Es war nicht der fast schon obligatorische Austausch der Belegschaft, mit dem der Fußballclub KFC Uerdingen im zurückliegenden Sommer für Aufsehen gesorgt hatte. Es war eher das, was sich dahinter verbarg. Ein Eingeständnis, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Dass es eine grundlegende Veränderung brauchte. Neue Wege zu finden, wenn die alten Pfade nicht mehr den gewünschten Erfolg versprachen. Die Macher des Drittligisten hatten sich daher für neue Anforderungsprofile für das kickende Personal entschieden und dafür mit einer alten Praxis gebrochen. Statt in großem Maße auf alte Haudegen mit hochklassiger Erfahrung zu setzen, wurden die Späher ausgesendet, nach Fußballern zu fahnden, die Jugend, Schnelligkeit und Eifer in sich vereinten.
Statt Kevin Großkreutz, Dominic Maroh oder Adam Matuschyk heißen die Hoffnungsträger jetzt Tim Albutat, Mike Feigenspan oder Omar Haktab Traoré. Im Durchschnitt sind die 15 neuen KFC-Spieler 23,3 Jahre alt. Im vergangenen Jahr, als die Krefelder in der zweiten Saison in Folge ihr Ziel „Aufstieg“ mit Platz 13 meilenweit verpasst hatten, stand da noch die älteste Mannschaft der ganzen Liga auf dem Feld. Die neue Herangehensweise drückt sich nun auch in leiseren Tönen aus, die fast schon etwas von Bescheidenheit haben und im Kontrast stehen zu der Großmannssucht der Vorjahre. „Wir gehen nicht mit dem Ziel Aufstieg in die Saison“, hatte Trainer Stefan Krämer vor dem Ligastart gesagt: „Es wird Zeit brauchen, bis sich die Dinge automatisiert haben“, fügte er an. Mehr Entwicklungszeit, mehr Geduld für den Aufbau. So klingt das jetzt beim KFC.
Das große Projekt 2. Bundesliga war zusehends ins Stocken geraten. Raketenhaft hatte es begonnen, nachdem der Geschäftsmann Mikhail Ponomarev mit seiner Firma Energy Consulting im Juni 2016 das Amt des Präsidenten beim KFC übernommen hatte und die Mannschaft mit viel Geld üppig alimentierte. Der Mäzen kündigte schon in dieser Zeit große Ziele an: den KFC zurück in die 2. Bundesliga zu führen. Dorthin, wo sich der Verein selbst wirtschaftlich tragen könnte – auch wegen der lukrativen Fernsehgelder. Es folgte der Aufstieg in die Regionalliga, ein Jahr später – dank einer an einen Parforceritt erinnernden Leistung der Mannschaft in den letzten Spielwochen, in denen sich Sieg an Sieg reihte – dann auch noch der zweite Triumph in Serie und der Sprung in die 3. Liga. Ein Rausch in den Vereinsfarben Blau und Rot. Und die Lehre: Das meiste Geld, die besten Spieler – das bringt den größten Erfolg.
Ein Primus inter Pares? Das ist der KFC Uerdingen jedoch schon lange nicht mehr, seit ihm mit Hilfe des Hauptinvestors und Mehrheitsgesellschafters Ponomarev der Aufstieg in die 3. Liga im Sommer 2018 geglückt war. Der damalige Cheftrainer hieß übrigens da schon einmal Stefan Krämer. Die Gleichheit mit den anderen mussten die Verantwortlichen und die treue Anhängerschaft in den vergangenen beiden Jahren neidlos anerkennen. Es hilft ja alles nichts. Das Tabellenbild und die Ergebnisse waren über lange Zeit eindeutig: Der Fußballklub aus Uerdingen stand zwar in den Augen der Buchmacher und vieler Antipoden auf den Trainerbänken hoch im Kurs, konnte die Vorschusslorbeeren dann aber nicht halten. Dazu begleitete den KFC bundesweit der etwas unrühmliche Ruf eines neureichen Clubs, der sich hochbezahlte Legionäre einkauft, um alle Träume vom Aufstieg am liebsten über Nacht zu realisieren – koste es, was es wolle. Im Kosmos der deutschen Fußball-Traditionalisten erinnert dieses Gebaren eher an die Auswüchse des bis in die letzte Spitze kommerzialisierten Profisports.
Heuern und feuern war in den vergangenen Jahren die Devise im Club des Unternehmers Ponomarev, der im Oktober 46 wird. Das betraf Spieler wie Trainer. „Wenn es uns ans Ziel bringt, hole ich 18 Trainer“, sagte der KFC-Boss bei der Vorstellung des ehemaligen Trainers Heiko Vogel im Mai 2019. Mit der nun erneut neu zusammengestellten Mannschaft soll die Zusammenarbeit länger dauern. Der Trainer Stefan Krämer sagt nämlich: „Die Mannschaft soll wachsen. Der Weg, den wir jetzt eingeschlagen haben, ist der deutlich bessere.“ Geduld könnte die wegweisende Tugend werden. Es muss ja nicht alles im Hau-Ruck-Verfahren gehen. Dass dies in dieser sportlich ausgeglichenen 3. Liga ohnehin nicht so einfach läuft, wie man es sich wünscht, zeigen jede Woche die Duelle im Rasenviereck. Dort ist Eifer gefragt über die vollen 90 Minuten. Krämer spricht nicht umsonst von einer „Mentalitätsliga.“ Der 53-Jährige ist einer der erfahrensten Drittliga-Trainer. Er weiß, was in dieser Spielklasse nötig ist, um Erfolg zu haben.
Ehemalige Vereinsgranden wie die Uerdinger Legende Friedhelm Funkel oder der FC Bayer 05-Libero der 1970er Jahre, Paul Hahn, haben sich unlängst mehr Kontinuität in der Kabine und im Amt des Trainers gewünscht. Eine Mannschaft behutsam für das Unternehmen Aufstieg aufzubauen, sei der richtige Weg, befand Hahn. Funkel, der Rekordspieler des Clubs, stieß ins selbe Horn: „Sie haben einen guten Trainer, den sollte man jetzt auch mal arbeiten lassen und ihm Vertrauen schenken. Kontinuität bringt oft auch Erfolge.“ Es sieht ein bisschen danach aus, als habe man die Ratschläge der Altstars erhört.
Fotos: Stefan Brauer