürlich ist das nicht die einzige Geschichte in unserer November-Ausgabe, die Ihre Aufmerksamkeit verdient. Sicherlich mehr, als die Frage nach der Currywursthauptstadt Deutschlands.
Viel Spaß beim Lesen,
Ihr Michael Neppeßen, Torsten Feuring & David Kordes